Neue Szenarien: Konkrete Klimazukunft der Schweiz

29.05.19 - Dank den aktualisierten Klimaszenarien kann sich die Schweiz besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten. Mithilfe dieser Forschungsergebnisse lassen sich etwa Warnsysteme oder Schutzbauten effizienter planen. Zudem können zum Beispiel die Betreiber von Wasserkraftwerken genauer abschätzen, wie sich das Abflussregime in ihren Einzugsgebieten verändern wird.

Text: Kaspar Meuli

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Wenn es in Zukunft regnet, dann heftig: Nach massiven Niederschlägen kam es am Lago Maggiore im November 2018 zu Überschwemmungen.
© ky

Den Sommer 2018 wird man in Schaffhausen nicht so rasch vergessen. Neben milden Grillabenden und Open-Air-Konzerten, die für einmal ohne Regen auskamen, hatten das wärmste in der Schweiz je gemessene Sommerhalbjahr und die extreme Niederschlagsarmut in der Ostschweiz auch deutlich weniger erfreuliche Auswirkungen.

So büsste der Rheinfall – die touristische Hauptattraktion der Stadt – massiv an Anziehungskraft ein. Durch den tiefen Wasserstand verkam der grösste Wasserfall Europas zum Rinnsal. Dementsprechend nahmen auch die Besucherzahlen ab. Noch drastischer waren die Folgen des Ausnahmesommers für das Laufwasserwerk Schaffhausen, produzierte es doch nur noch halb so viel Strom wie gewöhnlich. Und gar tödlich wirkten sich Hitze und fehlender Regen auf Tausende von Fischen aus. Die Menge an verendeten Äschen und Forellen betrug 3 Tonnen. Ab einer Wassertemperatur von 23 Grad Celsius (°C) zeigen diese Arten erste Stresssymptome, und bei 24 bis 25 °C sind sie ernsthaft gefährdet. Im August 2018 kletterte die Wassertemperatur im Rhein bei Schaffhausen jedoch auf 27 °C.

Häufigere Trockenperioden

Probleme, wie sie Schaffhausen in jenem Sommer erlebt hat, werden in Zukunft in der ganzen Schweiz häufiger. «Mit fortschreitendem Klimawandel nimmt die Tendenz zur Trockenheit weiter zu», heisst es im neuen Bericht «CH2018 Klimaszenarien für die Schweiz». «Gegen Ende des Jahrhunderts könnte eine Trockenheit, wie sie bisher ein- bis zweimal in 10 Jahren auftrat, jedes zweite Jahr vorkommen.» Das Interesse an diesem «Beängstigenden Blick in die Klimazukunft der Schweiz» – wie die NZZ titelte – war gross. So verfolgten im November 2018 mehr als 700 Personen die Präsentation an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, und die Medien berichteten prominent darüber. Gemäss den Hauptaussagen der im Auftrag des Bundesrates entwickelten Klimaszenarien wird die Schweiz trockener, heisser, schneeärmer und kämpft künftig mit heftigeren Niederschlägen.

Zwei denkbare Entwicklungen

Trotz der alarmierenden Perspektiven gibt es auch eine gute Nachricht: Handelt die Staatengemeinschaft entsprechend den Klimazielen von Paris und senkt sie die Treibhausgas-Emissionen, so lässt sich das Ausmass der geschilderten Auswirkungen bis 2060 auf etwa die Hälfte reduzieren. In der Schweiz wäre in diesem Fall mit einem Anstieg der durchschnittlichen Sommertemperatur um 0,9 bis 2,5 °C zu rechnen. Ohne solche Anstrengungen würde es bei uns jedoch um 2,3 bis 4,4 °C wärmer.

Die Klimazukunft unseres Landes hängt entscheidend von der Entwicklung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen in den kommenden Jahrzehnten ab. Der neue Bericht stellt deshalb konsequent ein pessimistisches neben ein optimistisches Emissionsszenario. Der Entwicklung ohne Klimaschutz stehen also griffige Massnahmen gegenüber, welche die Folgen des Klimawandels stark mildern.

