Globale Ebene: «Selbstkritik statt Selbstgerechtigkeit»

Die Umweltdimension ist in den Nachhaltigkeitszielen der UNO ausgewogen vertreten. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst der Schweiz, die sich auch dafür engagiert hat, dass die Länder die Zielerreichung regelmässig überprüfen. Bei der Umsetzung gilt es nun, die planetaren Grenzen zu respektieren.

Text: Gregor Klaus

Ziele motivieren – und sie geben Leitplanken und definieren Schwerpunkte. Das gilt auch für die Agenda 2030. Mit ihren 17 übergeordneten Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs) und 169 Unterzielen sowie den über 230 Indikatoren ist sie der internationale Minimalkonsens darüber, wie die UN-Mitgliedsstaaten die Zukunft der Menschheit und der Erde gestalten wollen. Erstmals wurden die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung, das heisst ökologisch, ökonomisch und sozial, gleichberechtigt in globale Ziele integriert, die für alle Staaten gleichermassen gelten. Die Verankerung der Umweltdimension war allerdings keine Selbstverständlichkeit, obwohl eine intakte Umwelt und ein schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen zwingende Voraussetzung für die soziale und wirtschaftliche Dimension der nachhaltigen Entwicklung sind.

Umweltziele als wichtige Grundlage

Die Schweiz hat zusammen mit anderen Staaten die SDGs im Bereich Umwelt und Ressourcen massgeblich mitgestaltet: Unter anderem erarbeitete die UN-Umweltbehörde UNEP auf ihre Initiative hin bereits im Vorfeld zur Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung, die 2012 in Rio de Janeiro abgehalten wurde, eine Gesamtschau aller international verabschiedeten Umweltziele. Diese fanden sich in bestehenden multi­lateralen Umweltabkommen, Resolutionen der UN-Generalversammlung sowie Resultaten von UN-Gipfeln. Es gibt allein 500 multilaterale Umweltabkommen, die zwar fragmentiert sind, aber alle das Gleiche wollen: die Umwelt schützen. Viele dieser oft spezifisch auf bestimmte Umweltprobleme ausgerichteten Abkommen verfolgen stringente Ziele und sind vielerorts rechtlich verbindlich, wie zum Beispiel die Übereinkommen im Bereich Chemikalien und Abfall. «Die so extrahierten ‹Global Environment Goals› waren eine wichtige Grundlage bei der Erarbeitung der SDGs und halfen dabei, die Umweltdimension prominent in die Verhandlungen zu den SDGs einfliessen zu lassen», sagt Sebastian König von der Sektion Globales beim BAFU.

Freiwillige Berichterstattung

Ziele ermöglichen es, Fortschritte überhaupt erst zu erkennen. Dazu muss man den Fortschritt allerdings auch messen und analysieren. Am Gipfeltreffen der UNO in New York 2015 wurde daher beschlossen, zusammen mit dem Aktionsplan «Agenda 2030» ein politisches Forum zu schaffen, das den globalen Stand der Zielerreichung über alle 17 Ziele prüft. Es ist ein hochrangiges Forum, das jedes Jahr auf Ministerebene und alle vier Jahre sogar auf Ebene der Staats- und Regierungschefs tagt. Die Schweiz hatte sich für diesen strikten Überprüfungsmechanismus starkgemacht.

Bei den jährlichen Treffen berichten seit 2016 unter anderem mehrere Dutzend Staaten freiwillig über die Erreichung der Zielvorgaben. Die Versuchung ist gross, dies als eine Art olympischen Wettbewerb anzusehen. Davon hält Sebastian König nicht viel: «Ländervergleiche sind nur sinnvoll, wenn sie einem Staat dabei helfen, sich zu verbessern. Es geht ja bei der nachhaltigen Entwicklung darum, gemeinsam auf globaler Ebene einen Fortschritt zu erreichen.» Da sehe es jedoch gar nicht gut aus: «Gemäss UNEP ist die Welt derzeit auf dem besten Weg, gerade einmal 22 Prozent der umweltbezogenen SDGs zu erreichen, wenn die aktuellen Trends anhalten, und für 68 Prozent der umweltbezogenen SDGs gibt es auf globaler Ebene keine ausreichenden Daten, um die Fortschritte zu bewerten.»

Selbstkritik statt Selbstgerechtigkeit ist angesagt. Die Schweiz hat dies ernst genommen, als sie 2018 ihren ersten Länderbericht präsentierte. Wie die anderen Länder erfüllt auch sie die Nachhaltigkeitsziele noch nicht. Das nationale Monitoringsystem hatte ergeben, dass 39 Indikatoren einen positiven Trend, 12 keine signifikante Entwicklung und 14 einen negativen Trend aufweisen. Vor allem aber bräuchte es nach wie vor mehr als 3 Erden, wenn alle Menschen so leben würden wie die Schweizerinnen und Schweizer, die ihren Fussabdruck vor allem im Ausland hinterlassen. Die Bestandsaufnahme identifizierte daher die Bereiche, in denen deutlich verstärkte Anstrengungen notwendig sind: Um den planetaren Belastungsgrenzen gerecht zu werden, ist ein Wandel des Ernährungssystems, der Art und Weise des Wohnens und der Mobilität notwendig. Zu diesem Schluss kommt auch der jüngste Umweltbericht der Schweiz.

Umsetzungslücken identifizieren

An den jährlichen Treffen des Nachhaltigkeitsforums diskutieren die Länder auch über Lücken und notwendige Massnahmen. Und weil es dafür mehr als nur Politiker und Politikerinnen braucht, sind auch Akteure aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eingeladen, sich an dem Prozess zu beteiligen. In zahlreichen thematischen Diskussionen tauscht man sich aus und geht neue Partnerschaften ein. Auch am Ende der Länderpräsentationen können alle Teilnehmenden Rückmeldungen geben. «Dies ist eine grosse Chance, denn wir können von anderen lernen, wie sich die SDGs national umsetzen lassen», sagt König.

Weil die kritische Selbstreflexion der Regierungen manchmal zu wünschen übrig lässt, erstellen jeweils viele nationale NGOs sogenannte Schattenberichte. Diese dürfen am Forum ebenfalls präsentiert werden – meist nicht zur Freude der Regierungen. Auch für die Schweiz gibt es einen solchen Schattenbericht, der in seinen Empfehlungen naturgemäss etwas weiter geht als der offizielle Länderbericht. Die Schweiz als basisdemokratisches Land steht der Kritik jedoch offen gegenüber. Dies drückte sich unter anderem darin aus, dass bei der Präsentation des Länderberichts auch NGOs oder Wissenschaftsvertretende offiziell Teil der Schweizer Delegation waren.

Ganz frei von Kritik ist allerdings auch das Forum selbst nicht: Moniert wird beispielsweise, dass die Vor- und Nachbereitungsprozesse noch immer zu kurz kommen und der Lerneffekt dadurch zu klein ist. «Die Länderberichte müssen deutlich kritischer begutachtet werden, und vor allem müssen die Umsetzungslücken konkreter aufgezeigt werden», sagt Sebastian König. «Das Potenzial des Nachhaltigkeitsforums ist noch nicht ausgeschöpft. Doch auch wenn nicht alles perfekt ist: Das Forum bleibt momentan der zentrale Ort, der die relevanten Akteure an den Tisch bringt, um dem globalen Fortschritt in der nachhaltigen Entwicklung auf den Zahn zu fühlen.»

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Letzte Änderung 04.03.2020

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