Montrealer Protokoll: Die Geschichte eines Vorzeigeabkommens

Sie zerstörten die Ozonschicht und wurden ab 1989 schrittweise verboten: die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Doch auch die Ersatzstoffe sind schädlich, und ihre Verwendung muss gedrosselt werden. Die Geschichte des Montrealer Protokolls zeigt, wie wichtig Vorsorge ist.

Text: Bettina Jakob

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Nichts Geringeres als ein Wundermittel schien Thomas Midgley Jr., Chemiker bei General Motors, 1929 gefunden zu haben: Er stellte erstmals Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) her und revolutionierte die Kältetechnik. Anders als gefährliche Kältemittel wie Ammoniak oder Schwefeldioxid wiesen die FCKW perfekte Eigenschaften auf: ungiftig, unbrennbar, geruchlos und stabil. Da leicht zu handhaben, wurden die Gase auch als Treibgas in Sprays oder als Lösungs- und Löschmittel verwendet. Was jahrzehntelang niemand merkte: Die FCKW zerstörten die Ozonschicht, die uns vor der gefährlichen UV-Strahlung aus dem All schützt.

Über der Antarktis klaffte bereits ein riesiges Ozonloch, als 1987 die Vereinten Nationen egannen, die drohende globale Umweltkatastrophe abzuwenden. Sie beschlossen das Montrealer Protokoll, das vorschreibt, ozonschichtabbauende Stoffe, die Chlor enthalten oder auch Brom (die sogenannten Halone), schrittweise zu reduzieren und abzuschaffen. «Das Montrealer Protokoll Die Geschichte eines Vorzeigeabkommens Montrealer Protokoll war das erste Abkommen, das von allen 197 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ratifiziert wurde», sagt Henry Wöhrnschimmel von der Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien des BAFU. Der Umweltnaturwissenschaftler gehört zur Delegation des BAFU, die die Schweiz bei den Verhandlungen der Vertragsstaaten vertritt.

Millionen Krebsfälle verhindert

Doch bis zum Verbot hat es gedauert. Schon in den 1970er-Jahren hatten Forschende davor gewarnt, dass UV-Strahlung in der Stratosphäre die FCKW-Moleküle aufknacken könne und dass die Chlorradikale das Ozon zerstörten. Mit dramatischen Folgen: Die UV-Strahlung trifft ungehindert auf die Erde und schädigt die Erbsubstanz von Menschen, Tieren und Pflanzen. Zudem verursacht sie Hautkrebs und Grauen Star. Doch dem Warnruf folgten nur einige Bundesstaaten der USA, die FCKW in Sprays verboten. In Europa und bei der Industrie traf er auf taube Ohren. Erst als 1985 das Ozonloch in der Natur nachgewiesen wurde, reagierte die Staatengemeinschaft – dafür prompt: Bereits zwei Jahre später stand das Montrealer Protokoll, und bis 2010 wurden schrittweise alle FCKW verboten. Wissenschaftliche Modelle gehen davon aus, dass es ohne Montrealer Protokoll um das Jahr 2030 jährlich zwei Millionen Hautkrebsfälle mehr geben würde.

Das Montrealer Protokoll gilt als Erfolgsgeschichte in der Umweltdiplomatie. Für Flavio Malaguerra, Umweltingenieur beim BAFU, haben dabei verschiedene Faktoren «ideal zusammengespielt»: die wissenschaftlichen Fakten, der Druck von Politik und Öffentlichkeit inklusive wirkungsvoller Botschaft (Ozonloch über unseren Köpfen) und eine kooperierende Industrie, welche schliesslich ihre Chance in der Herstellung von Ersatzprodukten erkannte. Ausserdem betraf die Regelung nur wenige Hersteller: «Es ist bedeutend schwieriger, das Verbraucherverhalten von Millionen von Menschen zu korrigieren, wie dies für die CO2-Reduktion nötig ist.» Allen Erfolgen zum Trotz: Die Ozonschicht wird erst um 2060 wieder den Zustand von 1980 erreichen, da die FCKW sehr langlebig sind.

Ersatzstoffe sind klimaschädlich

Und es stehen bereits neue Probleme an, denn auch die Ersatzstoffe der FCKW entpuppten sich als umweltschädlich. «Die teilfluorierten Kohlenwasserstoffe (HFKW) sind starke Treibhausgase», führt Henry Wöhrnschimmel aus. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter sein Vorgänger beim BAFU, Blaise Horisberger, wollten sie daher schon in den 1990er-Jahren ebenfalls ins Montrealer Protokoll aufnehmen. Gelungen ist dies erst 2016 an einer Konferenz im ruandischen Kigali. Ab 2019 werden nun auch Herstellung und Verbrauch der HFKW schrittweise reduziert.

Vorsorge besser als Nachsehen

Gesucht sind somit abermals neue Kältemittel. «Die synthetischen Ersatzstoffe, die sich bereits auf dem Markt befinden, sind nicht unproblematisch», mahnt Umweltingenieur Flavio Malaguerra. So reicherten sich etwa Abbauprodukte der Hydro-Fluor-Olefine (HFO) in Oberflächengewässern an. Die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Umwelt müssten beobachtet werden.

Ziel ist deshalb, möglichst auf natürliche Kältemittel wie Kohlendioxid, Propan oder Ammoniak umzusteigen. Doch um diese Stoffe zu nutzen – einige davon sind brennbar oder giftig –, braucht es sichere technische Anlagen. Solche Technologien stehen denn auch für immer zahlreichere Anwendungen zur Verfügung. So lassen sich heute neben Haushaltskühlschränken auch Gewerbekühlgeräte mit Propan und Butan betreiben. In der Schweiz prüft das BAFU gemeinsam mit den Branchenverbänden den Stand der Technik und regelt, wo umweltfreundliche Technologien wie  Anlagen mit natürlichen Kältemitteln verwendet werden müssen.

Hilfe für Entwicklungsländer

Das Montrealer Protokoll hat zwar erfolgreich die FCKW verboten, führte aber auch zum Einsatz von klimaschädlichen Ersatzstoffen. Welche Bilanz lässt sich also zum 30. Geburtstag des Abkommens ziehen? «Das Ziel war, möglichst rasch eine weitere Schädigung der Ozonschicht zu stoppen», erklärt Henry Wöhrnschimmel, «und das hat man erreicht.» Inzwischen sei auch die Problematik der Ersatzstoffe erkannt und über das Kigali-Amendment geregelt worden. Das Montrealer Protokoll hat für den BAFU-Experten deshalb nach wie vor Vorbildcharakter – gerade auch bei seiner Umsetzung: «Die Massnahmen greifen global, da die Entwicklungsländer über einen Fonds von den Industrieländern finanziell unterstützt werden.» Zudem stelle eine strenge Kontrolle sicher, dass alle Länder ihre Auflagen einhielten.

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Letzte Änderung 28.11.2018

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