«Meine Natur» mit Sabine Reber

In jeder Ausgabe von «die umwelt» äussert sich in dieser Kolumne eine Persönlichkeit zum Thema «Meine Natur». Ausgabe 4/2019.

Sabine Reber
Sabine Reber (49) wuchs in Biel (BE) auf, studierte Kommunikationswissenschaften in Freiburg und arbeitete danach als Autorin, Journalistin und Kolumnistin. Von 1997 bis 2004 lebte sie in Irland, wo sie ihre ersten Kräuter und Salate pflanzte. 2006 schrieb sie ihr erstes Gartenbuch. Seither ist sie so etwas wie der «grüne Daumen der Nation» und erhielt mehrere Auszeichnungen für ihre Sachbücher. Heute lebt sie mit ihrer Tochter als Schriftstellerin und Gartenpublizistin, Referentin und Bloggerin in Gsteig bei Gstaad (BE).
© sabinesgarten GmbH

Neuerdings bewege ich mich in prekärem Gelände. Ich habe den sicheren Hafen der Stadt Biel verlassen und bewohne nun mit meiner Tochter ein Berghüsi im Berner Oberland. Es ist nicht immer sehr bequem hier, und wir haben viel zu tun: Mäuse jagen, Holz hacken, solche Sachen. Wir haben unseren Besitz um zwei Drittel reduziert, viel Platz ist hier nicht, viel brauchen wir auch nicht. Dafür sind wir buchstäblich mitten in der Natur. Die Nächte sind dunkel und still, über uns steht die Milchstrasse. Manchmal schlafen wir auf der Terrasse, lauschen den Schmelzwasserfällen auf der anderen Talseite und betrachten die Sterne.
    
Dass ich hier ein Gärtchen anlege, ist wie Wasser ins Meer tragen. Inmitten der Wildblumenwiesen sehen meine Stauden fast schäbig aus. Und erst die Blütenpracht des Bergfrühlings weiter oben, winzigste Mehlprimeln, Aurikelchen und Soldanellen, so weit das Auge reicht. Am Fuss des
Tsanfleuron-Gletschers überkommt mich Demut. Das ist mein grosser Garten, in den Felsen, auf den Steilhängen nahe dem ewigen Eis. Der Name unseres Hausgletschers bedeutet übrigens Blumenwiese. Offenbar stammt er aus einer Zeit, als hier oben schon einmal kein Eis lag.

Wo die Gletscher schwinden, wird das Gelände erst einmal gefährlich. Der Boden bricht uns unter den Füssen weg, wenn wir mit Steigeisen über Geröllhalden balancieren, immer wieder ins Leere treten, weil kein Eis mehr den Pfad zum nächsten Steinmanndli festigt. Bald aber tauchen die ersten Pflänzchen auf, besiedeln die frei gewordenen Nischen.

Zurück von meinen Streifzügen durch den Bergfrühling, überlege ich mir, wie sich mein Gärtchen einfügt in den hochalpinen ökologischen Kreislauf. Nichts von dem, was ich hier pflanze, darf sich in die Wiesen versamen. Ich probiere aus, welches Gemüse in dem exponierten Klima auf 1300 Metern über Meer zurechtkommt. Ich staune, wie gut die Tomaten trotz dem langen, kalten Frühling Früchte ansetzen, und denke zurück an eine Reise nach Grönland, wo ich vor Jahren schon staunte, dass in Sichtweite der Eisberge plötzlich Gemüse angebaut werden konnte. Das war ein bisschen unheimlich, weil allen klar war, es wird viel zu schnell immer wärmer.

Während ich mit meiner Tochter auf der Terrasse sitze und dem Wasserfall auf der anderen Talseite lausche, fordert sie, wir sollten noch weniger Auto fahren. Auf ihr Drängen hin essen wir auch fast kein Fleisch mehr und kaufen möglichst nichts, was in Plastik verpackt ist. Wir können ja direkt zusehen, wie uns der Gletscher unter den Füssen wegschmilzt. Und irgendwann wird es dann auch für meine geliebten Mehlprimeln und Soldanellen und den ganzen prächtigen Bergfrühling zu heiss.

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Letzte Änderung 04.12.2019

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