Wirtschaftswachstum und Bodenverbrauch: «Ausserhalb der Bauzone zu bauen, muss mehr kosten»

Wirtschaftliches Wachstum gilt als Garant für Wohlstand. Doch wenn dafür eine begrenzte Ressource wie der Boden verbraucht wird, reicht es nicht, auf die regulierende Kraft des Marktes zu vertrauen. Gemeinsam mit zwei Experten auf den Gebieten Wirtschaft beziehungsweise Raumplanung lotet umwelt das Spannungs-feld zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Bodenschutz aus.

Interview: Lucienne Rey

Dr. Roger Wehrli, stellvertretender Leiter Allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung im Wirtschaftsdachverband economiesuisse (links) und Lukas Bühlmann, Direktor des nationalen Verbandes für Raumplanung und Raumentwicklung in der Schweiz.
© Ephraim Bieri/BAFU

umwelt: Der Volkswirtschaftslehre zufolge zeigt der Preis die Knappheit eines Gutes an. Nun wird die Schweiz aber zunehmend zersiedelt, indem Kulturland überbaut wird. Ist der Schweizer Boden zu billig, Herr Wehrli?

Roger Wehrli (RW): Tatsächlich müsste der Preis die Knappheit anzeigen, und in Zentrumslagen stellen wir denn auch einen starken Preisanstieg fest. Es gibt jedoch Rahmenbedingungen, die im Markt intervenieren. Wenn Sie im Zentrum bauen wollen, müssen Sie sich an Vorgaben, zum Beispiel an eine Ausnützungsziffer, halten. Daher bildet der Preis die eigentliche Knappheit nicht ab. Wenn nämlich die effektive Nachfrage befriedigt werden sollte, müsste man oft höher bauen, als die Vorschriften es zulassen. Darf ich aber als Bauherr nur fünf Stockwerke bauen, überlege ich mir, welchen Preis ich noch zahlen will.

Lukas Bühlmann (LB): Zudem ist es einfacher, am Siedlungsrand zu bauen als im Zentrum, denn auf der grünen Wiese sind weniger Einsprachen von Nachbarn zu erwarten. Oft habe ich allerdings den Eindruck, dass besonders Gewerbeland zu billigist. Wenn ich sehe, dass man Verkaufsläden sowie Gewerbe- und Logistikbauten einstöckig erstellt oder auf bestem Land offene statt unterirdische Parkplätze anlegt, deutet das auf einen zu günstigen Bodenpreis hin.

Was treibt die Zersiedelung und damit den Bodenverbrauch an?

LB: Die jetzige Situation unterscheidet sich stark von derjenigen vor der Revision des Raumplanungsgesetzes. Diese hat in den Köpfen der Planer und der Politiker viel bewegt. Früher haben die Gemeinden Land einfach eingezont, wenn sie Baulandbedarf hatten, und die Planungen wurden durchgewinkt. Das ist heute vorbei.

RW: Gesellschaftliche Veränderungen sind starke Treiber: Heute stellen wir hohe Ansprüche an den Wohnraum. Während im Jahr 1980 die Wohnfläche pro Kopf 34 Quadratmeter betrug, ist sie seither massiv angestiegen auf derzeit 45 Quadratmeter. Zugleich nimmt die Anzahl der Personen pro Haushalt ab, und die Menschen bleiben in ihren Häusern, auch wenn die Kinder ausgezogen sind. Der Boden wird also nicht effizient genutzt.

Roger Wehrli
Im Anschluss an seine Dissertation im Bereich Ressourcenökonomie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich war Roger Wehrli zunächst Forschungskoordinator am Institut für Tourismuswirtschaft (ITW) an der Hochschule Luzern und Ökonom bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich. Anfang 2017 nahm er seine Tätigkeit beim Dachverband der Schweizer Wirtschaft, economiesuisse, auf, wo er stellvertretender Leiter der Abteilung Allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung ist.
© Ephraim Bieri/BAFU

Aber man kann die Leute doch schlecht aus ihren eigenen Häusern vertreiben ...

LB: Oft fehlt das passende Angebot, denn der Markt liefert nicht alles, was nachgefragt wird. Viele Gemeinden haben sich nie überlegt, ein Angebot an Alterswohnungen zu schaffen. Ältere Menschen möchten ihr Quartier und ihr Dorf nicht verlassen, und wenn sie in der gewünschten Umgebung keine passende und bezahlbare Wohnung finden, bleiben sie in ihrem Haus.

