Dem Klimawandel richtig begegnen

21.12.2022 - Erdrutsche, Überflutungen, invasive Arten: Jede Schweizer Gemeinde ist mit eigenen Klimarisiken konfrontiert. Nun hilft ihnen ein vom BAFU lanciertes Online-Tool, lokale Klimarisiken zu identifizieren und Massnahmen zu treffen, um mit den veränderten Bedingungen umzugehen.

Text: Kaspar Meuli und Santina Russo

Im Berner Matte-Quartier wird die Bevölkerung per SMS vor Hochwassergefahr gewarnt. Thalwil (ZH) motiviert seine Bevölkerung mit einer Tauschaktion: Wer in seinem Garten sich rasch ausbreitende standortfremde Stauden ausreisst, kann dafür gratis einheimische Pflanzen bestellen. Und Mendrisio (TI) zeigt, wie sich private Gärten anlegen lassen, die wenig Bewässerung brauchen. Der Grund für diese Initiativen ist in allen Gemeinden derselbe: Die Folgen des Klimawandels werden in der Schweiz immer deutlicher spürbar. So nehmen unter anderem Starkregen und Hochwasser zu, eingewanderte Pflanzen und Tiere verdrängen einheimische Arten und Trockenperioden werden immer mehr zum Risiko für die Landwirtschaft.

Um Gemeinden zu helfen, solchen Klimafolgen zu begegnen, hat das BAFU ein webbasiertes Tool entwickelt und veröffentlicht. Dessen Inhalte stützen sich auf eine gross angelegte Studie zu den Risiken und Chancen des Klimawandels für die Schweiz aus dem Jahr 2017. «Die Erkenntnisse daraus hat man nun auf die Handlungskompetenz der Gemeinden heruntergebrochen», sagt Eva Krattiger von der Sektion Klima­berichterstattung und -anpassung des BAFU. Gemeinden können nämlich auf ganz unterschiedliche Weise vom Klimawandel betroffen sein. «Dessen Auswirkungen zeigen sich lokal, und auf Gemeindeebene gibt es viele Handlungsmöglichkeiten.»

Klimarisiken ganz konkret

Damit die Gemeinden Massnahmen ergreifen können, um sich an das Klima anzupassen, müssen sie aber erst einmal wissen, mit welchen Klimafolgen sie rechnen müssen und wie sie diese auffangen können. Allerdings: «Mittleren und kleinen Gemeinden fehlen häufig die Ressourcen, um sich in die Thematik einzuarbeiten», sagt Krattiger. Hier hilft das Online-Tool «Anpassung an den Klimawandel für Gemeinden». Zunächst begrüsst es die Nutzerinnen und Nutzer mit einer Übersicht über die verschiedenen kommunalen Aufgabengebiete, die durch den Klimawandel beeinflusst werden: von der Bewältigung von Naturereignissen über die Wald-, Wasser- und Landwirtschaft zu Gesundheit, Energieproduktion, Raumplanung oder dem Unterhalt von Strassen und Gebäuden. Zu jeder Kategorie gibt es einen systematischen Fragebogen, der den Benutzerinnen und Benutzern zu ermitteln hilft, welche spezifischen Klimarisiken sie angehen sollten. Gibt es in Ihrer Gemeinde Orte, wo sich Hitzewellen negativ auf die Lebens- oder Arbeitsqualität auswirken? Ist Ihre Gemeinde betroffen von häufigeren Engpässen in der lokalen Wasserversorgung? Gibt es eine zunehmende Gefährdung durch Hochwasser? Die Antworten auf diese und weitere Fragen stellt das Online-Tool übersichtlich dar. Anschliessend listet es zu jedem diagnostizierten Klimarisiko mögliche Anpassungsmassnahmen auf. Auch Massnahmen, die eine Gemeinde bereits getroffen hat, lassen sich erfassen.

Als zusätzliche Unterstützung für die Praxis zeigt das Tool auch konkrete, schon umgesetzte Projekte aus verschiedenen Gemeinden. So hat etwa die Gemeinde St. Niklaus (VS) gute Erfahrungen mit einem Sicherheits- und Notfallkonzept für Murgänge gemacht. Genf hat eine Liste von «Frischeinseln» veröffentlicht – etwa begrünte Anlagen mit schattenspendenden Leinwänden, unter denen sich die Bevölkerung bei grosser Hitze abkühlen kann. Und Ostermundigen (BE), wo die Kanalisation bei Starkniederschlägen an ihre Kapazitätsgrenzen stösst, beteiligt sich finanziell an privaten Versickerungsanlagen, sodass mehr Regenwasser über die Böden versickert. Zu den einzelnen Projekten finden sich etwa Berichte, Bilder sowie die Kontaktangaben der Verantwortlichen. Kurz: alles, was die Benutzer benötigen, um sich mit ihren spezifischen Klimarisiken sowie passenden Massnahmen auseinanderzusetzen und sich mit Kolleginnen, die bereits Erfahrungen sammeln konnten, zu vernetzen. «Damit wollen wir es den Gemeinden leichter machen, ins konkrete Analysieren, Planen und Umsetzen zu kommen», sagt Eva Krattiger. «Die vorgestellten Beispiele lassen sich nicht immer eins zu eins von anderen Gemeinden übernehmen», stellt sie klar, «aber es ist für Behörden motivierend zu sehen, dass Anpassungsmassnahmen anderswo funktionieren.»

