Welche Risiken und Chancen kommen mit dem sich ändernden Klima auf die Schweiz zu? Fallstudien aus allen Gebieten des Landes liefern ein differenziertes Bild. Doch eines steht fest: Obwohl der Klimawandel auch Chancen eröffnet, überwiegen die Risiken bei Weitem. Daher hat ein wirksamer Klimaschutz erste Priorität.
Text: Kaspar Meuli

© Flurin Bertschinger/Ex-Press/BAFU
Wir sind vielseitigen Risiken ausgesetzt. Und wir leben in einer Gesellschaft, die erwartet, dass wir uns so gut wie möglich dagegen absichern. Auch der Klimawandel bringt Unsicherheiten mit sich. Nur folgerichtig also, dass seine Auswirkungen ebenfalls aus einer nüchternen Risikoperspektive betrachtet werden etwas, was zum Beispiel Rückversicherer wie Swiss Re seit Längerem tun. Nun hat auch das BAFU in einer gross angelegten Studie Klimarisiken systematisch eruiert. Nach England ist die Schweiz erst das zweite Land, das dies getan hat. Der Bericht, der Ende 2017 veröffentlicht wird, befasst sich mit den klimabedingten Risiken und Chancen in der Schweiz. Die Analyse soll im Sinne des Risikomanagements als Grundlage dafür dienen, Klimastrategien zu entwickeln und Anpassungsmassnahmen zu priorisieren. «Wir haben Risiken für ausgewählte Schweizer Grossräume systematisch bestimmt», erklärt Pamela Köllner, die Leiterin des Projekts. «Zudem haben wir die Chancen analysiert, die sich für die Schweiz aus dem Klimawandel ergeben könnten.»
Gesamtheitliche Sicht auf die Schweiz
Das Resultat dieser Analyse, in die unter anderem mehr als 400 Experten und Expertinnen aus der Praxis und von kantonalen Fachstellen miteinbezogen waren, ist ein Überblick über die bereits spürbaren Folgen des Klimawandels und die zu erwartende Entwicklung bis ins Jahr 2060. Die Liste umfasst einige Chancen und rund 20 prioritäre Klimarisiken – von bereits länger diskutierten Auswirkungen der zunehmenden Hitze und Trockenheit bis zu weniger bekannten Risiken wie der Ausbreitung von invasiven gebietsfremden Arten. Als prioritär gelten insbesondere Risiken, die im Vergleich zu heute in den kommenden 45 Jahren besonders stark zunehmen könnten. «Bis anhin hat man die Folgen des Klimawandels vor allem für einzelne Sektoren wie Wasserwirtschaft, Tourismus, Naturgefahren oder Gesundheit beurteilt», so Pamela Köllner, «in unserer Untersuchung wollen wir hingegen eine gesamtheitliche Sicht auf die Schweiz bieten.» Dazu wurden in 8 Kantonen Fallstudien zu Grossräumen durchgeführt. Sie betreffen den Jura, das Mittelland, die Voralpen, die Alpen, die Südschweiz und die grossen Agglomerationen. Untersucht wurden die Kantone Jura, Aargau, Freiburg, Uri, Graubünden, Tessin, Basel-Stadt und Genf.
Um die angestrebte gesamtheitliche Sicht zu erreichen, war ein einheitliches methodisches Vorgehen gefragt. Dazu gehören auch die Annahmen über die Klimaänderung selbst: Sie stützen sich auf ein Szenario mit einer mittleren Erwärmung, die in der Schweiz bis 2060 einem Anstieg der Temperaturen im Sommer um 3,5 Grad gleichkommt (Referenzperiode ist 1980–2009). Die mittlere Niederschlagsmenge dürfte in diesem Zeitraum im Sommer um 20 Prozent ab- und im Winter um 20 Prozent zunehmen. Dies im Vergleich zur Referenzperiode 1980 bis 2009. Ebenfalls einheitliche Annahmen wurden in Bezug auf die sozioökonomischen und demografischen Veränderungen getroffen, die für das Ausmass der klimabedingten Schäden mitbestimmend sind. Mit anderen Worten: Faktoren wie das zu erwartende Wirtschaftswachstum und die sich abzeichnende Überalterung der Gesellschaft.

