Naherholungsgebiete: Am liebsten in der Natur

Was erwarten die Menschen von attraktiven Naherholungsgebieten? Eine Studie der HSR Hochschule für Technik Rapperswil (SG) ist dieser Frage wissenschaftlich nachgegangen. Sie liefert wichtige Hinweise für die Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsräumen.

Text: Kaspar Meuli

Renaturiertes Gebiet «Schüssinsel» Biel
In wenigen Jahren werden auf der Bieler Schüssinsel die rund 600 neu gepflanzten Bäume zu schattenspendenden Wäldchen zusammengewachsen sein.
© Anita Vozza

Nur ein paar Wochen dauerte es, und die Bieler Bevölkerung hatte das Stück neu geschaffener Natur mitten in der Stadt in Beschlag genommen. Familien, Jugendliche und Verliebte; Hundefreunde, Fischer und Velofahrende – alle haben die abwechslungsreiche Parklandschaft für sich entdeckt. Im Herbst 2017 fand an den Ufern der revitalisierten Schüss gar eine Tanzperformance statt. Noch spriesst es nicht wirklich üppig auf der 2017 eröffneten Schüssinsel. Doch schon in wenigen Jahren werden die rund 600 neu gepflanzten Bäume zu schattenspendenden Wäldchen zusammengewachsen sein, an deren Rändern sich aufs Schönste picknicken lässt. Und schon im ersten Sommer haben die Kinder der Umgebung herausgefunden, wie viel Spass Baden in der aufgeweiteten Schüss macht.

Die Nachfrage steigt

Das Bieler Vorzeigeprojekt mag ein Glücksfall sein: Nur selten findet sich mitten im städtischen Wohngebiet eine Fläche so gross wie sieben Fussballfelder, auf der sich ein neues Erholungsgebiet realisieren lässt. Das Projekt Schüssinsel steht beispielhaft für eine Entwicklung, die in der ganzen Schweiz im Gang ist. «Die Nachfrage nach Erholungsgebieten wird in dicht besiedelten Räumen immer grösser, dies nicht nur in den Innenstädten, sondern auch in der Agglomeration», sagt Dominik Siegrist. Er leitet das Institut für Landschaft und Freiraum an der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR). In unserer urbanisierten Gesellschaft, so betont er, komme der Erholung eine immer grössere Bedeutung zu. Einerseits hätten wir mehr Freizeit, und andererseits führe der gestiegene Leistungsdruck in der Arbeitswelt zu einem erhöhten Erholungsbedarf. Um sich wohl zu fühlen und gesund zu bleiben, sind die Menschen in Städten und Agglomerationen auf Erholungsräume angewiesen. Dies umso mehr, als wir künftig näher beieinander leben werden. Nach Berechnungen des Bundesamtes für Statistik wird die Bevölkerung der Schweiz bis 2045 um 1,7 auf 10 Millionen ansteigen. Dieses Wachstum wird weitgehend durch die heutigen Siedlungsgebiete aufgefangen. Doch die bauliche Verdichtung, die diese Entwicklung mit sich bringt, darf nicht auf Kosten der Lebensqualität geschehen. Denn sonst, so warnen Stadtplaner und Landschaftsarchitektinnen, werde das Zusammenrücken von der Bevölkerung nicht akzeptiert.

Direkt vor der Haustür

Naherholungsgebiete sollten nicht weit vor den Toren der Stadt liegen, sondern dort, wo die Menschen wohnen und arbeiten. «Attraktive Erholungsräume sind vor allem in der Alltagslandschaft und der Wohnumgebung von grosser Bedeutung», sagt der Geograf und Landschaftsplaner Dominik Siegrist. Naherholungsgebiete direkt vor der Haustür sind nicht nur gefragt, weil wir sie im Alltag nutzen können, sondern auch, weil wir dann nach Feierabend weniger mit dem Auto ins Grüne fahren. Und dieser Verkehr fällt ins Gewicht: Schweizerinnen und Schweizer sind in der Freizeit doppelt so viel motorisiert unterwegs wie auf dem Weg zur Arbeit. Dass gut geplante Erholungsgebiete wichtig sind, steht fest, aber welche Ansprüche haben die Nutzerinnen und Nutzer solcher Gebiete überhaupt? Darüber war bisher wenig bekannt. Doch nun ist das Institut für Landschaft und Freiraum der Hochschule Rapperswil dieser Frage nachgegangen. Das BAFU hat diese Studie finanziell unterstützt, zusammen mit den beteiligten Kantonen und der Stadt Zürich. Gilles Rudaz von der Sektion Ländlicher Raum des BAFU erklärt das Interesse an der Untersuchung so: «Das BAFU will die Qualität von Landschaften und Naturräumen verbessern, weil sie das menschliche Wohlbefinden direkt beeinflusst.» Nicht umsonst würden wir für Erholung und Freizeit inspirierende Landschaften bevorzugen. «Das Zusammenspiel von landschaftlicher Eigenart, Schönheit und Vielfalt trägt massgeblich zur Lebensqualität der Menschen bei», so Gilles Rudaz.

