Raumentwicklung: Raumlabor auf Erden

Der Bund engagiert sich für die Qualität unserer Landschaft, die in der Schweiz immer mehr unter Druck gerät. Dazu fördert er eine nachhaltige Raumentwicklung, welche den Landschaftscharakter wahrt – keine einfache Aufgabe.

Text: Christian Schmidt

Raumentwicklung
Eines der Modellvorhaben ist im Binntal (VS, im Bild das Dorf Ernen) angesiedelt.
Thema: «Baukultur und Schutz unverbauter Landschaften»
© Pedro Rodrigues

In Daniel Arns Büro hängt ein Foto, darauf ein Knopf mit dem Hinweis: «PUSH to start the Revolution». Hat der Knopf mit seiner beruflichen Tätigkeit zu tun? «Nein, überhaupt nicht», sagt der stellvertretende Chef der Sektion Ländlicher Raum beim BAFU. Dennoch drängt sich eine Verbindung auf: Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sich alle Konflikte bezüglich der unterschiedlichen Nutzungsansprüche im selben Raum mit einer Daumenbewegung aus der Welt schaffen liessen. Druck kommt von den wuchernden Siedlungen und Verkehrsachsen, von Seiten des Tourismus, von der Landwirtschaft und von allen, die in der Natur Erholung suchen. «Wir haben nur eine Landschaft, aber so viele Ansprüche», fasst Arn zusammen. Doch Daniel Arn, als Raumplaner den ganzen Tag mit diesen Konflikten beschäftigt, kann keinen Knopf drücken. Um die Probleme anzugehen, muss er sich mit den Möglichkeiten der Realität begnügen. Dazu gehören unter anderem die Modellvorhaben des Bundes zur Förderung einer nachhaltigen Raumentwicklung (siehe Box unten). Die Umsetzung der innovativen Ansätze zeigt, wie anspruchsvoll das Vorhaben ist.

Gerade hat Arn den Schlussbericht zu verschiedenen Projekten erhalten. Titel: «Natürliche Ressourcen klug nutzen». Der Bericht beschreibt und analysiert Versuche, wie sich das Dilemma um die verschiedenen Nutzungsansprüche in Win-win-Situationen verwandeln lässt.

Der Raumplaner blättert darin. Und fasst zusammen: «Wir sind generell auf dem richtigen Weg, doch immer noch unterwegs.» Mit anderen Worten, nicht alle Modellvorhaben erfüllen die in sie gesteckten Hoffnungen. So versucht eines der Projekte, die Wasserknappheit in der Region Seeland anzugehen.

Aufgrund der komplexen Ausgangslage – drei Kantone sind beteiligt, eine fundierte Analyse der Situation fehlt – ist noch keine Lösung greifbar; das Projekt muss neu ausgerichtet werden.

Eine ähnliche Situation zeigt sich beim Modellvorhaben in der Unesco-Biosphäre Entlebuch (LU) zum Thema «nachhaltige Biomassenutzung». Hier soll die lokal vorhandene Biomasse nachhaltiger verwertet werden. Zwar wurde wie geplant eine gemeinsame Strategie entwickelt, allerdings nur um zu erkennen, dass in der Region eine Instanz mit der nötigen Kompetenz fehlt, um die Strategie umzusetzen. Auch hier gilt es nochmals nachzuhaken.

Für den BAFU-Landschaftsspezialisten Arn sind die Schwierigkeiten kein Grund, um am Vorgehen zu zweifeln, im Gegenteil: «Dass man bei Modellvorhaben nie genau weiss, wie sie herauskommen, gehört zu ihrem Charakter; sie sind ein Experimentierfeld. Wir lernen mit jeder Erfahrung, das ist gut.»