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Klimarisiken wirken sich regional unterschiedlich aus
Die 6 untersuchten Grossräume sind unterschiedlich stark von den identifizierten Risiken betroffen. Waldbrände etwa werden vor allem das Tessin vor Probleme stellen, wo ihre Zahl bis 2060 um ein Viertel zunehmen dürfte. In der übrigen Schweiz könnten sich in Zukunft insbesondere Regionen mit grösseren Herausforderungen konfrontiert sehen, die bis anhin von Waldbränden verschont geblieben waren, sich jedoch aufgrund des Klimawandels auch mit diesem Risiko auseinandersetzen müssen. Zum Beispiel Regionen nördlich der Alpen. Aber nicht bei allen Aspekten des Klimawandels ist der Wissensstand gleich gross. Während von einer Zunahme von Hitzewellen auszugehen ist, lässt sich bislang nicht sagen, ob Hagel- und Sturmschäden zu- oder gar abnehmen werden.
Doch wie sehen die Klimarisiken in der Schweiz im Einzelnen aus? Hier einige Erkenntnisse: Besonders in tiefen Lagen und grossen Agglomerationen, wo die meisten Menschen leben, werden im Sommer häufigere und intensivere Hitzeperioden zur Belastung. Ein Risiko stellt die zunehmende Hitze vor allem für die Gesundheit dar. Unter allen Naturereignissen verursachten Hitzewellen in Europa in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Todesfälle. Und auch in der Schweiz wirkten sie sich auf die Sterblichkeit aus: Zwischen Juni und August 2015 starben rund 800 Personen mehr als in einem normalen Sommer. Das entspricht einer Zunahme der Todesfälle um über 5 Prozent. Drei Viertel der Verstorbenen waren über 75 Jahre alt. Verschärft wird das Risiko dadurch, dass die Bevölkerung immer älter wird und immer mehr Leute in dicht besiedelten Gebieten leben, die am stärksten von der Hitzebelastung betroffen sind.
Dieses Risiko ist eine Folge davon, dass mit dem Klimawandel nicht nur die Durchschnittstemperaturen, sondern auch die Extreme zunehmen. Im Jahr 2060 könnte es in Basel so warm sein wie heute in Lugano und Locarno. In Genf könnten Verhältnisse herrschen wie heute in Mailand, und in Lugano dürften die Temperaturen auf Werte steigen, wie sie heute Florenz und Rom kennen.
Steigende Konkurrenz ums Wasser
Die zunehmende Sommertrockenheit könnte künftig auch im Wasserschloss Schweiz vermehrt zu lokaler, zeitlich begrenzter Wasserknappheit führen, wie das 2003, 2006 und 2015 der Fall war, und so Nutzungskonflikte verschärfen. Knapp wird das Wasser dann, wenn das Angebot die Nachfrage nicht mehr decken kann. Der Klimawandel wirkt sich auf beide Schalen dieser Waage aus. Zum einen könnte die Wasserverfügbarkeit aufgrund häufigerer Trockenperioden abnehmen, zum andern ist die Nachfrage gerade in Trockenperioden zum Beispiel für Bewässerung besonders gross. In Zeiten der Knappheit dürfte sich die Konkurrenz ums Wasser verstärken – etwa zwischen Skigebieten, die im Sommer Reserven für die künstliche Pistenbeschneiung anlegen wollen, und der Landwirtschaft, die bewässern möchte. In gewissen Fällen betrifft der Konflikt auch das Trinkwasser. Im Kanton Graubünden etwa ist heute ein Drittel des zum Bewässern benötigten Wassers Trinkwasser. Und in der Unterengadiner Gemeinde Scuol entspricht das zum Beschneien verwendete Wasser gegen 40 Prozent des lokalen Trinkwasserverbrauchs.
