Umweltforschung im Zeichen des Klimawandels: Zukunftsträchtiges Wissen aus der Forschung

Innovationen basieren auf Forschung. Diese ermöglicht es, Technologien laufend anzupassen oder zukünftige Umweltprobleme überhaupt erst zu erkennen. Beim Klimawandel liefert die Umweltforschung wichtige Erkenntnisse, damit sich Gesellschaft und Wirtschaft auf die Herausforderungen einstellen können. Lenken heisse, die Dinge vorherzusehen, lautet sinngemäss ein französisches Sprichwort.

Jungfraujoch
Messungen für das Schweizerische Gletschermessnetz (Glacier Monitoring Switzerland, GLAMOS) auf dem Grossen Aletschgletscher. An den Pegelstangen wird die Schmelze bzw. die Schnee-Akkumulation während eines hydrologischen Jahres gemessen.
© GLAMOS/Huss

Text: Lucienne Rey

In der Schweiz verbrauchen Industrie und Gewerbe, Landwirtschaft, private Haushaltungen, Tourismus sowie Bau und Bergbau pro Jahr 2150 Mio. Kubikmeter Wasser. Das entspricht fast dem Volumen des Walensees - und ist doch relativ wenig, wenn man sich vor Augen führt, dass für die Stromproduktion jährlich 250-mal mehr Wasser die Turbinen antreibt. Diese beeindruckenden Zahlen sind verbürgt, und zwar durch das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wassernutzung» . Ohne die Naturressource aus Flüssen und Seen läuft in der Schweiz gar nichts. Entsprechend dringlich ist es herauszufinden, wie sich die globale Erwärmung auf die Verfügbarkeit von Wasser auswirken wird. Das vom BAFU finanzierte Forschungsprojekt «Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz» (kurz CCHydro) hat erste Antworten gegeben; einige wichtige Fragen konnten aber nicht beantwortet werden. Deshalb hat das BAFU 2015 das Forschungsprojekt «Hydrologische Grundlagen zum Klimawandel» (kurz Hydro-CH2018) lanciert. Das Projekt ist ein eigenständiger Themenschwerpunkt im Rahmen des 2015 neu gegründeten «National Centre for Climate Services» NCCS (nccs.ch) und soll auch die Ergebnisse der von MeteoSchweiz neu erstellten Klimaszenarien berücksichtigen.

Klimawandel verschiebt die Abflüsse

Berechnungen basierend auf den Klimaszenarien aus dem Projekt CCHydro zeigen, dass bis zum Jahr 2035 hierzulande das jährlich verfügbare Wasser weitgehend gleich bleiben wird. Auf längere Sicht - also bis 2085 - werden die Wasserressourcen aber leicht abnehmen. Vor allem das Tessin muss mit Einbussen rechnen: Die Flüsse im Einzugsgebiet des Lago Maggiore werden rund 10 % weniger Wasser führen als heute. «Qualitative Aussagen zu den Auswirkungen des Klimawandels kennen wir schon seit 20 Jahren», erläutert David Volken, ehemaliger Projektleiter von CCHydro beim BAFU. «Dank CCHydro liegen nun aber schweizweit quantitative Angaben über die kurz- und längerfristig absehbaren Veränderungen im Wasserhaushalt vor.»

Bedeutsamer als Verschiebungen in der Menge fallen diejenigen im Abflussverhalten der Flüsse aus. Fliessgewässer, die ihren Ursprung im Hochgebirge haben und unter dem Einfluss von Eis- und Schneeschmelze stehen, werden sich am stärksten wandeln. Denn die Schneegrenze wird bis zur Wende ins dritte Jahrtausend um rund 500 m steigen. Den Flüssen im Mittelland wird der Klimawandel einen neuen Charakter verleihen. Während nämlich im Zeitraum zwischen 1980 und 2009 rund 40 % des Abflusses des Rheins bei Basel aus Schneeschmelze bestanden, wird dieser Anteil bis 2085 auf 25 % sinken. Ein Teil der Winterniederschläge wird demnach vermehrt sofort abfliessen und nicht wie bisher längere Zeit als Schnee liegen bleiben. Mithin werden die Flüsse im Winter mehr, im Sommer dagegen weniger Wasser führen als bisher, und extreme Pegelstände werden öfter auftreten - mit Folgen für den Lebens- und Wirtschaftsraum. So ist es angezeigt, die bestehenden Hochwasserschutzmassnahmen im Mittelland und im Jura zu überprüfen und Vorkehrungen gegen längere Phasen der Trockenheit zu treffen.

Gletscherforschung aus der Luft

Während Tourismus und Naturschutz das Schwinden der Gletscher beklagen, erkennt man bei der Stromproduktion auch Vorteile. Fliesst nämlich mehr Wasser ab, lässt sich potenziell mehr Elektrizität erzeugen. Bevor allerdings in Stauseen und Pumpspeicher investiert wird, wäre es hilfreich zu wissen, wie gross der im Eis gespeicherte Wasservorrat ist. Andreas Bauder, Geophysiker an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, hat zu diesem Zweck gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein spezielles Radarsystem entwickelt.

Die Messungen erfolgen aus der Luft, was ein grosser Vorteil gegenüber früheren Erhebungen ist, die zu Fuss durchgeführt wurden und wegen der Unzugänglichkeit vieler Stellen auf dem Eiskörper an ihre Grenzen stiessen. Beim neuen Verfahren wird ein Radarsystem an einem quadratischen Metallrahmen von rund 4 Metern Kantenlänge befestigt. Die ganze Vorrichtung ist damit schwer genug, um während des Helikopterflugs für die erforderliche Stabilität zu sorgen. Der Vergleich der bis jetzt durchgeführten Messungen mit Daten aus konventionellen Erhebungen bestätigt die Präzision der neuen Methode. Aufschlussreich sind insbesondere die Angaben, die für den Triftgletscher am östlichen Rand des Kantons Bern ermittelt wurden. «Wir haben ihn vermessen, als die Gletscherzunge noch vorhanden war, also bevor sich der neue See gebildet hatte; so konnten wir unsere Berechnungen validieren, nachdem das Eis weggeschmolzen war», erklärt Andreas Bauder.