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In der UNESCO-Biosphäre Entlebuch (LU, hier im Gebiet Glaubenberg) soll die vorhandene Biomasse nachhaltiger genutzt werden.
© UNESCO-Biosphäre Entlebuch

 

Entwicklung nach innen

Umso mehr freut ihn der Erfolg derjenigen Projekte, die auf Basis einer nachhaltigen Raumentwicklung gleichzeitig eine Wertsteigerung der Landschaft zur Folge haben. Eines ist im Binntal (VS) angesiedelt, Thema «Baukultur und Schutz unverbauter Landschaften». Daniel Arn kennt die Gegend persönlich. Hier, wo die sonnenverbrannten Häuser unter dem Gewicht der übermächtigen Berge eng zusammenrücken und die Nähe der schützenden Kirche suchen, gefällt es ihm. Umgeben sind die Dörfer von Wiesen, deren Blumenmeer die seltenen Schwarznasenschafe ernährt und die Seelen der Wanderer und Wanderinnen beruhigt.

Doch die Idylle trügt. In den Zeiten des Baufiebers wurden übergrosse Bauzonen ausgeschieden, weshalb Neubauten die Dörfer nun ins Grüne ausfransen lassen, während in den Dorfkernen Gebäude leer stehen – ein Verlust an Attraktivität, der in diesem abgelegenen Tal wirtschaftlich ins Gewicht fällt. Die Geschäftsleiterin des 2011 lancierten Landschaftsparks Binntal, Dominique Weissen Abgottspon, will nun eine «Entwicklung nach innen» erreichen. Das heisst, sie möchte einerseits die Baulücken schliessen, andererseits in den Dorfkernen die alte Bausubstanz retten. Mithilfe des Modellvorhabens gelang es, ein Instrumentarium zu entwickeln, das den Weg zu diesem Ziel ebnet. «Wir sind einen grossen Schritt vorangekommen», sagt Dominique Weissen. Entsprechend dankbar ist sie dem Bund für sein Engagement: «Uns selbst fehlen die Mittel und damit die Möglichkeiten zu Veränderungen.» Einmal umgesetzt, soll die wiederhergestellte Qualität der Ortsbilder zusätzliche Touristen und Touristinnen anziehen. Das heisst: Die Region kann wieder wachsen.

Für Raumplaner Arn vom BAFU ist dies ein gelungenes Projekt, das zudem über die Region hinausstrahlt: «Das Modellvorhaben hat Beispielcharakter, es lässt sich auf andere Gegenden mit vergleichbarer Problematik übertragen. Genau das wollen wir.»

Geplant und bereits umgesetzt

Ebenso erfolgreich ist ein Modellvorhaben in der Agglomeration St. Gallen–Bodensee, es trägt den gleichermassen schönen wie programmatischen Titel «Landschaft für eine Stunde». Die Ausgangslage: In der dicht besiedelten Schweiz wachsen die Siedlungen immer mehr. Da bei der Wahl des Wohnorts Erreichbarkeit und Zugänglichkeit von Grün- und Freiräumen weit oben auf der Wunschliste stehen, wird das Thema Naherholung immer wichtiger und ist somit auch ein Standortfaktor.
Das Modellvorhaben untersuchte am Beispiel von vier Gemeinden, wie ihr Umfeld zu attraktiven Orten für Begegnung und Erholung aufgewertet werden kann. Trotz unterschiedlichen Ansprüchen an die Umgebung fanden sich Lösungen. «Wir haben ein Mitwirkungsverfahren entwickelt, das die verschiedenen Akteure an einen Tisch brachte», sagt Tobias Winiger, Projektleiter des St. Galler Aggloprogramms. Und was man diskutiert habe, sei nicht Papier geblieben. «Die Gemeinden haben konkret geplant und bereits verschiedene Massnahmen umgesetzt.»

Diesen Erfolg bestätigt auch Daniel Arn, der aus der Nähe verfolgt hat, wie dieses Modellvorhaben zustande gekommen ist: «Ein sehr innovatives Projekt mit viel Potenzial.» Auf Basis der gefällten Entscheide kann die Landschaft nun so weiterentwickelt werden, dass die verschiedenen Nutzungsansprüche aneinander vorbeikommen und sich insgesamt eine Verbesserung der Standortqualität ergibt (siehe Box).