RW: Tatsächlich könnten auf kommunaler Ebene entsprechende Angebote helfen. Die Eigentumsgarantie muss aber unbedingt respektiert werden. Sodann gilt es zu bedenken, dass die Landwirtschaft selber viel zur Versiegelung von Kulturland ausserhalb der Bauzone beiträgt. Der Kanton Aargau hat nachgewiesen, dass er einen erheblichen Teil des Kulturlandes ausserhalb der Bauzone wegen der Landwirtschaft eingebüsst hat.

LB: Das macht mir ebenfalls Sorgen: Das Bauen ausserhalb der Bauzone sehe ich weit weniger optimistisch als die Entwicklungen bei der Verdichtung. Weil Bauland teuer ist, wird für immer mehr Nutzungen in die Landwirtschaftszone ausgewichen. Neben Freizeitaktivitäten sind dies vor allem landwirtschaftsnahe Tätigkeiten wie die Lagerhaltung oder die Aufbereitung von Produkten. Zudem werden – oft auf den besten Böden – ständig mehr flächenintensive Hallen für die bodenunabhängige Tiermast erstellt.

Welche Instrumente könnten den Bodenverbrauch eindämmen?

LB: Das Raumplanungsgesetz folgt dem Grundsatz, Baugebiet von Nichtbaugebiet zu trennen. Das führt automatisch zu getrennten Bodenmärkten, was auch im volkswirtschaftlichen Interesse liegt. Es soll ja nicht nur mit dem Boden, sondern auch mit der Infrastruktur effizient umgegangen werden. Um das Problem der zunehmenden Bauten ausserhalb der Bauzone in den Griff zu bekommen, wird über eine Kompensationspflicht nachgedacht: Wem das Privileg zugestanden wird, ausserhalb der Bauzone zu bauen, der müsste dafür ein nicht mehr benutztes Gebäude beseitigen. Das ist ein interessantes Instrument, um Boden haushälterischer zu nutzen.

RW: Das gäbe uns die benötigte Flexibilität für weitere Entwicklungen; wir von economiesuisse sprechen denn auch statt von Landschaftsschutz lieber von Landschaftsentwicklung.

Wäre es sinnvoll, den Abbau solcher nicht mehr genutzten Gebäude mit öffentlichen Geldern zu unterstützen?

RW: Nein, denn damit würde das Bauen ausserhalb der Bauzone wieder billiger. Es muss mehr kosten, ausserhalb der Bauzone zu bauen. Überdies wären auch Änderungen in der Agrarpolitik angebracht. Wenn heute ein Bauer Land in der Bauzone bewirtschaftet, erhält er unter Umständen Direktzahlungen; das senkt seine Motivation, diese Flächen fürs Bauen freizugeben. Das müsste aufhören – wer Bauland bewirtschaftet, sollte keine Direktzahlungen erhalten.

LB: Auch bei der Besteuerung gibt es Handlungsbedarf. Landwirtschaftlich genutztes Bauland wird in vielen Kantonen zum landwirtschaftlichen Ertragswert besteuert. Wäre es als Bauland zu versteuern, würde sich der Druck, es auch entsprechend zu nutzen, erhöhen.

Wald untersteht absolutem Schutz. Wäre das auch ein Ansatz für das Kulturland?

RW: Beim absoluten Schutz verschärft sich der Konflikt zwischen Fruchtfolgeflächen und wichtigen Biodiversitätsflächen, zum Beispiel Moorland. Würden Fruchtfolgeflächen geschützt wie der Wald, nähme der Druck im gesamten System zu. Dabei wäre mehr Flexibilität wünschenswert. So hat etwa die Waldfläche seit 1985 um 11 Prozent zugenommen. Durch gezielte Waldrodungen könnten deshalb beispielsweise Fruchtfolgeflächen gewonnen werden. Mir ist aber bewusst, dass dies ein provokativer Gedanke ist, da es sich beim Wald um einen wichtigen Erholungsraum handelt.

LB: Wir dürfen das Gärtlidenken, das einen starren Umgang mit verschiedenen Flächen- und Bodenarten vorsieht, in der Tat nicht noch weiter treiben. Der raumplanerische Handlungsspielraum für gesamthaft gute Lösungen geht damit verloren, und es gilt, vermehrt auch nach Synergien zu suchen. Die Biodiversität kann durch geeignete Massnahmen auch auf Landwirtschaftsflächen, im Wald oder gar im Siedlungsraum gefördert werden.