Wasser und Wald: beste Erholung

Die Studie nennt sich «Entwicklung einer Typologie von Erholungssuchenden als Basis für die Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsräumen» und stützt sich auf Befragungen in fünf Naherholungsgebieten in den Kantonen Glarus, St. Gallen, Zürich und Zug mit jeweils unterschiedlichen Charakteristiken. Eines der Gebiete liegt direkt beim Campus der Hochschule Rapperswil. Von Dominik Siegrists Büro aus geht der Blick auf den Seeuferweg und einen daran angrenzenden Schilfstreifen und verliert sich dann über der spiegelglatten Fläche des Obersees. Das städtisch geprägte Erholungsgebiet, erklärt der Forscher, zeichne sich dadurch aus, dass es an schönen Sommertagen stark frequentiert werde und dass es für die Bevölkerung von Rapperswil-Jona sehr gut erreichbar sei. Die meisten Erholungssuchenden erreichen die Grünanlagen mit ihren Liegewiesen und alten Bäumen per Velo oder zu Fuss, Parkplätze gibt es keine. Am attraktivsten, so hat die von Siegrist geleitete Studie ergeben, finden die Menschen in der Schweiz naturnahe Erholungsgebiete, die von Wasser, Wald oder einer Mischung von Wald und Offenland geprägt werden. Und am häufigsten wollen sie zur Erholung einfach Spazieren. Action-Sportarten wie Mountainbiking oder Inlineskating hingegen sind eher ein Randphänomen. Diese und viele andere in der Untersuchung gewonnene Erkenntnisse sind in einen Leitfaden für die Planung und Gestaltung von Erholungsräumen eingeflossen, der sich an Landschaftsarchitektinnen und Bauherren richtet.

Renaturiertes Gebiet «Schüssinsel» in Biel
Vorzeigeprojekt und Glücksfall: die im Vorjahr eröffnete Schüssinsel in Biel
© Anita Vozza

«Erholung hat keine Lobby»

Im Zentrum der Orientierungshilfe stehen Naherholungstypen, welche die Forschenden aus ihren Resultaten abgeleitet haben (siehe Box). Es ist eine Typologie, die den verschiedenen an der Planung eines Naherholungsgebietes Beteiligten helfen soll, sich ein Bild davon zu machen, auf welche Art von Nutzenden sie eingehen müssen. Doch der Leitfaden verfolgt noch ein weiteres Ziel: Er soll den Behörden bewusst machen, welch hohen Stellenwert Naherholungsgebiete für die dortige Bevölkerung haben. «Im Gegensatz zur Natur oder zur Bauwirtschaft hat die Erholung im ganzen Planungsprozess keine Lobby», erklärt Dominik Siegrist. «Vor allem in kleineren Gemeinden ist niemand dafür zuständig. Das muss sich ändern.»

Attraktive Revitalisierungen

Die Studie der Hochschule Rapperswil zu Erholungsgebieten zeigt, dass naturnahe Landschaften am Wasser besonders beliebt sind. Doch die sind in der Schweiz nur noch selten anzutreffen. Fast ein Viertel aller Schweizer Flussstrecken und Bachläufe wurde begradigt und kann seine natürlichen Funktionen vor allem im Mittelland heute nicht mehr ausreichend erfüllen. Auch viele Seeufer sind hart verbaut. Das seit 2011 gültige neue Gewässerschutzgesetz fordert deshalb, dass ein Viertel aller Gewässer in schlechtem Zustand wieder naturnäher gestaltet, das heisst revitalisiert wird. Schweizweit verteilt, entspricht dies rund 4000 Kilometern Bach- und Flussstrecken sowie Seeufer.

13 Naherholungstypen

Die HSR Hochschule für Technik Rapperswil hat eine Typologie von Menschen entwickelt, die in einem Naherholungsgebiet ähnliche Ansprüche in Bezug auf Landschaften, Infrastruktur und Wege stellen. Diese Naherholungstypen bilden nicht das Verhalten einzelner Erholungssuchender ab, sondern klassifizieren Merkmale, die für eine bestimmte Gruppe zutreffen. Eine einzelne Person kann sich gut auch in mehreren Typen wiederfinden. Die 13 aus den Resultaten einer Befragung abgeleiteten Typen reichen vom Wald- und vom Gewässertyp bis zum Naturtyp und umfassen den Badetyp gleichermassen wie den Wander- und den Picknicktyp. Nicht zu vergessen die Sporttreibenden: vom Jogging- und vom Mountainbiketyp bis zum Reittyp. Der Leitfaden, in dem die Naherholungstypen vorgestellt werden, zeigt unter anderem, welche von ihnen sich mit einfacher Infrastruktur wie Sitzgelegenheiten und breiten Schotterwegen zufriedengeben und welche ein spezialisiertes Angebot erwarten wie zum Beispiel Laufstrecken, Feuerstellen oder Singletrails für Mountainbiker.

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Letzte Änderung 16.05.2018

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