«Meine Natur» mit Gustav

In jeder Ausgabe von «die umwelt» äussert sich in dieser Kolumne eine Persönlichkeit zum Thema «Meine Natur». Ausgabe 2/2020.

Gustav
Gustav alias Pascal Vonlanthen (44) ist Musiker. Als gebürtiger Freiburger singt er in Dialekt (Senslerdeutsch), Hochdeutsch und Französisch, gleichsam als Hommage an die mehrsprachige Schweiz. Bis jetzt hat er insgesamt neun Studioalben veröffentlicht. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er bekannt, als er 2010 die SRF-Show «Kampf der Chöre» gewann. Als Vertreter der Schweizer Musikkultur wurde Gustav mehrfach ins Ausland eingeladen. Sein jüngstes Projekt ist die «Gustav Akademie», mit der junge Musiktalente gefördert werden sollen. Er lebt in Freiburg, ist verheiratet und hat drei Kinder.
© Tibor Nad

Die Natur hat mich zu einem verweichlichten, ausgebleichten und zartpflanzigen Stubenhocker gemacht. Sie will nicht, dass ich mich in ihr verlaufe, mich in sie hineinlege, sie berühre oder einatme. Ich habe sie in den höchsten Tönen besungen, in den schönsten Farben gemalt und ihr unzählige Gedichte gewidmet. Aber diese blöd aufgeblasene Kuh will mich einfach nicht in ihrer Nähe haben. Einen Korb zu bekommen, könnte ich noch halbwegs verkraften, aber sie lässt mich wie eine Fliege in der trockenen Stube verdorren, lässt mich leiden, für meine tiefe Zuneigung zu ihr schmerzvoll büssen.

Könnt ihr euch vorstellen, wie man sich da ausgeschlossen fühlt, wenn all die fröhlichen Menschen im Frühjahr lachend und verliebt durch die blühenden Wiesen dieser Welt hüpfen und im Sommer sich die liebestrunkenen Picknicker auf den grünen Matten wälzen und die nackten Körper im ausgekippten Hörnlisalat suhlen? Grün vor Neid sitze ich dann hinter dem Fensterglas, rotze in mein tropfnasses Nastuch und reibe mir die Clownnase und sämtliche Kopf-, Gesichts- und Körperhaut wund. Während ich mir alle paar Minuten Triofan in die roten Augen tröpfle, verabschiede ich mich mit einem Zyrtec von meiner Angebeteten und versinke wie ein zugedröhnter Kiffer in den Tiefen meines Canapés.

Eigentlich müsste ich sie dafür hassen. Aber ich tus nicht. Ich liebe sie. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Sie, diese eingebildete, aufgeblasene Diva. In schwülstigen Gewändern steht sie wie Maria Callas da und macht alle um sie herum verrückt. Sie lässt sich nicht erobern, besitzen oder an sich reissen. Viele ihrer Geheimnisse hält sie tief in sich verborgen. Manch einer hat schon versucht, sie in den kleinsten Molekülen zu verstehen, sie in den dunkelsten Tiefen und atemberaubendsten Höhen zu ergründen. Sie gibt sich geheimnisvoll. Schön und voller Rätsel verdreht sie uns allen den Kopf. Macht uns hungrig und gierig nach ihr. Wir vergöttern sie. Aber sie? Sie ist, was uns Menschen anbelangt (und mich im Besonderen), komplett und gänzlich ohne Empathie. Wir sind ihr – salopp gesagt – scheissegal.

Es kränkt sie kein bisschen, wenn von ihr abgewiesene Bewunderer sie mit Gasen, Sägen und Feuer in ihren Gefühlen verletzen wollen. Andere wollen sie beschützen, schonen und bewahren, wir Idioten hauen uns sogar die Köpfe für sie ein! Doch sie will gar nicht gerettet werden! Es gibt nichts zu retten. Sie hat ihre Schönheit in all den Jahren ihrer Existenz nie verloren. Es gab vielleicht Jahre, da gab sie sich etwas karger, in anderen dafür umso üppiger. Für sie sind wir lediglich ein paar Milliarden quengelnder kleiner Würmer, die sie schon lange aufgefressen hätte, würden wir nicht so ekelhaft schmecken.

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Letzte Änderung 03.06.2020

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