Landwirtschaft: «Digitale Helferlein ebnen den Weg zur nationalen Bodenkarte»

Die Schweiz kommt bei der Kartierung ihrer Böden kaum vom Fleck. Die Digitalisierung könnte den Prozess entscheidend beschleunigen.

Text: Gregor Klaus

Digitale Helferlein
Eine neuartige Apparatur soll die Bodenprofilaufnahme leichter machen. Aus dem Boden gezogene Bohrkerne können innerhalb einer Minute gescannt werden. Dies liefert wertvolle Informationen zum Bodenprofil am jeweiligen Standort.
© HAFL

Jeder moderne und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Staat sollte heute seine Böden flächendeckend digita-
lisiert erfasst haben. Das sind schlechte Nachrichten für die Schweiz. Im Unterschied zu den meisten Industriestaaten, die ausgereifte Plattformen für Erhebung und Management von Bodeninformationen betreiben, hat sie nämlich 1996 den Nationalen Bodenkartierungsdienst eingestellt und die Arbeiten kurzerhand den Kantonen übertragen. Seither werden pro Jahr im Mittel gerade mal 2400 Hektaren Boden kartiert – und zwar analog und lediglich projektbezogen. «Gehen die Bodenaufnahmen in diesem Tempo weiter, wäre die Schweiz erst in etwa 1000 Jahren vollständig, aber unsystematisch kartiert», sagt Fabio Wegmann von der Sektion Boden beim BAFU. Dabei müsste in spätestens 10 bis 15 Jahren bekannt sein, wo die guten Böden liegen, die auf keinen Fall überbaut werden dürfen. Dann nämlich, wenn es in den Kantonen zu neuen Einzonungswellen kommt.

Bohrfahrzeug mit Bodenscanner

Doch die hierzulande unbefriedigende Situation ist vielleicht schon bald Vergangenheit. Denn dank der neuen Methoden und Geräte der Digitalisierung könnten die Lücken bei den Bodeninformationen schon bald geschlossen sein.

Eine der innovativen Vorrichtungen steht im Labor von Stéphane Burgos von der Berner Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen (BE). Die Apparatur besteht aus einer Kamera, die kopfüber an einer Schiene hängt und innerhalb einer Minute einen zuvor aus dem Boden gezogenen Bohrkern automatisch scannen kann. Der Fotoapparat soll allerdings schon bald durch eine Multispektral-Kamera ersetzt werden. Damit würde es möglich, aufgrund der unterschiedlichen Wellenlängen der verschiedenen Bodenbestandteile Eigenschaften wie Ton- und Humusgehalt ohne aufwendige chemische Analysen zu bestimmen und digital zu speichern. Das ganze Gerät wird auf den Anhänger eines Quads montiert, der eine Bohrvorrichtung aufweist. Die Bohrsonde ist mit zwei Metern doppelt so lang wie beim Vorgängermodell, was ganz neue Einblicke in den Untergrund ermöglicht.

Modellierungen als Hilfsmittel

Werden also in den kommenden Jahren unzählige Quads durch die Schweizer Landschaft rumpeln und Bodeninformationen sammeln? Stéphane Burgos winkt ab: Die Technologie müsse erst zur Serienreife gelangen und anschliessend ihren Platz im Kartierungsprozess finden. Ausserdem bräuchte es mehrere 100 000 Bohrungen, um die Schweiz zu kartieren. Statt jede Hektare zu beproben, sei es sinnvoller, aufgrund einer minimalen Dichte an Bohrungen die Bodeneigenschaften flächendeckend digital zu modellieren.

Für die Modellierungen stehen zahlreiche nationale Datensätze zu Geologie, Klima, Vegetation oder Relief zur Verfügung. Die auf dieser Basis gewonnene Karte liefert genaue Hinweise darüber, wo weitere Bohrungen notwendig sind, erklärt Burgos. Das spare Zeit und Geld. Mit jeder zusätzlichen Bohrung und jedem weiteren Datensatz könne die Bodenkarte neu gerechnet werden. «Man nähert sich so Schritt für Schritt der Realität an» – so, wie es Forschenden im Rahmen des NFP-68-Projekts «Bodenkarten» gelungen sei.

