Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern

In den Schweizer Fliessgewässern werden zahlreiche Mikroverunreinigungen nachgewiesen. In kleinen und mittelgrossen Fliessgewässern überschreiten vor allem Pestizide ihre ökotoxikologischen Grenzwerte, in grossen Fliessgewässern hingegen einzelne Arzneimittel. In den betroffenen Fliessgewässern werden empfindliche Tier- und Pflanzenarten einem zu hohen Risiko für Schädigungen durch diese Stoffe ausgesetzt. Sie befinden sich vor allem in den dicht besiedelten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen der Schweiz.

Mikroverunreinigungen sind Pestizide, Arzneimittel und weitere Chemikalien, die in sehr geringen Konzentrationen im Gewässer vorkommen. In der Schweiz sind über 30'000 Chemikalien in unzähligen Produkten im täglichen Gebrauch. Sie gelangen aus Abwasserreinigungsanlagen (ARA), Landwirtschaft, Siedlungsgebieten und Verkehr in die Gewässer. Mikroverunreinigungen sind für die Wasserlebewesen unterschiedlich giftig. So sind viele Stoffe, die in grossen Mengen über ARA in die Gewässer gelangen, aus ökotoxikologischer Sicht wenig problematisch. Ein Beispiel dafür sind künstliche Süssstoffe. Andere Mikroverunreinigungen, beispielsweise viele Pestizide und auch einige Arzneimittel, sind hingegen schon in sehr tiefen Konzentrationen giftig für empfindliche Wasserlebewesen.



Mikroverunreinigungen im nationalen Messprogramm

In der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) werden aktuell in der Dauerbeobachtung (NAWA TREND) 38 Messstationen auf mindestens 72 Mikroverunreinigungen untersucht. Zudem werden mit zeitlich beschränkten Messprogrammen (NAWA SPEZ) spezifische Fragestellungen geklärt.

Das Messprogramm NAWA TREND wurde ab 2018 gemeinsam mit den Kantonen schrittweise aufgebaut. Weitere Informationen:

Mikroverunreinigungen im Gewässermonitoring (PDF, 11 MB, 06.07.2020)Artikel Aqua & Gas 7/8 2020 - Ausbau von NAWA TREND und erste Resultate 2018

NAWA TREND Messstationen mit Untersuchungen zu Mikroverunreinigungen in Betrieb im 2021 (33) und neue, zusätzliche Stationen mit Inbetriebnahme im 2022 (5).
NAWA-TREND Messstationen mit Untersuchungen zu Mikroverunreinigungen in Betrieb im 2021 (33) und neue, zusätzliche Stationen mit Inbetriebnahme im 2022 (5).

Konzentrationen von Mikroverunreinigungen variieren je nach Stoff und Gewässer

Die Messungen im Rahmen des NAWA-TREND-Programms zeigen, dass die Konzentrationen von Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern je nach Stoff und Gewässer stark variieren. Sie werden in einem weiten Konzentrationsbereich von Nanogramm pro Liter bis Mikrogramm pro Liter nachgewiesen. In den grossen Flüssen sind die Konzentrationen, insbesondere von Pestiziden und Arzneimitteln, meist aufgrund der hohen Verdünnung tiefer als in kleineren Fliessgewässern. Auch saisonale Schwankungen sind zu beobachten: Während einige Stoffe das ganze Jahr vorkommen, werden einige Stoffe nur während der Anwendungssaison nachgewiesen.

Konzentrationen der Mikroverunreinigungen an NAWA TREND Messstellen
Boxplots der Konzentrationen von 99 Mikroverunreinigungen an 34 NAWA-TREND-Messstellen. Konzentrationen der 14-Tagesmischproben (bzw. an einigen Standorten 3.5- oder 7-Tagesmischproben) sind auf einer logarithmischen Skala dargestellt, pro Stoffgruppe und Gewässergrösse. Messwerte unterhalb der Bestimmungsgrenze sind nicht dargestellt. Unter jedem Boxplot steht die gesamte Anzahl Messwerte (N) und der Anteil Messwerte über der Bestimmungsgrenze. Daten: NAWA TREND 2018-2021.

Viele Gewässer mit Mikroverunreinigungen verunreinigt

Die NAWA-TREND-Untersuchungen zeigen, dass viele Gewässer des Mittellandes und der Talebenen mit Mikroverunreinigungen verunreinigt sind. Bei 17 der 22 Mikroverunreinigungen (19 Pestizide und 3 Arzneimittel), die in der Gewässerschutzverordnung (GSchV) mit ökotoxikologisch basierten Grenzwerten geregelt sind, wurde 2021 eine Überschreitung nachgewiesen. Nur in sechs der 33 im Jahr 2021 untersuchten Gewässer wurden die ökotoxikologischen Grenzwerte eingehalten.