Sehen Sie eine Möglichkeit, wie auch der Qualität unterschiedlicher Böden stärker Rechnung getragen werden kann?

LB: Wenn wir Kulturland sagen, denken wir in der Regel an Fruchtfolgeflächen. Es gibt jedoch Kulturland, das keine Fruchtfolgefläche ist und trotzdem wichtig ist. Wir müssten also mehr über den Wert unseres Bodens wissen – und zwar nicht nur für die Landwirtschaft. Die Untersuchungen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) liefern Grundlagen dafür, und es ist zu hoffen, dass diese auch bei der Überarbeitung des Sachplans Fruchtfolgeflächen berücksichtigt werden. Nötig wären aber auch Bodenkartierungen, die detailliert Auskunft geben über den Aufbau und die Eigenschaften des Bodens und die heute noch fehlen. Damit liesse sich der Bodenqualität bei der Interessenabwägung besser Rechnung tragen.

RW: Es wäre interessant, die verschiedenen Facetten der Bodenqualität mittels sogenannter Bodenindexpunkte in einem klar definierten System zu erfassen. Ich warne allerdings vor den gewaltigen Kosten, die entstünden, wenn wir die ganze Schweiz so vermessen wollten. Doch als Basis für den Abtausch von Zonen wäre dies ein sinnvolles Instrument. 

Lukas Bühlmann
Nach beruflichen Einsätzen für die Wettbewerbskommission und die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte war lic. iur. Lukas Bühlmann während vier Jahren für das Bundesamt für Raumplanung tätig. 1990 nahm er seine Tätigkeit bei der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN) auf. Seit 2003 ist er deren Direktor. Ausserdem ist er Präsident des Rats für Raumordnung und Vizepräsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL).
© Ephraim Bieri/BAFU

Bodenverbrauch heisst auch Wohlstand. Wie können wir diesen sichern und zugleich sparsam mit dem Boden umgehen?

RW: Als Dachverband der Schweizer Wirtschaft steht economiesuisse hinter der Revision des Raumplanungsgesetzes: Boden ist eine begrenzte Ressource, die nicht unbeschränkt überbaut werden kann. Dass jetzt etwas restriktiver geplant wird, ist sicher richtig, zumal heute wieder mehr Leute in den städtischen Zentren leben wollen, wo der Boden effizienter genutzt wird. Wichtig ist auch, darauf zu achten, dass nicht einfach irgendwo Blöcke hingestellt, sondern neue urbane Qualitäten geschaffen werden, mit ausreichend Grün und Erholungsräumen.

LB: Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Trends spielen der Raumplanung in die Hand: Der Wunsch nach dem Einfamilienhaus hat abgenommen; zudem kommen dank dem Generationenwechsel immer mehr solche Häuser auf den Markt. Städtische Quartiere wiederum haben an Attraktivität gewonnen, nicht zuletzt durch Verkehrsberuhigungen. Junge Leute, Familien, aber auch ältere Menschen suchen zentrale Lagen wegen der Infrastruktur, etwa einer guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr, Einkaufsmöglichkeiten und Angeboten für Kinderbetreuung.

RW: Der Raumplanung kommt auch entgegen, dass die benötigte Fläche pro Arbeitsplatz abgenommen hat. Im Büro braucht nicht mehr jede Person einen Arbeitsplatz, und es besteht weiterhin Potenzial, Raum freizusetzen. Auch die Möglichkeiten des Homeoffice sind längst noch nicht ausgeschöpft.

Die Raumplanung liegt in der Hoheit von Kantonen und Gemeinden. Müsste nicht der Bund stärker eingreifen, um sicherzustellen, dass in grösseren Zusammenhängen geplant wird, etwa in Form funktionaler Räume?

RW: Planungen sind besser ver-ankert, wenn sie von unten kommen. Wenn die Erfahrungen der Menschen vor Ort in einen funktionalen Raum einfliessen, hat dieser eine höhere Legitimation. Das ist eine grosse Stärke. So gesehen, ist der Föderalismus bei der Raumplanung sogar von Vorteil.

LB: Ich teile diese Ansicht. Eine übergeordnete räumliche Abstimmung findet ja trotzdem statt. So wird mit dem revidierten Raumplanungsgesetz verlangt, dass die Richtpläne der Kantone die Siedlungsentwicklung auf ihrem Gebiet besser steuern und dass die Bauzonen regional aufeinander abgestimmt werden.

Verdichtetes und damit bodensparendes Bauen wird grundsätzlich von vielen gutgeheissen. Die Umsetzung hingegen stösst oft auf Widerstand. Wie ist diesem Problem zu begegnen?

