Umweltbelastung im In- und Ausland: Wir leben auf zu grossem Fuss

Unser Konsum belastet die Umwelt im Ausland und bei uns in der Schweiz über dreimal stärker, als die Erde auf Dauer erträgt. Den grössten Teil der Schäden richten wir ausserhalb der Landesgrenzen an.

Text: Hansjakob Baumgartner

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© Markus Forte | Ex-Press | BAFU

Der Gymnasiast Tobias Dussex hat für seine Maturaarbeit ein Thema ausgewählt, das seinen Alltag zeitweise tiefgreifend prägte: Einen Monat lang versuchte der 17-jährige Schüler des Berner Gymnasiums Lerbermatt, die Umweltbelastung durch seinen Konsum auf ein für unseren Planeten verträgliches Mass zu reduzieren. Alles, was wir besitzen und verbrauchen, benötigt Ressourcen und hat Auswirkungen auf die Umwelt – und dies über den gesamten Lebenszyklus: vom Abbau der benötigten Rohstoffe über die industrielle Produktion, den Transport zum Kunden und die Nutzung bis hin zur Entsorgung. Bei importierten Gütern entsteht der Schaden grösstenteils jenseits der Landesgrenze. Die gesamte Belastung der Erde, die wir mit unserem Konsum im In- und Ausland verursachen, lässt sich durch «Umwelt-Fussabdrücke» veranschaulichen. Schon der theoretische Teil von Tobias' Maturaarbeit war anspruchsvoll. Der Gymnasiast musste sich in die komplexen Methoden einarbeiten, mit denen das BAFU die Gesamtumweltbelastung der Schweiz periodisch errechnen lässt (siehe Box).

Fussabdrücke lassen sich sowohl für die gesamte Belastung als auch für bestimmte Umweltprobleme berechnen – so zum Beispiel für den Treibhausgas- Ausstoss, den Biodiversitätsverlust durch Landnutzung oder die Stickstoffemissionen, welche zu einer Überdüngung der Meere führen. Den spezifischen Fussabdrücken sind die Belastbarkeitsgrenzen der Erde gegenüberzustellen. Um sie zu ermitteln, gibt es ebenfalls wissenschaftliche Konzepte. Sie zeigen, wie viel tragbar ist, damit auch unsere Enkelkinder noch unter einigermassen günstigen Bedingungen leben können.

23-mal zu viel Treibhausgase

Drastisch zu hoch ist namentlich der Treibhausgas-Fussabdruck der Schweizer Bevölkerung. Er beträgt jährlich 14 Tonnen Kohlendioxid Äquivalente (CO2-Äq) pro Person. Die Belastbarkeitsgrenze des Planeten orientiert sich hier am Ziel, den Temperaturanstieg bis Ende des 21. Jahrhunderts auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Gehen wir davon aus, dass jedem Menschen die gleiche Menge an knappen Umweltressourcen und Emissionen zusteht, so haben wir ab heute (hochgerechnet) noch 0,6 Tonnen CO2-Äq pro Person und Jahr zugut.

Mehr als die Hälfte der von uns verursachten Treibhausgas-Emissionen entsteht im Ausland. Bedeutende Quellen sind Energieträger, Chemikalien, Metalle sowie landwirtschaftliche Güter. Mit einem hohen Treibhausgas-Ausstoss verbunden ist auch die ausländische Produktion von Massengütern, die wir importieren. So wird etwa die Energie für die verschiedenen Herstellungsschritte in manchen Ländern noch immer mit Kohlekraftwerken erzeugt.

Artentod in den Tropen

Der Biodiversitäts-Fussabdruck basiert auf dem  Artenverlustpotenzial durch bestimmte Formen der Landnutzung – wie Ackerbau oder Siedlungen – gegenüber dem natürlichen Zustand. Er wird je nach Weltregion anders berechnet: Wenn in Europa Wald in Ackerland umgewandelt wird, sind die potenziellen Biodiversitätsverluste weit geringer, als wenn man dies in einem Regenwaldgebiet tut. Der Biodiversitäts-Fussabdruck pro Kopf der Schweizer Bevölkerung ist seit 1996 um 14 Prozent gewachsen. Stark ins Gewicht fallen Agrarprodukte aus Ländern, die Tropenwald für die Ausweitung der Anbaufläche roden: Kaffee aus Zentralamerika, Kakao aus Ghana, Palmöl aus Indonesien sowie – indirekt – Fleisch: Hier wirken sich vor allem die Sojaimporte aus Brasilien für Futtermittel aus.

