National Prioritäre Arten – Vom Pilz zum Iltis: bedrohte Arten gezielt fördern

Einst war er auf Schweizer Märkten zu finden, heute ist er streng geschützt: Der Rosenrote Saftling steht wie viele andere bedrohte Pilze, Pflanzen und Tiere auf der «Liste der National Prioritären Arten». Neu zeigt die revidierte Liste für jede Art, wo mit Schutz- und Fördermassnahmen anzusetzen ist.

Text: Nicolas Gattlen

Der Rosenrote Saftling ist eine der Arten, die als national prioritär eingestuft wurden. Für den Schutz dieser Arten trägt die Schweiz eine besondere Verantwortung.
© FLPA / Alamy

Sie leuchten in kräftigen Farben, von Gelb über Orange, Rot und Rosa bis hin zu Neongrün: Saftlinge zählen zu den spektakulärsten Wiesenpilzen der Schweiz. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurden sie noch auf Märkten in den grossen Schweizer Städten verkauft, doch heute sind sie zum Teil sehr rar und streng geschützt. Das gilt zum Beispiel für den Rosenroten Saftling, der sich sofort verabschiedet, wenn er zu vielen Nährstoffen ausgesetzt ist – eine Gülledusche, und der Pilz ist weg. Im Mittelland ist die Art inzwischen ausgestorben. Die wenigen verbliebenen Populationen sind in mageren Wiesen und Weiden in den nördlichen Voralpen und im Jura anzutreffen, aber auch dort ist der Pilz durch die Intensivierung der Landwirtschaft unter Druck. Nun hat der Bund den Rosenroten Saftling auf die Liste der National Prioritären Arten (NPA) gesetzt.

Wer kommt auf die Liste?

«Die NPA-Liste ist ein wichtiges Instrument für den Artenschutz», erklärt Danielle Hofmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BAFU. «In der Schweiz sind mehr als 56 000 Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen nachgewiesen. Angesichts dieser Anzahl müssen wir unsere Aktivitäten priorisieren und koordinieren, um die Vielfalt zu erhalten.» Dafür wird berücksichtigt, zu welchem Grad eine Art national gefährdet ist, aber auch, welche internationale Verantwortung die Schweiz für die Erhaltung der Art trägt. Wie beim Rosenroten Saftling: Er ist nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa selten, und die Schweiz verfügt über wichtige Refugien.

Es sind aber auch Arten aufgelistet, die bei uns relativ weitverbreitet sind, in Europa aber nur begrenzt vorkommen wie etwa der Rotmilan. Hierzulande ist dieser Greifvogel geschützt und wird weder geschossen noch illegal vergiftet. Zwar haben auch Länder wie Frankreich und Italien Aktionspläne oder Wieder­an­siedlungs­­programme lanciert, aber in der Schweiz ist die Rotmilanpopulation am gesündesten. Umgekehrt fehlen auf der Liste Arten, die zwar bei uns gefährdet sind, für deren Verbreitung die Schweiz jedoch nur eine marginale Bedeutung hat.

Das BAFU hatte 2011 zum ersten Mal eine NPA-Liste veröffentlicht, zusammen mit dem Schweizerischen Informationszentrum für Arten InfoSpecies. Seither wurde die Liste zweimal überarbeitet. Denn in der Zwischenzeit haben die nationalen Daten- und Informationszentren, die unter dem Dach von InfoSpecies vereint sind, mehrere neue Rote Listen erstellt, etwa zu den Lauf­käfern, den Singzikaden oder den Bienen (geplante Veröffentlichung 2024). Und sie haben ältere Rote Listen revidiert, zum Beispiel die der Reptilien, der Amphibien und der Moose. Hinzu kamen neue Daten über die internationale Verbreitung der Arten. «Mit der nun vorliegenden NPA-Liste haben die Kantone eine solide Basis, um Schutz- und Fördermassnahmen zu planen», erklärt Danielle Hofmann.

Drei Handlungsebenen für Iltis, Haselmaus und Saftling

Für die fast 3000 Arten, die aktuell auf der Liste stehen, ist neu definiert, auf welcher Handlungsebene und mit welcher Dringlichkeit die Massnahmen umzusetzen sind. So lassen sich 15 Prozent der prioritären Arten erhalten, indem eine biodiversitätsfreundliche Nutzung auf der ganzen Landesfläche etabliert wird – auf Wald- und Landwirtschaftsflächen, wie auch auf Grünflächen im Siedlungsraum oder entlang von Gewässern.

