Das grosse Reusshochwasser im Kanton Uri von Anfang Oktober 2020 zeigt, dass die während Jahren entwickelten Schutzkonzepte funktionieren: Dank zahlreicher aufeinander abgestimmter Schutzmassnahmen wie der Lenkung der Wassermassen auf die gesperrte Autobahn A2 hat es keine grösseren Schäden gegeben. Dieser Erfolg geht auf die Lehren aus dem Hochwasser von 1987 und auf die Investitionen in ein integrales Schutzkonzept zurück. Damals verwüsteten Unwetter grosse Teile der Schweiz, forderten 8 Menschenleben, verursachten Schäden von ca. 1,3 Milliarden Franken und trafen die Urner Reussebene besonders hart.
1. Unwetter und Hochwasser von 1987

© Luzerner Neueste Nachrichten, Bruno Voser
2. Ereignisanalyse leitet Paradigmenwechsel ein
Nach den verheerenden Schäden durch die Unwetter 1987 erteilte der Bundesrat den Auftrag, schweizweit die Ursachen zu analysieren. Dank dieser Ereignisanalyse konnten bedeutende Grundsätze zum Umgang mit und zum Schutz vor Naturgefahren abgeleitet werden. Die Erkenntnis, dass die Natur nicht beherrscht werden kann, führte zum Paradigmenwechsel «von der Gefahrenabwehr zur Risikokultur». Man hat erkannt, dass es keine absolute Sicherheit vor Naturgefahren gibt. Durch geeignete Massnahmen lässt sich aber das Risiko begrenzen und durch eine angepasste Nutzung (z.B. Bauverbot in Gefahrengebieten) kann verhindert werden, dass neue, nicht akzeptable Risiken entstehen.
Auch der Umgang mit den verbleibenden Risiken (z.B. ein kontrolliertes Überfliessen der Dämme im Überlastfall) hat sich als wesentlicher Bestandteil des Risikomanagements etabliert.
3. Prävention und Vorsorge
Auch an der Urner Reuss hat man die Analyse des Ereignisses 1987 als Grundlage zur Erarbeitung eines integralen Schutzkonzeptes (Berücksichtigung aller relevanter Naturgefahren, Beteiligter und Massnahmen) genutzt und den Massnahmenplan Gesamtkonzept Reuss erarbeitet. Dazu gehört, dass die Reuss in mehreren Abschnitten im Hochwasserfall auf die Autobahn und das Umland gelenkt werden kann (Entlastung). Die dazu erforderlichen baulichen Massnahmen gehen mit organisatorischen und planerischen einher.
Die Entwicklung und Umsetzung dieses integralen Konzepts erforderte den frühen Einbezug verschiedener Akteure und Akteurinnen. Dieser partizipative Prozess ist wesentlich, damit integrale Schutzkonzepte akzeptiert und dann umgesetzt werden können.


© Amt für Tiefbau Uri
Beim integralen Risikomanagement werden alle Naturgefahren betrachtet, alle Verantwortungsträger und -trägerinnen an der Planung und Umsetzung von Massnahmen beteiligt und alle Arten von Massnahmen in die Planung einbezogen.
Ziel ist eine optimale Kombination aus aufeinander abgestimmten baulichen, planerischen und organisatorischen Massnahmen.
Die Phasen des integralen Risikomanagements bilden einen Kreislauf. Mit einem Ereignis setzt die Phase der Ereignisbewältigung ein, die abgelöst wird durch eine Regenerationsphase, in der Auswertung und Wiederaufbau stattfinden. Die gewonnenen Erkenntnisse fliessen dann in der Phase der Vorbeugung ein, in Prävention und Vorsorge (z.B. Urnerreuss).

4. Ereignis 2020
Am Wochenende vom 02./03. Oktober 2020 wurde das aufgrund der Lehren von 1987 erarbeitete und umgesetzte Schutzkonzept Reuss erstmals von der Natur getestet. Die Urner Reuss führte ein ca. 50 jährliches Hochwasser, seit 1987 das erste Ereignis, bei dem der Raum innerhalb der Dämme nicht ausgereicht hat, um die Wassermassen aufzunehmen. Die Entlastungen auf die Autobahn A2 und das Umland erfolgten wie im Konzept geplant. Obwohl der Pegel der Reuss sehr rasch anstieg, erfolgte die Sperrung der Autobahn rechtzeitig und konnte bereits nach rund 20 Stunden wieder aufgehoben werden. Die nach 1987 umgesetzten Massnahmen haben sich also bewährt, nicht zuletzt dank des engagierten Einsatzes vieler Beteiligter.
Während man 1987 in der Urner Reussebene erhebliche Sachschäden verzeichnete, hinterlässt das Ereignis 2020 lediglich Aufräumarbeiten. Statt unkontrolliertem Überlaufen konnte die Reuss kontrolliert über die Ufer gelenkt und die Wassermassen in den Urnersee geführt werden. Dennoch gilt es nun, 33 Jahre nach dem Hochwasser 1987, das Ereignis 2020 zu analysieren und erneut Lehren daraus zu ziehen. Der Kreislauf des integralen Risikomanagements fängt von vorne an.

© Valentin Luthiger

© Angel Sanchez, Baudirektion Uri
Letzte Änderung 09.02.2021