Biodiversitätsrückgang und Klimawandel

Rede von Katrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamts für Umwelt BAFU, anlässlich der Tagung des Swiss Forum on Conservation Biology (SWIFCOB) am 5. Februar 2021.

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich bedanke mich bei den Organisatorinnen und Organisatoren für die Einladung zu dieser Tagung, und ich freue mich, Ihnen als neue Direktorin des Bundesamtes für Umwelt meine Gedanken zum Thema Biodiversitätsverlust und Klimawandel präsentieren zu dürfen. Denn Klimawandel und Biodiversität gehören zweifellos zu den strategischen Themenfeldern des BAFU. Das beweisen einerseits die grosse Anzahl an politischen Vorstössen, die von Parlamentsmitgliedern in der Wintersession neu zu diesen beiden Themen eingereicht wurden. Andererseits auch die beiden zu Stande gekommenen Volksinitiativen: Zur «Gletscherinitiative» hat der Bundesrat einen direkten Gegenentwurf in die Vernehmlassung geschickt, der «Biodiversitätsinitiative» will er einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen.

Auch in der Bevölkerung ist das Bewusstsein für die beiden Themen gross. Und es wächst: Galt der Verlust der Biodiversität gemäss der letzten Omnibus-Befragung 2015 noch für 36% als sehr gefährlich, waren 2019 bereits 54% dieser Meinung. Beim Klimawandel stieg dieser Wert in derselben Periode von 34% auf 51%.

Und dennoch: In der öffentlichen Debatte ist der Klimawandel präsenter. Und es gibt – im Unterschied zum Biodiversitätsverlust – eine Zielgrösse, die ins Bewusstsein von vielen – vor allem jungen – Menschen gerückt ist: Wenn die globale Erwärmung mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit unter 1,5 Grad Celsius bleiben soll, dann müssen die weltweiten CO2-Emissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null sinken. Dem Übereinkommen von Paris, welches die Schweiz 2015 unterzeichnet und 2017 ratifiziert hat, kommt in diesem Zusammenhang eine grosse Bedeutung zu. Die Schweiz macht mit der Totalrevision des CO2-Gesetzes und der Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung. Mit der langfristigen Klimastrategie, welche der Bundesrat letzte Woche verabschiedet hat, gibt er auch bereits den Rahmen für den zweiten Schritt Richtung Netto-Null bis 2050 vor.

Der Biodiversitätsverlust hingegen ist abstrakter. Er hat (noch) keine ähnlich hohe Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte. Und auch bei den Jungen nicht. Es fehlt ein Zielwert und eine «Terminierung» auf der Zeitachse. Auf internationaler Ebene wird im post2020-Prozess um Konsens gerungen.

Das sind die wissenschaftlichen Fakten (meine Vorredner haben sie eindrücklich dargelegt): Die Schweiz ist vom Klimawandel besonders stark betroffen. Die Erwärmung in der Schweiz ist rund doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt. Das hängt mit der Topographie, der Entfernung zum Meer und der geografischen Lage zusammen.

Auch der Zustand der Biodiversität in der Schweiz gibt – genauso wie weltweit – zu Sorgen Anlass. So sind z.B. rund ein Drittel aller für Rote Listen untersuchten Arten in der Schweiz gefährdet.

In Kenntnis dieser Fakten hat der Bund denn auch zu beiden Themenbereichen nationale Strategien und Aktionspläne ausgearbeitet.

In der «Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz» (2012) werden die Ziele, Herausforderungen und Handlungsfelder diskutiert, welche sich längerfristig als Folge des Klimawandels ergeben. Sie werden in zwei Aktionsplänen für die Jahre 2014 bis 2019 und 2020 bis 2025 mit spezifischen Massnahmen konkretisiert und umgesetzt.

Die «Strategie Biodiversität Schweiz» (2012) nimmt die Defizite aus der Vergangenheit und die Herausforderungen der Gegenwart in den Bereichen Vielfalt von Ökosystemen, Artenvielfalt und genetische Vielfalt auf. Der zugehörige Aktionsplan für 2017 bis 2023 schlägt die entsprechenden Massnahmen für die nächsten Jahre vor.

Und besonders wichtig im vorliegenden Kontext: Die «Strategie Biodiversität» adressiert den Klimawandel und umgekehrt die «Strategie zur Anpassung an den Klimawandel» auch die Biodiversität.

So werden in der Strategie Biodiversität die Regulierung des Klimas sowie der Schutz vor Naturgefahren und Krankheiten als Beispiele für Ökosystemleistungen explizit genannt. Konkretisiert wird dies u.a. im Pilotprojekt «Eindämmung des Klimawandels: Nachhaltige Nutzungen helfen den Schweizer Mooren» (A2.1) oder im Pilotprojekt «Biodiversität und Landschaftsqualitäten in Agglomerationen fördern» (A2.2).

