Editorial von Karine Siegwart, Vizedirektorin BAFU
Wenn ich mit meinen Kindern diskutiere, ist die Zweischneidigkeit der Digitalisierung ein häufiges Thema: Die Jugend ist digital unterwegs, verabredet sich über WhatsApp zum Klimastreik und weiss über die neuesten Handymodelle Bescheid. Zugleich treibt es meine Familie um, dass die Reparatur eines Smartphones sehr teuer oder gar nicht möglich ist – obschon es mindestens drei Jahre benützt werden sollte, damit es keinen zu grossen ökologischen Fussabdruck hinterlässt. Diese Ambivalenz findet sich in vielen Aspekten der Digitalisierung. Für die Fernerkundung beispielsweise sind auf der einen Seite enorme Infrastrukturen und ein erheblicher Einsatz an Energie erforderlich. Auf der anderen Seite liefert sie uns eine Vielzahl von Daten, die es uns ermöglichen, Umweltprobleme frühzeitig zu erkennen und natürliche Ressourcen effizienter zu nutzen.
Das BAFU ist ein Bundesamt mit einem grossen Datenbestand – dies dank der zahlreichen Messnetze, die den Zustand von Boden, Wasser, Luft und Biodiversität erheben. Wir haben ein grosses Interesse, dass diese Daten auch verwendet werden. Denn sie gestatten es, zu überprüfen, ob Massnahmen zum Schutz der Umwelt ihre erwünschte Wirkung entfalten oder ob sie nachjustiert werden müssen. Diese Überzeugung widerspiegelt sich denn auch in den beiden bundesrätlichen Strategien «Digitale Schweiz» und «Open Government Data». Im Übrigen hat der Bundesrat im Rahmen seiner Legislaturplanung die Digitalisierung neben der Klimapolitik und den Beziehungen zur Europäischen Union zu einem seiner drei Schwerpunktthemen gemacht.
Die Digitalisierung erweitert aber nicht nur unser Wissen über die Natur, sondern verändert auch unsere Gewohnheiten und den Austausch mit anderen Menschen. So fällt mir auf, dass selbst im Gespräch oft sofort zum Handy gegriffen wird, wenn jemandem der Name einer Person nicht einfallen will oder ein historischer Sachverhalt nicht geläufig ist. Bei uns zu Hause legen wir am Tisch die Handys weg – und wenn wir etwas nicht wissen, versuchen wir, die Antwort gemeinsam im Dialog zu finden. Dies gilt auch für die Umweltpolitik, und Forscherinnen und Wissenschaftler haben bereits zur Entdeckerzeit hierfür den Grundstein gelegt: Der Mensch muss seine Umwelt «begreifen», mit all seinen Sinnen, um Entscheidungen treffen zu können. Satellitenbilder oder automatisierte Datenerhebung, Blockchain-Technologien, Algorithmen sind hierfür wichtige Instrumente – sie ersetzen aber nicht die Beobachtungs- und Auffassungsgabe des Menschen vor Ort. Bei aller Begeisterung für die vielfältigen Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung erwachsen, scheint es mir wichtig, dass wir nicht in der faszinierenden virtuellen Welt erstarren, sondern beweglich bleiben und die Potenziale des Unmittelbaren und Analogen weiterhin ausschöpfen.
Letzte Änderung 04.09.2019