Sich informieren – und ins Handeln kommen

Das bestätigt Jonas Stöckli, Projekt­leiter Tiefbau und Planung in der Aargauer Gemeinde Zofingen.
Er gehört zu jenen Fachpersonen, die das Online-Tool bereits vor dessen Veröffentlichung in Pilottests ausprobieren durften. In seiner Heimat­gemeinde Zofingen stellt Hochwasser eines der drängendsten Probleme dar: Im Jahr 2017 verursachte ein lokaler Starkregen gravierende Schäden und das Risiko, dass dies erneut passiert, steigt mit der Klimaerwärmung weiter. Neben der Übersicht über seine Handlungsfelder – wie etwa lassen sich öffentliche Plätze oder Strassen so gestalten, dass sie Hochwasser vorbeugen und an Hitzetagen zu Kühlinseln werden – waren für Stöckli vor allem die schon umgesetzten Beispiele nützlich, erzählt er. So fand er durch das Online-Tool Projekte der Stadt Bern, die ihm Informationen zu klimaangepassten Stadtbäumen gaben. Diese bildeten die Grundlage für die Auswahl der Bäume in einem neuen Grünstreifen, der in Zofingen künftig eine dafür verschmälerte Strasse säumen wird.

Die Liste konkreter Beispiele im Online-Tool ist ausbaubar: Gemeinden können ihre Projekte selbst hinzufügen. «Wenn mit der Zeit immer mehr Projektbeispiele einfliessen, macht dies das Werkzeug noch wertvoller», sagt Stöckli. Auch er plant, die eigenen Projekte hochzuladen und so anderen Gemeinden zugänglich zu machen. «Wenn wir uns miteinander austauschen, kommen wir am weitesten», ist er überzeugt. Und: Konkrete Beispiele seien hilfreich, um Entscheidungsträgern aufzuzeigen, wie neuartige Projekte aussehen können, und dass sie funktionieren.

Der Druck auf die Gemeinden wächst

Denn die Schweizer Gemeinden geraten beim Umgang mit dem Klimawandel immer stärker unter Druck – nicht zuletzt von der eigenen Bevölkerung, die sich vielerorts mehr Engagement bei Klimaschutz und Klimaanpassung wünscht. Damit die Gemeinden diese komplexen Aufgaben erfolgreich angehen können, steht ihnen das Online-Tool kostenlos zur Verfügung. «Uns ist wichtig, dass die Gemeinden jetzt aktiv werden», sagt Eva Krattiger vom BAFU. Dabei hilft, dass das Tool in der Praxis flexibel nutzbar ist: Je nach Grösse einer Gemeinde und abhängig vom jeweiligen Wissensstand werden es verschiedene Fachpersonen der Verwaltung für Ideen und Projekte in ihrem eigenen Fachgebiet nutzen, oder mehrere Personen arbeiten koordiniert zusammen – unter Umständen auch Mitglieder der Exekutive. Die Informationen und Tipps aus dem Online-Tool können dabei als Basis für Diskussionen in der Gemeindeexekutive, der Verwaltung und mit der Bevölkerung dienen – vor allem aber soll das neue Wissen ein Anschub fürs Handeln sein.

Schritt für Schritt zur Klimastrategie: Ein Wegweiser

Die Schweiz hat sich dem Netto-Null-Ziel verschrieben. Das heisst, bis 2050 will sie klimaneutral werden – also unter dem Strich keine Treibhausgase wie CO2 mehr ausstossen. Dazu sind die Kantone und vor allem die Gemeinden gefragt. «Wir beobachten, dass die grösseren Städte und Gemeinden bereits in die richtige Richtung arbeiten und eigene Klimastrategien verabschiedet haben», sagt Manuela Christen, Verantwortliche fürs Klimaprogramm beim BAFU. «Mehr Probleme haben aber kleine und mittelgrosse Gemeinden, die weniger Ressourcen haben.» Doch auch diese Gemeinden müssten sich jetzt im Klimaschutz vorwärtsbewegen, sagt Christen. «Die Zeit drängt.»

Zusammen mit dem Programm 2000-Watt-Gesellschaft des Bundesamts für Energie (BFE) hat das BAFU-Klimaprogramm darum ein Hilfsmittel entwickelt, das kleine und mittelgrosse Gemeinden dabei unterstützen soll: Der Wegweiser Klimastrategie zeigt Schritt für Schritt auf, wie Gemeindebehörden systematisch eine Strategie erarbeiten können, um einerseits ihren Treibhausgasausstoss zu senken und andererseits mit Klimafolgen umzugehen. In übersichtlichen acht Schritten weist das Hilfsmittel den Weg: Vom Erfassen der Ausgangslage über das Festlegen von Zielen und das Planen von Massnahmen bis zur politischen Verankerung. Mehr noch: Für jeden Schritt gibt es zusätzliche Werkzeuge und Vorlagen für die Praxis. Etwa Links zu kantonalen Gefahrenkarten, anleitende Vorlagen, Informationen über Finanzierungsmöglichkeiten und kostenlose Beratungen oder Beispiele aus anderen Gemeinden. Zudem verweist der Wegweiser auch auf das neue Online-Tool des BAFU, ein Werkzeug, das Gemeinden hilft, das Thema Anpassung an den Klimawandel zu vertiefen (siehe Haupttext).

Seit Anfang Juni ist der Wegweiser Klimastrategie öffentlich verfügbar, zahlreiche Kantone haben ihre Gemeinden in Newslettern oder an Anlässen darüber informiert. «Mit dem Wegweiser haben wir bewusst ein sehr einfaches und praxisorientiertes Instrument geschaffen», sagt Manuela Christen. «Wir wussten, es braucht ein Hilfsmittel, das den Gemeinden auf dem Weg, immer weniger CO2 auszustossen, eine Orientierung bietet.» Die Behörden können sich vom Wegweiser schrittweise leiten lassen, sich nur von einzelnen Punkten Inspiration holen oder einzelne Werkzeuge nutzen – je nach Bedarf.

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Letzte Änderung 21.12.2022

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