Massgebend für die Belastbarkeitsgrenze bei diesem Indikator ist die natürliche Aussterberate. Angesichts der Unsicherheit gehen Fachleute davon aus, dass ein Artenverlust, der 10-mal über dem natürlichen liegt, gerade noch toleriert werden kann. Allerdings übersteigt die gegenwärtige Aussterberate (hochgerechnet) die natürliche um das 40-Fache. Der Biodiversitäts- Fussabdruck der Schweiz ist also etwa viermal zu gross.

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© stemutz

Wassermangel in Trockengebieten

Auch beim Wasser-Fussabdruck geben regionalspezifische Kriterien den Ausschlag. In einem Trockengebiet sind 100 Liter Wasserverbrauch viel schwerwiegender als in der mit Niederschlägen reich gesegneten Schweiz. Wegen der wachsenden Importe von Agrargütern aus Ländern, in denen Wasser knapp ist, hat sich der Schweizer Wasser-Fussabdruck seit 1996 um fast zwei Drittel vergrössert. Zu den wichtigsten Treibern zählen Baumwolle aus den USA, Indien und Pakistan sowie Zitrusfrüchte und Wein aus Spanien.

Insgesamt liegt die konsumbedingte Umweltbelastung der Schweizer Bevölkerung um mindestens das Dreifache über dem Limit. Bildlich gesprochen: Würden alle Menschen einen ähnlichen Lebensstil pflegen wie wir, bräuchte es mindestens drei Planeten, um den Bedarf nachhaltig zu decken sowie alle Abfälle und Emissionen zu absorbieren.

Wie weiter?

2017 hat die Schweizer Bevölkerung einer Revision des Energiegesetzes zugestimmt. Bei einer konsequenten Umsetzung werden die höhere Energieeffizienz und der Einsatz erneuerbarer Energien deutlich zur Reduktion unserer Gesamtumweltbelastung beitragen. Im Bereich «Wohnen» sind der Verzicht auf fossile Heizsysteme, eine gute Isolierung und Energieeffizienz sowie eine massvolle Wohnfläche wirksame Massnahmen.

Eine höhere Energie- und Materialeffizienz bei der Produktion kann die globale Umweltbelastung durch unseren Konsum ebenfalls mindern. Zusätzlich zu Effizienz-Massnahmen in der Schweiz spielt insbesondere die Produktionsweise importierter Güter eine grosse Rolle – zum Beispiel in den Lieferketten von Schweizer Unternehmen.

Auch dem Verkehr kommt eine zentrale Bedeutung zu. Um zu verhindern, dass der erwartete Mehrverkehr die technischen Verbesserungen zunichtemacht, müsste jedoch rascher auf leichtere und effizientere Fahrzeuge sowie auf elektrische Antriebe umgesattelt werden. Der Luftverkehr und die damit verbundenen CO2-Emissionen werden voraussichtlich weiter zunehmen.

Alles in allem leisten die bereits aufgegleisten Massnahmen zwar wichtige Beiträge, reichen aber nicht aus für die nötige Reduktion der Gesamtumweltbelastung um zwei Drittel. Namentlich bei den Treibhausgas- Emissionen braucht es viel mehr, als wir heute tun oder zu tun beschlossen haben. Neben erneuerbaren Energien können innovative Konzepte wie die Kreislaufwirtschaft und die Sharing Economy helfen, dem Ziel «eine Erde» näher zu kommen, ohne die natürlichen
Lebensgrundlagen weiterhin masslos zu übernutzen.

Einen Monat lang nachhaltig

Notwendig ist auch eine Veränderung unseres Lebensstils. Und hier sind wir wieder bei Tobias. Die vierköpfige Familie Dussex wohnt in einer Siedlung, die mit Holzpellets beheizt wird. Sie besitzt kein Auto, die Wohnfläche pro Person liegt deutlich unter dem Schweizer Durchschnitt, der Strombedarf wird aus erneuerbaren Quellen gedeckt, unter anderem aus der Solaranlage eines benachbarten Pfadiheims. Und auf den Tisch kommen saisongerechte Nahrungsmittel aus der Region – wenn immer möglich mit einem «Bio-Label». Um seinen Umwelt-Fussabdruck weiter zu reduzieren, setzte Tobias zunächst bei der Mobilität an. Er absolvierte sämtliche Wege nur noch zu Fuss oder per Velo − auch die mehr als 18,6 Kilometer lange Strecke zum Gymnasium und zurück. Die Teilnahme an einem Auswärtsspiel seines Fussballteams, in dem er normalerweise linker Aussenverteidiger ist, sagte er ab, denn er hätte mit dem Auto hinfahren müssen.

