Ökonomie: Finanzwelt trifft Biodiversität

Wenn die Biodiversität abnimmt und Ökosysteme Schaden nehmen, kann es teuer werden für die Menschheit. Der Finanzsektor beginnt, solche Risiken zu erkennen und der Nachhaltigkeit mehr Gewicht beizumessen.

Text: Mike Sommer

Auch die einheimische Bremsenart Silvius alpinus trägt zur Bestäubung von Pflanzen bei – und leistet damit einen wichtigen Beitrag an unsere ökonomische Lebensgrundlage.
© naturfoto-schaffner.ch

Welchen Wert hat die Biodiversität? Die Frage ist für Basil Oberholzer von der Sektion Ökonomie des BAFU nicht leicht zu beantworten: «Ökosysteme mit ihren Wechselwirkungen zwischen den Arten wie Wälder, Böden oder Meere stellen wichtige Leistungen von grosser ökonomischer Bedeutung zur Verfügung – zum Beispiel Trinkwasser und Nahrung, aber auch immaterielle Werte wie Erholung und Gesundheit. Schwindet die Biodiversität, kann die Natur diese Leistungen nicht mehr oder nur noch beschränkt erbringen. Dann haben wir ein Problem.»

Was das konkret heisst, zeigt das Beispiel der Bienen, die ebenfalls eine Ökosystemleistung erbringen und dabei auf intakte Ökosysteme angewiesen sind. Gemäss einer Studie von Agroscope beträgt allein der direkte Nutzwert der Bestäubung von Kulturpflanzen durch Honig- und Wildbienen in der Schweiz 205 bis 479 Millionen Franken pro Jahr. In vielen Obstbaugebieten in China müssen heute, nachdem die Bienen verschwunden sind, die Obstbäume in mühsamer Handarbeit bestäubt werden – Blüte um Blüte. Was die Bestäuberinsekten für die Menschheit bedeuten, demonstrierte ein Supermarkt in Hamburg, der einen Tag lang alle Produkte aus den Regalen nahm, die es nebst Honig dank den Bienen gibt. Obst, Gemüse, Öle, Fertiggerichte, Babynahrung, Kosmetika, Kleider aus Baumwolle – alles weg. 60 Prozent der Regale blieben leer.

Geld anlegen – aber richtig

Will die Menschheit auf die «Dienstleistungen der Natur» in Zukunft nicht verzichten, muss sie den Ökosystemen Sorge tragen und dementsprechend Böden, Gewässer, Klima, Tier- und Pflanzengemeinschaften schützen. «Unser Wohlstand und unser Wohlbefinden bauen auf Naturkapital und funktionierenden Ökosystemleistungen auf», sagt Romina Schwarz von der Sektion Ökonomie des BAFU. «Mit unseren weltweiten Konsum- und Produktionsmustern beeinflussen wir als Menschheit unsere Zukunft massgeblich. Wir alle sind gefordert: die Staatengemeinschaft mit geeigneten Rahmenbedingungen, die Realwirtschaft, der Finanzsektor und wir als Einzelne. Dem Finanzsektor kommt dabei eine zentrale Steuerfunktion zu. So lange das Geld von privaten und institutionellen Anlegern in Unternehmen fliesst, die auf Kosten der Umwelt wirtschaften, wird laufend Naturkapital abgebaut. Wirkungsvolle, nachhaltige Kredite und Anlagen hingegen tragen zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume bei und sichern die ökonomischen Grundlagen der Menschheit.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Die Umsetzung müsse jedoch angesichts des ökologischen Handlungsbedarfs schneller voranschreiten, ist Romina Schwarz überzeugt. «Hoffnungsvoll stimmt einen, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten steigt, da immer mehr Menschen wollen, dass ihr Geld für und nicht gegen die Umwelt arbeitet. Auch bei Pensionskassen, Versicherungen und Banken findet ein Umdenken statt.» Bezüglich Rendite sind nachhaltige Anlagen den herkömmlichen mindestens ebenbürtig. Langfristig bieten sie sogar mehr Sicherheit als Anlagen in Unternehmen, welche die Umwelt schädigen. Denn die sind von Reputationsschäden bedroht und setzen häufig auf Geschäftsmodelle, die früher oder später obsolet werden.

Trotz grosser jährlicher Wachstumsraten sind nachhaltige Anlageprodukte immer noch eine Marktnische und bezogen auf Biodiversität erst in den Anfängen. Auch was den Wirksamkeitsnachweis nachhaltiger Finanzmarktprodukte anbelangt, sind noch grosse Anstrengungen nötig. «Die Herausforderung besteht darin, Ökosystemleistungen zu bewerten», betont Basil Oberholzer. Eine Bewertung sei zentral, um die Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf Ökosysteme zu beurteilen und Finanzmarktprodukte mit messbarer Nachhaltigkeitswirkung anbieten zu können. Oder um als Anleger Druck auf ein Unternehmen auszuüben, damit es Umweltaspekte besser beachtet.

Internationale Initiativen sind daran, entsprechende Bewertungssysteme aufzubauen. «Die Schweiz unterstützt solche Bemühungen und erarbeitet selber methodische Grundlagen, die internatio­nal abgestützt sind», sagt Romina Schwarz, «denn uns ist wichtig, dass die Integration der Umweltkriterien in die Finanzwelt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und sich an den internationalen Umweltabkommen ausrichtet.» Die Wissenschaft ist gefordert, methodische Grundlagen für Finanzentscheide mit messbarer Umweltwirkung voranzutreiben. Um diese Brückenleistung zu beschleunigen, arbeitet das BAFU eng mit der Wissenschaft sowie nationalen und internationalen Behörden und Initiativen zusammen.

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Letzte Änderung 06.03.2019

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