Anzahl Messstellen, an denen Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt wurden
Anzahl Messstellen, an denen Überschreitungen der Grenzwerte von Mikroverunreinigungen festgestellt wurden (rot), pro Grössenkategorie. Unter den Balken ist Anzahl Substanzen (# Substanzen) aufgeführt, die über den Grenzwerten nachgewiesen wurden. Daten: NAWA TREND 2021.

Kleine und mittelgrosse Fliessgewässer besonders durch die Belastung mit Pestiziden betroffen

Am stärksten ausgeprägt sind Verunreinigungen durch Pestizide in kleinen und mittelgrossen Fliessgewässern. In fast allen dieser Gewässer, die in NAWA TREND untersucht werden, überschreiten Pestizide ihre ökotoxikologischen Grenzwerte. In den betroffenen Fliessgewässern werden empfindliche Tier- und Pflanzenarten einem zu hohen Risiko für Schädigungen durch diese Stoffe ausgesetzt. Deutlich geringer ist die Pestizidbelastung in den grossen Flüssen.

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in der Landwirtschaft ist die Hauptursache für die beobachtete Pestizidbelastung in den kleinen Bächen. Mehr als die Hälfte aller Grenzwertüberschreitungen sind aktuell durch Pestizide verursacht, die ausschliesslich für den Einsatz als PSM zugelassen sind. Einigen dieser Stoffe wurde in der Zwischenzeit die Bewilligung entzogen oder die Anwendung eingeschränkt. Es ist daher zu erwarten, dass die Belastung durch diese Stoffe (bspw. Chlorpyrifos, Isoproturon, Thiacloprid) in Zukunft abnimmt.

Ein hohes Risiko besteht insbesondere durch Insektizide, die bereits in sehr tiefen Konzentrationen im Bereich von Pikogramm pro Liter eine schädigende Wirkung auf Wasserlebewesen haben. Ein Pikogramm entspricht einem Billionstel Gramm.

Aqua&Gas Nr. 4/2022: Insektizide in Schweizer Fliessgewässern (PDF, 2 MB, 18.08.2022)Welche Risiken gehen von Pyrethroiden und Organophosphaten aus?

Aqua&Gas Nr. 11/2019: Geringe Konzentrationen mit grosser Wirkung (PDF, 1 MB, 21.03.2023)Nachweis von Pyrethroid- und Organophosphat-Insektiziden in Schweizer Bächen im pg l-1-Bereich

Mikroverunreinigungen mit ökotoxikologischen Grenzwerten
Übersicht über die Gewässerbelastung der 22 Mikroverunreinigungen mit ökotoxikologischen Grenzwerten. Die Mikroverunreinigungen unterscheiden sich bezüglich der maximalen Überschreitung des Grenzwertes (Verhältnis von Maximalkonzentration zu Grenzwert), der Anzahl Nachweise über dem Grenzwert und der Anzahl von Gewässern, in denen sie über ihrem Grenzwert nachgewiesen wurden. Dargestellt sind die Überschreitungen der Grenzwerte für die andauernde und die kurzzeitige Belastung. Für jeden Stoff ist angegeben, ob der Einsatz als Biozid (B), Pflanzenschutzmittel (PSM), Tierarzneimittel (TA) oder Humanarzneimittel (HA) zum Zeitpunkt der Untersuchungen bewilligt war; n. b. = nicht bestimmbar, da es für Diclofenac keinen ökotoxikologischen Grenzwert für kurzzeitige Belastungen gibt. Daten: NAWA TREND 2021.

Arzneimittel überschreiten Grenzwerte in vielen mittelgrossen und grossen Gewässern

Die drei in der GSchV geregelten Arzneimittel (Azithromycin, Clarithromycin, Diclofenac) überschreiten die Grenzwerte mehrheitlich in mittelgrossen und grossen Fliessgewässern. Dabei verursacht das Schmerzmittel Diclofenac weitaus am meisten Überschreitungen des ökotoxikologischen Grenzwerts.

Arzneimittel gelangen grundsätzlich mit dem gereinigten Abwasser in die Gewässer. Auch Abwässer aus Industrie und Gewerbe werden entweder direkt über eigene ARA oder indirekt über kommunale ARA in die Gewässer geleitet. Zurzeit entfernen die meisten ARA zwar verschiedenste Arten von Verunreinigungen aus dem Abwasser, Mikroverunreinigungen werden jedoch nicht oder nur teilweise zurückgehalten. Aktuell werden zahlreiche ARA durch eine zusätzliche Stufe zur Reinigung von Mikroverunreinigungen aufgerüstet. Dies wird in den kommenden Jahren eine Verbesserung der Gewässerqualität mit sich bringen.