Dass der Rückzug des Triftgletschers einen See entstehen liess, ist auch den Verantwortlichen der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) nicht entgangen. Die seit Jüngstem eisfreie Stelle wäre ideal für einen neuen Stausee. Weil der Untergrund aus Granit besteht und der Taleinschnitt sehr schmal ist, könnte mit wenig Beton viel Speichervolumen gewonnen werden: Von mindestens 85 Mio. Kubikmetern ist im Geschäftsbericht 2014 der KWO die Rede, womit jährlich 180 Gigawattstunden Strom produziert werden könnte, bei einer installierten Leistung von 80 Megawatt. Der neue See soll waagrecht mit dem bereits existierenden Räterichbodensee verbunden werden; innerhalb der KWO-Anlagen würden die beiden Seen wie ein einziger funktionieren. Die von der KWO ins Leben gerufene Projektgruppe sieht vor, ein Konzessionsgesuch einzugeben. Die Chancen für die Realisierung des Projekts stehen gut, denn das vom Gletscher freigegebene Land ist nahezu jungfräulich.

Der Wasserfracht zuhören

Eine weitere Konsequenz des Gletscherrückzugs ist, dass die Gebirgsflüsse künftig noch mehr Geschiebe und Schwebstoffe mit sich führen werden. Unerfreuliche Aussichten für die Kraftwerksbetreiber, da die Turbinen unter den feinen Partikeln leiden. «Hydroabrasivverschleiss» nennt die Fachwelt die Defekte, die durch sand- und schwebstoffhaltiges Treibwasser verursacht werden. «Hierzulande verursachen solche Schäden jährliche Kosten von rund 30 Mio. CHF», weiss Robert Boes, Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW). Die Forschung arbeitet an Methoden, um herauszufinden, was für Schwebstoffe unter welchen Bedingungen besonders problematisch sind. «Es macht einen Unterschied, ob die Partikeldurchmesser 0,1 oder 0,2 mm gross sind», so der Fachmann. Noch steht die Feldarbeit mit den ausgeklügelten akustischen und optischen Messverfahren an einer Wasserkraftanlage im Wallis im Vordergrund. Doch sie soll in Systeme münden, die es der Elektrizitätswirtschaft dereinst ermöglichen, rechtzeitig zu erkennen, ob die Turbinen abgestellt werden müssen, damit diese durch die heranfliessenden Schwebstoffe nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Bereits in der Praxis angekommen sind Erhebungsinstrumente für die Geschiebefracht von Bächen und Flüssen. Bewährt haben sich sogenannte Geophone: Das Wasser wird über Stahlplatten geleitet, an deren Unterseite Sensoren befestigt sind. Diese zeichnen die Impulse auf, die rieselnder Sand oder rumpelndes Geröll auf der Platte verursachen - und liefern damit Daten über Art und Menge des Geschiebes. Sedimentumleitstollen und Wasserfassungen können damit effizienter betrieben werden; so lässt sich verhindern, dass Stauseen verlanden oder Fassungen sich mit Sand und Geröll füllen .

«Auch für den Schutz vor Hochwasser ist es wichtig zu wissen, wie viel Geschiebe ein Fluss mit sich führt», bekräftigt Robert Boes. Wird das Wetter in Zukunft immer extremer, werden solche innovativen Messeinrichtungen umso wichtiger.

 


Die Umweltforschung des BAFU

Das BAFU benötigt für zahlreiche komplexe Fragestellungen Antworten, um seine vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können. Deshalb finanziert das Bundesamt angewandte Forschungsprojekte, um Lösungen für gegenwärtige oder langfristige Probleme und Herausforderungen im Umweltbereich aufzuzeigen. Im Unterschied zu anderen Politikbereichen verfügt das BAFU über keine eigenen Forschungseinrichtungen und ist deshalb für die Deckung seines Forschungsbedarfs auf die Zusammenarbeit mit externen Fachleuten aus Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsanstalten und privaten Institutionen angewiesen. Das Forschungskonzept Umwelt stellt sicher, dass die nötigen Grundlagen für die schweizerische Umweltpolitik zur Verfügung stehen. Die einzelnen Handlungsfelder ergeben sich aus dem Vollzug der gesetzlichen Grundlagen sowie aus Aufträgen des Parlaments. Dieses Planungsinstrument wird alle 4 Jahre aktualisiert und ist für die Fachabteilungen des BAFU verbindlich. Die Erstellung des Forschungskonzepts wird von einer externen, unabhängigen Kommission begleitet, die Mitglieder aus der Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung umfasst. In der Periode 2013 bis 2016 stehen dem Bundesamt für seine inter- und transdisziplinär ausgerichtete Umweltforschung 29 Mio. CHF zur Verfügung.

Um einen umfassenden und aktuellen Überblick über die schweizerische Umweltfor-schung im Hochschul- und Fachhochschulbereich zu gewährleisten und die Koordination und Transparenz zu erleichtern, betreibt das BAFU eine Datenbank, in der gegenwärtig über 1000 Forschungsgruppen mit ihren Spezialgebieten erfasst sind. Die Datenbank ist öffentlich zugänglich und kann über die BAFU-Website abgefragt werden. (gk)

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Letzte Änderung 18.05.2016

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