Wald und Klima: Trockenstress verändert den Schweizer Wald

Häufigere Trockenperioden und eine weitere Temperaturzunahme werden unsere Wälder in den kommenden Jahrzehnten einschneidend umgestalten. Mit zusätzlichen Investitionen in die Jung- und Schutzwaldpflege will der Bund sicherstellen, dass diese Ökosysteme ihre vielfältigen Leistungen auch künftig erbringen können. Für die Waldbewirtschafter wird der Klimawandel zur grossen Herausforderung.

Text: Beat Jordi 

Götterbaum Tessin
Seit einigen Jahrzehnten breitet sich der gebietsfremde Götterbaum auf der Alpensüdseite stark aus (im Bild: Arbeiten auf einer Beobachtungsfläche bei Avegno/TI). Als Folge des Klimawandels etabliert er sich nun auch punktuell in den Wäldern nördlich der Alpen, wie Fachleute der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) herausgefunden haben.
© Flurin Bertschinger/Ex-Press/BAFU

Am Abend des 13. August 2003 zündet ein Pyromane mit einem Brandbeschleuniger den Schutzwald oberhalb von Leuk-Stadt (VS) an. Nach monatelanger Trockenheit im extremen Hitzesommer breitet sich das von aufkommenden Bergwinden angefachte Feuer – trotz eines Grosseinsatzes der Wehrdienste – rasch über den ganzen Hang bis zur Waldgrenze aus. Zwischen 800 und 2100 Metern über Meer werden mehr als 300 Hektaren Wald ein Raub der Flammen. Es dauert gut drei Wochen, bis die letzten Glutherde im Boden gelöscht sind und die aus der ganzen Schweiz zu Hilfe geeilten Feuerwehren ihre Arbeit beenden können. 

14 Jahre nach der verheerenden Brandnacht, in der etwa 200 000 Bäume verkohlten, fällt die klaffende Wunde in der Landschaft nach wie vor von Weitem auf. Zehntausende von entrindeten Stammgerippen überragen den Jungwuchs von Pionierbäumen wie Birken, Weiden und Zitterpappeln. Ihre weit fliegenden Samen konnten den Hang wenige Jahre nach dem Brand als Erste besiedeln. Doch insbesondere in den höheren Lagen ab 1500 Metern über Meer hat dieser aufkeimende Laubwald nur vorübergehend Bestand, wie die Untersuchungen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zeigen. Bereits wurzeln in den Randbereichen der Brandfläche kleine Fichten und Lärchen, welche die Büsche und Laubbäume in einigen Jahrzehnten wieder verdrängen werden.

Die Föhre auf dem Rückzug

Doch unmittelbar oberhalb von Leuk, wo vor dem Waldbrand primär die Föhre das Siedlungsgebiet und die Strasse nach Leukerbad vor Naturgefahren wie Steinschlag und Lawinen schützte, dürfte die Flaumeiche diesen Nadelbaum ablösen. «Im Wallis und in weiteren inneralpinen Trockentälern setzen die zunehmend heissen und niederschlagsarmen Sommer den Föhren seit Jahrzehnten zu», erklärt der Forstingenieur Christian Küchli von der BAFU-Abteilung Wald. «Grossflächige Störungsereignisse wie Windwürfe, längere Trockenperioden, Käferbefall, Krankheiten oder Waldbrände, die als Folge des Klimawandels tendenziell häufiger auftreten, beschleunigen die schleichende Entwicklung zusätzlich.»

Gemäss der WSL weisen die Föhren in den tieferen Lagen des Wallis eine bis zu zehn Mal höhere Sterberate auf als in vergleichbaren Wäldern des Mittellandes. Neben dem sommerlichen Wassermangel in der trockensten Region der Schweiz hängen ihr Verschwinden an den Flanken des Rhonetals und das Aufkommen der Flaumeichen auch mit der veränderten Landnutzung zusammen. Bis in die 1950er-Jahre standen die Laubbäume nämlich unter dem Fressdruck von Ziegen, die damals noch in den Wäldern weideten und Eichenblätter bevorzugten, was die Verbreitung der Laubvegetation einschränkte.