Weshalb sind einzelne Modellvorhaben erfolgreich, andere weniger? Das hänge oft von der Komplexität der Situation ab, sagt Daniel Arn. Unüberbrückbare Interessenkollisionen würden den Fortschritt erschweren, manchmal zusätzlich verstärkt durch unterschiedliche gesetzliche Ausgangslagen, wenn etwa mehrere Kantone involviert seien. Zudem sei auch das Engagement der Beteiligten mitentscheidend. «Sind ein guter Wille und die Bereitschaft zu Lösungen spürbar, so ist ein grosser Schritt in Richtung einer nachhaltigen Raumentwicklung getan.» Zusammenfassend stellt Arn fest: Eine sorgfältige Analyse der vorhandenen Landschaftsqualitäten vorausgesetzt, lasse sich «häufig ein Lösungsweg aufzeigen».

Arn ist gespannt auf die Weiterentwicklung der Modellvorhaben. Angesichts des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums würden sich die Konflikte in Zukunft weiter verschärfen, so seine Prognose. Das beschäftigt den Raumplaner und Naturwissenschaftler. Und so setzt er zu einem Werbespot für die Landschaftsqualität an: «Die Schönheit der Landschaften ist ein einzigartiges Kapital und gleichzeitig auch Basis für das, was wir alle suchen und brauchen: Identität und Verbundenheit.»  

Bereits über 100 Modellvorhaben

Modellvorhaben sind anwendungsorientierte Experimente, mit denen im ganzen Land neue Ansätze und Verfahren zum Thema der nachhaltigen Raumentwicklung erprobt werden. Sie ergänzen die bestehenden Instrumente, ohne ein neues Subventionsgefäss zu schaffen. Acht Bundesämter sind daran beteiligt.

Im Rahmen der Modellvorhaben motiviert der Bund lokale, regionale und kantonale Akteure, Lösungsvorschläge zu entwickeln und vor Ort zu erproben. Was sie erreichen und lernen, wird verankert und zum Vorbild für andere Vorhaben. Entscheidend für die Auswahl der Modellvorhaben ist, dass ein Projekt eine langfristige Wirkung anstrebt, einen politischen Prozess anstösst und einer besseren Abstimmung der verschiedenen Nutzungsansprüche dient.

2018 wird die dritte Generation von Modellvorhaben abgeschlossen; die nächste Generation ist in Planung. Seit Beginn hat der Bund bereits über 100 Projekte initiiert.

Wie viel Wert hat unsere Landschaft?

Die Berechnung des ökonomischen Werts von Landschaften ist bei Verhandlungen über die Nutzung mitentscheidend. Nur so lässt sich zeigen, dass Landschaftsqualitäten wirtschaftlich bedeutungsvoll sind. Befragungen von mehreren Tausend Personen zeigen:

  • Für die Revitalisierung eines Flusses in ihrer Nähe sind die befragten Personen bereit, pro Jahr bis zu 149 Franken zu zahlen.
  • Der Erholungswert eines Waldes ist den ihn Besuchenden pro Spaziergang 9 Franken wert. Der Gesamtwert des Erholungsnutzens der Schweizer Wälder liegt jährlich zwischen 2 und 4 Milliarden.
  • Um das heutige Landschaftsbild des Berner Oberlands zu bewahren, erklären sich die Einwohnerinnen und Einwohner bereit, pro Jahr und Person 40 Franken zu investieren.
  • Die Zahlungsbereitschaft in- und ausländischer Touristinnen und Touristen für die schweizerische Landschaft ergibt einen Kapitalwert der Landschaft für den Tourismus zwischen 68 und 79 Milliarden Franken.

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Letzte Änderung 05.09.2018

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