Mikroverunreinigungen permanent über dem Grenzwert

Die Untersuchungen zeigen, dass die Wasserqualität in den Fliessgewässern die gesetzlichen Mindestanforderungen vielerorts und zum Teil anhaltend nicht erfüllt. Viele Fliessgewässer sind praktisch permanent durch Mikroverunreinigungen über den Grenzwerten belastet und somit verunreinigt. Während Überschreitungen durch Arzneimittel in vielen Fällen über das ganze Jahr hinweg andauern, treten Überschreitungen durch Pestizide vor allem während der Applikationsperiode von Pflanzenschutzmitteln auf.

Jahresverlauf der Überschreitungen der ökotoxikologischen Grenzwerte von Arzneimitteln
Jahresverlauf der Überschreitungen der ökotoxikologischen Grenzwerte von Arzneimitteln an 33 Standorten. Angaben zur Landnutzung: % LW = Anteil Landwirtschaftsfläche mit hohem PSM-Einsatz (Ackerland, Obst, Reben) im Einzugsgebiet, % Abw. = Anteil gereinigtes Abwasser bei Niedrigwasserabfluss (Q347) in den untersuchten Fliessgewässern. Daten: NAWA 2018-2021.
Jahresverlauf der Überschreitungen der ökotoxikologischen Grenzwerte von Pestiziden
Jahresverlauf der Überschreitungen der ökotoxikologischen Grenzwerte von Pestiziden an 33 Standorten. Angaben zur Landnutzung: % LW = Anteil Landwirtschaftsfläche mit hohem PSM-Einsatz (Ackerland, Obst, Reben) im Einzugsgebiet, % Abw. = Anteil gereinigtes Abwasser bei Niedrigwasserabfluss (Q347) in den untersuchten Fliessgewässern. Daten: NAWA 2018-2021.

Haupterkenntnisse der bisher durchgeführten Spezialuntersuchungen (NAWA SPEZ)

NAWA SPEZ 2012: Bei der Spezialuntersuchung NAWA SPEZ 2012 lag der Fokus auf der möglichst vollständigen Erfassung der Belastung von mittelgrossen Gewässern durch Pestizide (Pflanzenschutzmittel (PSM) und Biozide). Die Ergebnisse wiesen klar auf die hohe Relevanz von PSM für die stoffliche Belastung von Fliessgewässern hin.

Über 100 Pestizide in Fliessgewässern (PDF, 5 MB, 01.03.2014)Programm NAWA SPEZ zeigt die hohe Pestizidbelastung der Schweizer Fliessgewässer auf. Artikel aus Aqua & Gas 3/2014

NAWA SPEZ 2015: In dieser Spezialuntersuchung lagen die kleinen Fliessgewässer im Fokus. In den fünf untersuchten Gebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung wurden hohe Konzentrationsspitzen von PSM gefunden, die schädigenden Auswirkungen auf Wasserlebewesen haben.

Aqua&Gas 4/2017: Hohe PSM-Belastung in Schweizer Bächen (PDF, 3 MB, 21.03.2023)NAWA-SPEZ-Kampagne untersucht Bäche in Gebieten intensiver landwirtschaftlicher Nutzung

NAWA SPEZ 2017: In NAWA SPEZ 2017 lag der Fokus wie im 2015 auf der PSM-Belastung von kleinen Fliessgewässern in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Dabei war erstmals für zwei Standorte ein Vergleich über zwei aufeinanderfolgende Jahre möglich. Die Studie hat ebenfalls gezeigt, dass einzelne Pestizide nicht nur über längere Zeit in zu hohen Konzentrationen vorkommen, sondern auch oft verschiedene Pestizide gleichzeitig zu hohe Risiken für die Gewässerlebewesen verursachen, und dies bis in den Herbst hinein.

Aqua&Gas 4/2019: Anhaltend hohe PSM-Belastung in Bächen (PDF, 1 MB, 18.08.2022)NAWA SPEZ 2017: Kleine Gewässer in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft verbreitet betroffen

NAWA SPEZ 2023: Die aktuell laufende Spezialkampagne soll möglichst umfassend die Belastung von mittelgrossen Fliessgewässern mit Pestiziden aus Siedlung und Landwirtschaft erfassen. Dabei liegt der Fokus auf Insektiziden, die für Wasserorganismen hochgiftig sind. Dafür werden in fünf Fliessgewässern unterhalb von Kläranlagen Messungen durchgeführt. Zudem werden auch die Kläranlagenabläufe beprobt. Dies soll Hinweise darauf liefern, welcher Anteil der Insektizide aus der Landwirtschaft respektive aus der Siedlung stammt.

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Letzte Änderung 03.04.2023

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