Fleisch strich Tobias vom Speisezettel, den Verzehr anderer tierischer Produkte reduzierte er radikal. Und schliesslich übte er sich in Konsumverzicht: keine Naschereien am Kiosk, keine Restaurantbesuche, kein Shopping. Das Ergebnis seiner Bemühungen errechnete er mithilfe des WWF-Footprint-Rechners, der mit vereinfachten Annahmen arbeitet. Tobias hat es geschafft: Im fraglichen Monat lag sein Fussabdruck bei 0,87 Planeten. Doch das wird nicht so bleiben. «Es war eine interessante Erfahrung», sagt er. Als starre Norm für sein künftiges Konsumverhalten ist ihm das Sparregime seines Selbstversuchs aber zu rigid. Sein Fussabdruck wird sich deshalb künftig wieder vergrössern. Und manchmal ist man auch nicht ganz frei: Die Maturareise geht mit dem Flugzeug nach Lissabon – das hat die Klasse von Tobias in einer Abstimmung gegen seine Stimme beschlossen.

You never walk alone

Müssen wir alle derart radikal werden wie Tobias während seines Experiments? «Nein», meint Andreas Hauser von der Sektion Ökonomie im BAFU, «der Versuch zeigt, dass das individuelle Konsumverhalten durchaus einen erheblichen Einfluss hat. Wer bei den wichtigsten Bereichen Ernährung, Mobilität und Wohnen ansetzt, kann allerdings schon mit weniger einschneidenden Änderungen des Lebensstils viel bewirken und positive Trends unterstützen.» Bereits heute entscheiden sich die meisten Leute dafür, ihr neues Heim mit erneuerbaren Energien zu beheizen, und wir wählen immer häufiger fleischarme oder gar vegetarische Menüs. Einen grossen Beitrag kann zudem jede und jeder Einzelne leisten, indem auf Flugreisen möglichst verzichtet wird. «Wir sind jedoch auch eingebettet in einer Gesellschaft und einer Wirtschaft», ergänzt Andreas Hausers Berufskollege Niklas Nierhoff vom BAFU. So verstecke sich ein grosser Teil der von uns verursachten Umweltbelastung in den Lieferketten. Und auch Infrastrukturprojekte beeinflussten unsere Umwelt. Um der Vision eines planetenverträglichen Lebens nahezukommen, brauche es Weichenstellungen auf vielen Ebenen. «Neben den Konsumentinnen und Konsumenten kommt deswegen auch verantwortungsvollen Firmen eine wichtige Rolle zu, und nicht zuletzt in der Politik sind weitsichtige Entscheide gefragt.» 

Wie die Berechnung funktioniert

Die Umwelt-Fussabdrücke des Schweizer Konsums werden für Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen, Wasserverbrauch, Biodiversitätsverlust durch Landnutzung, Stickstoffausstoss sowie Energie- und Materialaufwand berechnet. Für die jeweiligen Indikatoren lässt sich mit Daten aus Statistiken verschiedener Bundesämter zu Emissionen und Ressourcenverbrauch die im Inland anfallende Belastung ermitteln. Diejenige, welche die Produktion importierter Güter im Ausland hinterlässt, wird addiert. Die Belastung durch exportierte Waren und Dienstleistungen kann hingegen abgezogen werden, denn diese konsumieren nicht wir. Für die Import-Export-Bilanz werden Zahlen aus der Aussenhandelsstatistik sowie der Zahlungsbilanz der Nationalbank ausgewertet und mit güterspezifischen Ökobilanzdaten verknüpft.

Die verschiedenen Umweltbelastungen und der Ressourcenverbrauch lassen sich zur «Gesamtumweltbelastung» – einem umfassenden Umwelt-Fussabdruck – zusammenfassen. Das Ergebnis ist eine Summe von Umweltbelastungspunkten (UBP). Die Masseinheit basiert auf schweizerischen und internationalen Umweltzielen: Je mehr ein Produkt dazu beiträgt, dass ein Umweltziel verfehlt wird, desto mehr UBP gibt es dafür. 2015 kam unser Land pro Kopf der Bevölkerung auf 23,4 Millionen UBP.

Das sind 19 Prozent weniger als noch 1996. Der Rückgang ist vor allem auf Umweltschutzmassnahmen im Inland zurückzuführen. So sind die Emissionen beispielsweise bei allen Luftschadstoffen in der Schweiz rückläufig. Doch diese Erfolge werden teilweise zunichte gemacht durch die wachsende Belastung, die unser Konsum in anderen Ländern verursacht. Der Auslandsanteil der Schweizer Gesamtumweltbelastung wächst stetig und liegt derzeit bei rund drei Vierteln.

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Letzte Änderung 28.11.2018

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