LB: Mit Partizipation und sorgfältiger Planung. Die Grundeigentümer und die Nachbarschaft müssen unbedingt frühzeitig in den Prozess einbezogen werden. Die Nachteile der Verdichtung – weniger Platz, weniger Licht, mehr Lärm – sind zu minimieren und durch Mehrwerte wie die Schaffung von Pärken, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Bereitstellung soziokultureller Angebote auszugleichen. Der Bund hat ein Modellvorhaben in Sempach unterstützt, wo mit den Grundeigentümern in einem Einfamilienhausquartier eine Lösung erarbeitet wurde. Zunächst galt es zu ermitteln, was den Menschen dort wichtig ist, und das ist der Ausblick ins Grüne. Daher wurden in der Folge Anbauten nur vor oder hinter dem Haus gestattet, sodass die Sichtachsen offen blieben. So kam eine super Lösung zustande, allerdings in einem aufwendigen und kostspieligen Prozess. Es braucht gute Beispiele. Und die Leute, die von Auf- und Umzonungen profitieren, müssen auch etwas dafür bezahlen.

RW: Aber die Mehrwertabschöpfung sollte erst erfolgen, wenn ein Projekt realisiert wird. So lässt sich ein erheblicher Widerstand gegen die Verdichtung brechen. Ausserdem muss den Menschen auch der Mehrwert der Verdichtung aufgezeigt werden. Das wird oft vergessen. Dichteres Wohnen heisst auch, dass sich ein dichterer öffentlicher Verkehr zu lohnen beginnt oder dass sich Geschäfte ansiedeln können.

Gestatten wir uns ein Gedankenspiel: Wenn nun jeglicher zusätzliche Bodenverbrauch verboten würde, wie liesse sich unser Wohlstand erhalten?

RW: Der Mensch möchte sich entwickeln können. Wenn alles eingefroren wird, entsteht nur Unzufriedenheit. Viele künftige Trends kennen wir noch nicht; vielleicht wird sich vieles in den Untergrund verlagern, etwa der Transport. Ist dies alles nicht mehr denkbar, steigen Verdruss und Verärgerung.

LB: Im Moment wäre es durchaus möglich, die Schweiz weiter zu entwickeln, ohne weiteres Land zu verbrauchen. In 20 oder 30 Jahren dürften die inneren Nutzungsreserven an vielen Orten jedoch aufgebraucht sein, wenn wir nicht zu einem Singapur werden wollen. Vielleicht wird es aber neue Brachen geben, die wir nutzen können. Ich denke an nicht mehr benötigte Bürogebäude, Einkaufszentren oder Logistikzentren mit ihren grossen Umgebungsflächen. Von Einfamilienhausbrachen ist ebenfalls schon die Rede. Auch in mittleren und kleinen Gemeinden wird die Begrenzung der Bauzonen die Entwicklung nicht stoppen. Bei unseren Gemeindeberatungen stellen wir fest, dass im Ortskern vielfach die grössten Probleme auftreten: Läden schliessen, Häuser werden nicht mehr unterhalten. Und wenn man genauer hinschaut, sind das oft die Gemeinden mit grossen Baulandreserven. Durch Rückzonungen lässt sich die Attraktivität der Zentren wesentlich erhöhen, weil das die Konzentration in der Ortsmitte fördert. Deswegen verstehe ich den Widerstand gewisser ländlicher Gemeinden gegen die Innenentwicklung und das Rückzonen überdimensionierter Bauzonen nicht. Eine Entwicklung ist auch mit kleineren Bauzonen gut zu erreichen.

RW: Bei Siedlungen, die neu errichtet werden, versucht man genau das: Es wird ein Zentrum gebaut, mit Läden, Krippen und anderen Angeboten. Die Menschen mögen ja Begegnungszonen, wo sie sich treffen können. Wir anerkennen, dass ungebremster Bodenverbrauch nicht sinnvoll ist, denn die Standortattraktivität ist für die Wirtschaft im internationalen Wettbewerb ebenfalls wichtig. Dass wir praktisch von überall aus rasch im Grünen sind, ist ein entscheidendes Plus, zumal für qualifizierte Mitarbeitende in den dienstleistungsorientierten Branchen. Doch ein zu starrer Schutz ist heikel. Es gilt, ein gutes Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Schutz zu finden, da ein Überborden in beide Richtungen uns schaden würde.

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Letzte Änderung 29.11.2017

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