Schritt nach vorne

Im Vergleich zu früheren Schweizer Klimaberichten bedeute diese unmis­s­verständliche Unterscheidung «einen grossen Schritt nach vorne», sagt Roland Hohmann vom BAFU. Er ist Co-Leiter der Sektion Klimaberichterstattung und -anpassung und war Mitglied der Begleitgruppe zu den Klimaszenarien. «Der Klimawandel schreitet so schnell voran, dass heute das sogenannte Hochemissionsszenario kommuniziert wird – früher war man diesbezüglich zurückhaltender, um nicht der Schwarzmalerei beschuldigt zu werden.» Will sich die Schweiz jedoch tatsächlich auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten, darf sie nicht einfach von den wahrscheinlichsten Veränderungen ausgehen, sondern muss auch mögliche Extreme bedenken. Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, brachte es bei der Präsentation der Szenarien auf den Punkt: «Wer eine Versicherung abschliesst, tut das ja auch nicht für einen wahrscheinlichen Fall, sondern für einen, der hoffentlich nie eintritt.»

Was aber bedeuten die verbesserten Klimaszenarien für die Anpassung der Schweiz an den Klimawandel? «Auf strategischer Ebene wird sich nichts ändern», erklärt Roland Hohmann, «aber die neuen Daten dürften der Umsetzung von Anpassungsprojekten Schub verleihen.» Und was sagen die Erkenntnisse für die Schweizer Klimapolitik als Ganzes aus? «Die Szenarien zeigen eindeutig, was geschieht, wenn wir weiterhin ungenügenden Klimaschutz betreiben, und welche Folgen sich durch eine griffige nationale und internationale Klimapolitik vermeiden lassen», betont Roland Hohmann.

Neue Daten und Simulationen

Die Klimaszenarien CH2018 sind nach 2007 und 2011 bereits der dritte Blick auf die Schweizer Klimazukunft. Aktualisierte Szenarien zur künftigen Entwicklung des Klimas drängen sich auf, weil das Wissen über das Ausmass des globalen Wandels und seine regionalen Auswirkungen immer breiter wird. «Verglichen mit dem letzten Bericht verfügen wir heute über Beobachtungsdaten von sieben weiteren Jahren», erklärt Christoph Raible, Professor für Klimadynamik an der Universität Bern. Dadurch liessen sich die Trends in den Messreihen genauer erfassen. «Im Lauf der letzten Jahre sind zudem neue globale, aber auch regionale Klimasimulationen entstanden. Gegenüber den für den letzten Bericht 2011 verwendeten Daten ist ihre räumliche Auflösung viermal so hoch.»

Fachleute von MeteoSchweiz, der ETH Zürich und dem Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern haben die Szenarien gemeinsam erarbeitet. Die rund 40 beteiligten Personen verbanden dazu Simulationen von insgesamt 21 verschiedenen Computermodellen mit Beobachtungen bisheriger Trends. Die aktuellen Szenarien bestätigen die bereits bekannten Erkenntnisse, liefern aber neu auch konkrete Zahlenangaben für Entwicklungen, zu denen die Forschung bisher nur pauschale Aussagen machen konnte – etwa zum Umfang von extremen Niederschlägen.

Grosse regionale Unterschiede

Da bei den Szenarien erhebliche Unterschiede bestehen – beispielsweise zwischen Mittelland und Alpen oder zwischen Nord- und Südschweiz –, haben die Forschenden erstmals auch regional abgestufte Werte berechnet. All diese Daten sind öffentlich zugänglich und im Internet unter www.klimaszenarien.ch benutzerfreundlich aufbereitet. Ein Webatlas umfasst rund 20 000 Grafiken, die für Interessierte regionalspezifische Angaben zu künftigen Hitzetagen, Tropennächten oder der Anzahl von Neuschneetagen machen. «Solche Informationen müssen bei Investitionen – wie beispielsweise dem Ausbau eines Skigebiets – berücksichtigt werden», umreisst Roland Hohmann eine mögliche Anwendung dieser Datensammlung. In den bisher schneereichen höheren Lagen wird an deutlich weniger Tagen Schnee fallen. So ist in den Zentralalpen Mitte dieses Jahrhunderts mit gegen 30 Neuschneetagen weniger als heute zu rechnen. Die Nullgradgrenze könnte bis 2060 um 650 Meter in die Höhe klettern und im Winter auf rund 1500 Meter über Meer ansteigen, was etwa der Höhe von ­Davos (GR) entspricht.