Läutet diese Entwicklung das Ende der bisherigen Bodenkunde ein? «Im Gegenteil!», ist Armin Keller, Leiter des Kompetenzzentrums Boden, überzeugt. «Modellierungen ergeben nur dann sinnvolle Prognosen, wenn sie auf guten Daten basieren. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Bodenfachleute für die Erhebung zuverlässiger Bodendaten. Die digitalen Helferlein können aber manche Arbeitsschritte unterstützen.»

Dieser Meinung schliesst sich Stéphane Burgos an: «Modelle hängen von Basisinformationen ab, die nur von Menschen bestimmt werden können. Sogar die oben beschriebene Spektralkamera muss mit Daten aus echten Bodenprofilen geeicht werden, die klassisch im Labor gewonnen wurden. Dazu braucht es eine Spektralbibliothek aus echten Bodenprofilen. Bei der Digitalisierung im Bereich Boden geht es darum, existierende Technologien zu nutzen. Nicht mehr und nicht weniger.»

Kompetenzzentrum Boden

Der Bodenkundler stellt ein weiteres wichtiges «digitales Helferlein» vor: eine App, mit deren Hilfe von Hand im Feld aufgenommene Bodendaten elektronisch gespeichert werden können. Denn die Bodeninformationen müssen in Zukunft digital geliefert werden, um all die gesellschaftlich relevanten Herausforderungen, die mit dem Boden zu tun haben, meistern zu können. Dazu gehören unter anderem eine hohe Ernährungssicherheit, eine hohe Umweltqualität und der Schutz vor Naturgefahren unter einem neuen Klimaregime. Die Aufnahmen der letzten Jahrzehnte sind nicht verloren: Im Rahmen des Projekts «Bodeninformation Schweiz» werden auf Initiative der Bodenkund­lichen Gesellschaft der Schweiz und im Auftrag des BAFU seit dem Jahr 2000 ältere, nur auf Papier vorliegende Bodendaten digital aufgearbeitet und mit dem nationalen Bodeninformationssystem NABODAT verfügbar gemacht.

Bleibt die Frage, wer all die digitalen und physischen Bodeninformationen verwaltet, Standards zur Datenerhebung und zur Interpretation verbindlich festsetzt und aktualisiert sowie neue Technologien weiterentwickelt. Der BAFU-Bodenfachmann Fabio Wegmann hat da klare Vorstellungen: «Dreh- und Angelpunkt wird das vom BAFU sowie von den Bundesämtern für Landwirtschaft (BLW) und für Raumentwicklung (ARE) finanzierte Bodenkompetenzzentrum, das Mitte 2019 seinen zweijährigen Probebetrieb an der HAFL aufgenommen hat.» Und der Zentrums­leiter Armin Keller hofft, dass der Bund den Betrieb schon bald langfristig sicherstellt. Das Zentrum sei eine lohnende Investition, so der Bodenexperte. «Jeder Franken, der in die Erhebung von Bodeninformationen investiert wird, generiert durchschnittlich einen Mehrwert von 6 Franken – konservativ gerechnet.»

Ökologische Probleme digital entschärfen

Die digitale Transformation eröffnet viele «smarte» Möglichkeiten für eine umwelt- und ressourcenschonende Landwirtschaft. Anstatt dass etwa grossflächig Pestizide über die Flächen gesprüht werden, hacken autonom fahrende und mit Sensoren ausgestattete Roboter die Unkräuter aus. Und Drohnen überwachen das Gedeihen von Kulturpflanzen und liefern Informationen, wo genau welche Dosis an Dünger erforderlich ist. Mehrere Forschungseinrichtungen und Firmen entwickeln und testen digitale Technologien und Anwendungen und geben ihre Erkenntnisse an die landwirtschaftliche Praxis weiter. Europaweit einmalig ist die «Swiss Future Farm» am Agroscope-Standort Tänikon (TG), eine Versuchsanstalt für neue Technologien in der Land- und Ernährungswirtschaft. Angesichts der raschen Entwicklung der Technik und der erforderlichen Investitionen wird freilich nicht alles, was auf den ersten Blick besticht, auch in der Praxis überzeugen.

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Letzte Änderung 04.09.2019

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