Einschneidende Umgestaltung der Landschaft

Doch nicht nur im Wallis wird sich das Waldbild tief greifend verändern, wie die Resultate des vom BAFU und von der WSL lancierten Forschungsprogramms «Wald und Klimawandel» zeigen. «Wir müssen davon ausgehen, dass viele Nadelwälder in den Bergen allmählich zu Laubwäldern werden», stellt Christian Küchli in Aussicht. Angetrieben wird diese Entwicklung durch die steigende Temperatur, welche eine Verschiebung der Vegetationszonen um 500 bis 700 Meter in die Höhe bewirkt. Der vermehrte Stress durch wärmere Temperaturen und anhaltende Trockenheit strapaziert insbesondere die Fichte, die häufiger von Schadorganismen wie etwa dem Buchdrucker befallen wird. Wie sich dies auswirkt, war nach dem Sturm Lothar 1999 und dem Trockensommer 2003 zu beobachten: Wegen dieser beiden Extremereignisse fielen dem Borkenkäfer schweizweit insgesamt 6,5 Millionen Kubikmeter Holz zum Opfer. Die Fichte als Brotbaum der Wald- und Holzwirtschaft ist im Mittelland langfristig gefährdet. Zu den Gewinnern gehören nach Einschätzung der Forstfachleute trockenheitstolerantere Arten wie die Traubeneiche. Aber auch in mässig hohen Lagen werden die Buche und weitere Laubbäume die wirtschaftlich bedeutende Fichte allmählich verdrängen. Extremereignisse beschleunigen solche Veränderungen, weil sich die Wälder dann grossflächig verjüngen.

Baumartenvielfalt mindert die Risiken

Die Geschwindigkeit des Klimawandels stellt eine rasche Anpassung der multifunktionalen Wälder durch natürliche Prozesse allerdings infrage. «Der heutige Jungwuchs wird schon im mittleren Alter in einem anderen Klima leben, weshalb Förster und Waldeigentümerinnen ihre Pflegeeingriffe bereits jetzt auf die künftigen Klimabedingungen ausrichten sollten», folgert Christian Küchli vom BAFU. Nötig seien waldbauliche Strategien, um die Anpassung der Wälder zu unterstützen und damit ihre Leistungen – wie den Schutz vor Naturgefahren, die Holzproduktion, die Biodiversität oder die Erholungsfunktion – langfristig zu erhalten.

Heute noch standortgerechte Baumarten könnten bereits in wenigen Jahrzehnten an ihre ökologischen Grenzen stossen. Das vom BAFU mit 11 Millionen Franken unterstützte Forschungsprogramm empfiehlt daher unter anderem, im Rahmen der Schutzwald- und Jungwaldpflege die Baumartenvielfalt gezielt zu erhöhen. «Im Interesse der Risikominderung kann es sich je nach Standort lohnen, anpassungsfähige Edellaubhölzer wie Waldkirsche, Nussbaum, Edelkastanie oder Spitzahorn einzeln oder gruppenweise in bestehende Naturverjüngungen zu integrieren», erklärt Christian Küchli.

Der Bund handelt

Mit dem 2016 letztmals revidierten Waldgesetz hat der Bund die Grundlagen für eine Anpassung des Schweizer Waldes an den Klimawandel geschaffen, wie sie auch die Strategie «Waldpolitik 2020» verlangt. So stehen für den Schutzwald und die Jungwaldpflege künftig zusätzliche Bundesmittel von je 10 Millionen Franken pro Jahr zur Verfügung. Der Bundesrat hat diese Aufstockung damit begründet, dass eine vorausschauende und frühzeitige Waldbewirtschaftung wesentlich günstiger zu stehen komme als das spätere Beheben von Schäden. So wird es oberhalb von Leuk noch Jahrzehnte dauern, bis die volle Schutzwirkung des Waldes nach dem Grossbrand wiederhergestellt ist – und dies trotz der getätigten Investitionen in Verbauungen und Aufforstungen. 

Handlungsbedarf besteht vorab in labilen Schutzwäldern mit ungenügender Verjüngung, verminderter Bestandesstabilität und einer – aufgrund des hohen Fichtenanteils – erhöhten Klimaanfälligkeit. Doch auch in tieferen Lagen sollten die Bewirtschaftenden die Nadelholzbestände mit einer starken Empfindlichkeit gegenüber Windwurf, Trockenheit und Borkenkäferbefall rechtzeitig verjüngen. Das Ausmass der Gefährdung durch die Klimaerwärmung hängt entscheidend von den Standorteigenheiten ab. Weil wichtige Faktoren – wie Bodenmächtigkeit, Wasserverfügbarkeit und Sonnenexposition – kleinräumig variieren, sind die Waldbewirtschafter auf gut aufgelöste Standortkarten angewiesen, um die Baumarten der Zukunft bestimmen zu können. Im Rahmen des erwähnten Forschungsprogramms werden die Grundlagen für diese Karten unter Berücksichtigung des Klimawandels gegenwärtig aktualisiert. Geplant sind auch landesweite Sensitivitätskarten für besonders gefährdete Regionen, Kartendarstellungen möglicher Entwicklungen des Waldbrandrisikos oder ein Frühwarnsystem für Borkenkäfer.

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Letzte Änderung 28.08.2017

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