Klimawandel belastet Allergiker
Auch mit Blick auf die Umwelt bringen klimabedingte Veränderungen Risiken mit sich – angefangen bei der steigenden Waldgrenze und höheren Wassertemperaturen bis hin zur Ausbreitung exotischer Pflanzen und Tiere. Bereits heute zählt man in der Schweiz 800 nicht heimische Arten, von denen rund 100 als besonders invasiv oder potenziell gefährlich gelten. Dazu gehört zum Beispiel der Riesen-Bärenklau, der nach Hautkontakt verbrennungsartige Entzündungen verursacht. Der Klimawandel kann dazu führen, dass die gebietsfremden Arten günstige Bedingungen für das Überleben und die Fortpflanzung in der Schweiz vorfinden und heimische Arten verdrängen.
Gebietsfremde allergene Pflanzen etwa haben sich bereits in den vergangenen Jahren in der Schweiz verbreitet. So zum Beispiel das Beifussblättrige Traubenkraut (Ambrosia), das bei 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung allergische Reaktionen oder Asthma verursacht. Ganz allgemein dürfte der Klimawandel zu einem früheren Beginn und einer Verlängerung der Pollensaison führen. Diese Entwicklung betrifft immer mehr Menschen, zeigen doch bereits heute rund 15 Prozent der Erwachsenen eine allergische Reaktion auf Pollen.

Risiken überwiegen Chancen
Die neue Studie will nicht nur Klimarisiken beleuchten, sondern auch Chancen aufzeigen, die sich aus dem sich wandelnden Klima ergeben. Doch Pamela Köllner stellt klar: «Auffallend ist, dass weit mehr prioritäre Risiken als Chancen identifiziert wurden.» Tatsächlich ergeben sich in der Praxis klimabedingte Chancen vor allem der steigenden mittleren Temperaturen wegen. Von dieser Entwicklung könnte die Landwirtschaft profitieren, da sich die Vegetationsperiode verlängern und die Ernteerträge zunehmen dürften – allerdings nur, wenn genügend Nährstoffe und Wasser vorhanden sind. Auch für die Winzer könnte die Temperaturveränderung positive Folgen haben, da sich künftig eine breitere Palette von Traubensorten anbauen lässt. Die zunehmende Trockenheit schafft in den Rebbergen aber auch Probleme, zum Beispiel mit der Qualität der Trauben. Dem Sommertourismus wiederum winken neue Gäste, falls die alpine Sommerfrische auf Kosten der Strandferien am Mittelmeer beliebter wird. Und nicht zuletzt darf sich die ganze Schweizer Bevölkerung der milderen Winter wegen auf tiefere Heizkosten freuen.
Hitzewarnungen und Verhaltensempfehlungen bei Hitzewellen
So weit die Analyse, doch welche Taten müssen folgen, um die Schweiz für das Leben mit Klimarisiken tauglich zu machen? Der Bericht beschränkt sich auf eine Analyse der Risiken und Chancen. Auf konkrete Massnahmen, die der Schweiz eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen sollen, geht er nur am Rande ein. Für zentrale Fragen wie «Welche Massnahmen haben das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis?» bietet der Bericht zwar eine umfassende Grundlage. Sie müssen jedoch anhand weiterer Analysen beantwortet werden. «Bei gewissen Risiken lohnt es sich, Massnahmen jetzt zu ergreifen», erklärt Pamela Köllner. So würden beispielsweise schon heute Hitzewarnungen und Verhaltensempfehlungen bei Hitzewellen ausgesprochen. «Wo die Unsicherheiten noch sehr gross sind, gilt es, ein Monitoring aufzubauen, um die Entwicklung der Risiken genau zu beobachten.»
Eines allerdings steht fest, nämlich dass die Schweiz dem Klimawandel nicht nur mit Anpassungsmassnahmen begegnen kann. Nötig sind vor allem Anstrengungen, um die klimatischen Veränderungen abzuschwächen. Der Weg dazu ist klar. Wir müssen viel weniger Treibhausgase ausstossen als bis anhin und somit unseren Beitrag zur Reduktion leisten. Nur so lassen sich die Klimarisiken langfristig vermindern.
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Letzte Änderung 28.08.2017