Abschätzung konkreter Folgen

Doch nicht nur für Investitionen in den Wintertourismus sind die Klimaszenarien von Bedeutung. Bauernverbände und Energieversorger, aber auch Ingenieur- und Architekturbüros können anhand des Berichts nun besser abschätzen, was konkret auf sie zukommt. Regnet es künftig heftiger, drängen sich unter anderem Anpassungen bei den Baunormen auf. «Gebäudeschutz, Hochwasserschutzbauten und Entwässerungssysteme müssen noch besser aufeinander abgestimmt und ausreichend dimensioniert werden», erklärt Stefan Cadosch, der Präsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Dazu könne man sich nicht nur auf Daten der Vergangenheit abstützen, sondern es müssten auch Szenarien zum Klima der Zukunft in neue Normen einfliessen. Die Wasserwirtschaft wiederum ist an ­Daten zur Verfügbarkeit ihrer wichtigsten Ressource interessiert. «Die Kraftwerkbetreiber müssen abschätzen können, wie sich das Abflussregime in ihren Einzugsgebieten verändern wird», sagt Roger Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV). «Entscheidend ist für uns deshalb, dass Klimaszenarien sowohl räumlich wie zeitlich dieser Fragestellung entsprechend aufgelöst sind.»

Nicht zuletzt aber stellen die neuen Klimaszenarien eine Grundlage dar für wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Schweiz beim Umgang mit den Folgen des Klimawandels unterstützen sollen: Welche Schädlinge werden der Landwirtschaft künftig zu schaffen machen? Wie entwickeln sich die Temperaturen in unseren Bächen und Flüssen weiter? Wo könnten Rutsch­ungen, ausgelöst durch auftauenden Permafrost, Verkehrswege gefährden? Forschende, die Antworten auf diese und unzählige weitere Fragen suchen, werden in ihren Studien auf die neusten Klimaszenarien zurückgreifen.

Zurück nach Schaffhausen und zum Sommer 2018: Das Fischsterben im Rhein hätte noch weit schlimmer ausfallen können. Im Hitzesommer 2003 nämlich gab es deutlich mehr tote Fische als 2018. Als das Wasser im letzten Jahr erneut kritische Temperaturen erreichte, spielte die Koordination unter vielen verschiedenen Akteuren. Am Rhein wurden schattige Zuflüsse ausgebaggert, um Nischen zu schaffen. Freiwillige fingen Fische ein und brachten sie in kühlerem Wasser in Sicherheit. Die Behörden waren also besser auf die Hitzewelle vorbereitet. Auch die Klimaszenarien CH2018 tragen dazu bei, dass wir lernen, in einem sich verändernden Klima zu leben. Die neuen Klimaszenarien sind unter
www.klimaszenarien.ch beschrieben.

Längere Hitzewellen und Dürren

Ohne erfolgreiche Umsetzung von globalen Klimaschutzmassnahmen wird es in der Schweiz um das Jahr 2060 – verglichen mit dem Zeitraum von 1981 bis 2010 – im Jahresdurchschnitt um 2 bis 3,3 °C wärmer sein. Zwischen 2070 und 2100 ist ohne Klimaschutz sogar eine Erwärmung von 3,3 bis 5,4 °C wahrscheinlich. Zudem treten sommerliche Hitzephasen häufiger, länger und ausgeprägter auf. Der wärmste Tag des Jahres könnte bis zur Mitte des Jahrhunderts je nach Region um 2 bis 5,5 °C heisser sein. Kommt dazu, dass längere Hitzesommer – wie im Rekordjahr 2003 – dann die Norm darstellen. Sehr heisse Tage mit Temperaturen, wie sie bisher in der Regel nur einmal im Jahr vorkamen, gibt es im Durchschnitt 18-mal jährlich. Auch lange Trockenperioden dürften an der Tagesordnung sein. Die Simulationen zeigen, dass die Sommerniederschläge bis 2060 zurückgehen. Die längste Trockenperiode könnte durchschnittlich bis zu 9 Tage länger dauern als heute. Wenn es aber regnet, dann heftig. An Tagen mit den stärksten Niederschlägen fällt Mitte des Jahrhunderts 10 Prozent mehr Regen. Ein sogenannter Jahrhundertniederschlag wird im Sommer gar rund 20 Prozent mehr Regen mit sich bringen.

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Letzte Änderung 29.05.2019

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