Umgekehrt wird in der «Strategie zur Anpassung an den Klimawandel» das Biodiversitätsmanagement als ein vom Klimawandel besonders betroffener Sektor dargestellt. Im Aktionsplan 2020 bis 2025 ist das konkretisiert mit verschiedenen Massnahmen wie zum Beispiel dem «Auf- und Ausbau der ökologischen Infrastruktur zur Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der Biodiversität an den Klimawandel».

Mit andern Worten: Die beiden Strategien und Aktionspläne bauen aufeinander auf und ergänzen sich gegenseitig.

Das bringt mich zu meiner ersten These: «Biodiversität und Klimawandel sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig.»

So absorbieren und speichern die Ökosysteme an Land und im Meer etwa die Hälfte der gesamten vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen. Durch den Klimawandel werden diese Absorptions- und Speicherleistung beeinträchtigt – wie auch weitere Ökosystemleistungen wie Wasser- und Luftreinhaltung, Produktion von Nahrungsmitteln oder der Schutz von Lebensräumen des Menschen.

Auf der Ebene der Massnahmen gilt es zu beachten – und damit komme ich zu meiner zweiten These – dass «Biodiversitätsfördermassnahmen sich nicht nachteilig auf Klimaschutz- bzw. Klimaanpassungsmassnahmen auswirken, umgekehrt kann dies aber sehr wohl der Fall sein».

So kommt es beispielsweise beim zurzeit häufig propagierten Pflanzen von Bäumen als Kohlendioxid-Speicher sehr darauf an, wo und welche Baumarten gepflanzt werden. Werden diese auf Flächen gepflanzt, die vormals nicht bewaldet waren, können dadurch Lebensräume zerstört werden, deren ökologischer Wert viel höher ist, als die durch die Bäume erzielte Kohlenstoffabsorption. Auf der sicheren Seite ist man bei Klimamassnahmen, welche dazu beitragen, degradierte Ökosysteme zu sanieren und aufzuwerten. Diese ökosystembasierten Ansätze sind sowohl aus Sicht Klima als auch aus Sicht Biodiversität längerfristig am zielführendsten.

Dies bringt mich zu meiner dritten These, zu den Chancen und Synergien. Sie lautet: «Biodiversitätsrückgang und Klimawandel erfordern integrale Lösungsansätze».

Damit meine ich, dass wir zwingend Zielbilder für unsere nähere Zukunft brauchen. Unser Lebensstil in der Schweiz ist noch weit von einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten entfernt. Beinahe drei Erden wären erforderlich, wenn alle so leben würden wie die Schweizer Bevölkerung. Wir müssen unser Handeln an Zielbildern orientieren und auf Zielwerte ausrichten, an welchen wir uns messen lassen können. Gerade auch im globalen Massstab. «Netto-Null» bis 2050 fürs Klima macht es gerade vor. Warum nicht «30by30» für die Biodiversität? Der eingangs erwähnte post2020-Prozess wird es zeigen.

Zu den integralen Lösungsansätzen zählen insbesondere naturbasierte Massnahmen (so genannte "nature-based solutions"). Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele aufführen:

  • Moore zählen zu den Lebensräumen mit hohem Biodiversitätswert. Gleichzeitig sind sie auch ein wichtiger Speicher von Kohlendioxid und damit wesentlich für die Minderung des Klimawandels. Mit dem Erhalt und der Aufwertung der Moore, von Feuchtgebieten und naturnahen Wäldern, werden sowohl die biodiversitätsrelevanten wie auch die klimarelevanten Leistungen dieser Lebensräume und Ökosysteme gestärkt.
  • Naturnahe Grünflächen sowie Dach- und Fassadenbegrünungen haben bei der Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum eine Schlüsselrolle. Gleichzeitig sind sie wesentliche Elemente bei der Regulation des lokalen Klimas und tragen so dazu bei, dass sich die Menschen, insbesondere bei Hitzewellen, wohler fühlen.

In diese Richtung zielt auch die «Strategie Nachhaltige Entwicklung», in welcher der Bundesrat diese Leitidee für alle Politikbereiche des Bundes verankert.

Auf Verwaltungsebene heisst das für uns im BAFU, die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen Klima und Biodiversität noch mehr zu stärken. Und auch zur Abteilung Wald, welcher sowohl im Zusammenhang mit dem Klimawandel als auch mit der Biodiversität eine bedeutende Rolle zukommt. Aber auch andere Bundesämter, allen voran das Bundesamt für Landwirtschaft und das Bundesamt für Energie sind wichtige Partner fürs BAFU. Zusammenarbeiten heisst den konkreten Fall beurteilen, abwägen und Kompromisse eingehen.

Es braucht jedoch den Willen, die Bereitschaft und das Engagement aller. Ich lade Sie ein, packen wir es GEMEINSAM an.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Letzte Änderung 05.02.2021

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