Ein typischer Vertreter dieser Handlungsebene ist der Iltis. Das kleine Raubtier bevorzugt halb offene, gut strukturierte Lebensräume mit Hecken, natürlichen Bächen und Feuchtgebieten. Denn dort findet es Deckung und Nahrung: Frösche, Kröten und andere Kleintiere. Doch solche strukturreichen Landschaften sind in der Schweiz rar geworden. Um langfristig überleben zu können, ist der Iltis auf zusätzliche Biodiversitätsförderflächen wie Hecken und Ufergehölze angewiesen. Zugute kommen ihm auch Waldrandaufwertungen und der Verzicht auf Pflanzen­schutzmittel. Denn Amphibien – die Hauptbeute des Iltis – nehmen diese Stoffe über ihre Hautatmung in grossen Mengen auf und werden dadurch geschädigt.

Deutlich höhere ökologische Ansprüche hat die Haselmaus. Zwar nutzt auch sie halb offene und struktur­reiche Lebensräume wie Hecken und Gehölze – aber nur, wenn sie artenreich sind und eine Vielzahl an Nüssen, Beeren und Insekten bieten. Zudem müssen ihre Nist-, Nahrungs- und Ruheplätze fast lückenlos durch Gehölze verbunden sein. Denn die kleine Kletterkünstlerin hält sich nicht gern am Boden auf. Sie benötigt also – so wie 55 Prozent der National Prioritären Arten – zusätzlich zur nachhaltigen Landnutzung qualitativ gute Lebensräume, die mit einer ökologischen Infrastruktur gesichert werden können. Diese findet sie in Waldreservaten, lichten Waldbeständen und naturnahen, artenreichen Waldrändern.

Für rund 30 Prozent der prioritären Arten braucht es darüber hinaus spezifische Fördermassnahmen. Dazu zählt der eingangs erwähnte Rosenrote Saftling. Um den Pilz zu erhalten, muss die Schweiz die verbliebenen Populationen sofort sichern und neue geeignete Standorte schaffen, etwa in Parkanlagen. Im Kanton Bern wird derzeit ein Aktionsplan für den Pilz erarbeitet. Neben der Überprüfung von bekannten und potenziellen Standorten definiert der Plan auch Massnahmen für den Schutz der Standorte: So sollen unter anderem Verträge sicherstellen, dass die «Saftlingswiesen» auch in Zukunft nicht gedüngt werden.

Sechs priorisierte Arten

Erfolgreiche Amphibienförderung

Zahlreiche Beispiele zeigen, dass sich mit gezielter Artenförderung tatsächlich eine Trendwende herbeiführen lässt. So stehen die meisten Amphibienarten auf der Liste der prioritären Arten und sind von spezifischen Fördermassnahmen abhängig. Um die Situation zu verbessern, hat etwa der Kanton Aargau in den letzten 25 Jahren in einem gemeinschaftlichen Kraftakt mit Gemeinden, Naturschutzorganisationen, Landwirten und Waldbesitzerinnen mehr als 600 Brutstätten geschaffen, um gefährdete Amphibien zu fördern. Speziell für die Gelbbauchunke wurden kleine Wannen in Böden verlegt. Jeweils im Herbst werden die Wannen entleert und im Frühjahr wieder mit Wasser gefüllt. Damit lässt sich die natürliche Dynamik der Auen simulieren, die einst weite Teile der Aargauer Flusstäler umfassten und der Gelbbauchunke ideale Lebensbedingungen boten. Die Unke laicht bevorzugt in warmen Tümpeln, die oft kleiner als ein Quadratmeter sind und periodisch austrocknen. In diesen kommen Fische, die den Unkenlaich fressen, kaum vor. Auch temporär Wasser führende Kleingewässer und kontrolliert ablassbare Folienweiher wurden geschaffen: Von diesen Fördermassnahmen profitieren nebst den Unken auch andere national prioritäre Amphibienarten wie die Geburtshelferkröte.

Das kantonale Amphibienmonitoring im Aargau zeigt, dass die Mass­nahmen wirken: Mit Ausnahme der Kreuzkröte, der es noch immer an grossen, periodisch austrocknenden Gewässern im Offenland mangelt, besiedeln die meisten gefährdeten Amphibienarten heute mehr Gewässer als noch in den Nullerjahren. Die Gelbbauchunke etwa weist seit 1999 ein Viertel mehr Vorkommen auf; der Laubfrosch hat seine Präsenz gar um den Faktor drei erhöht. «Die Amphibien profitieren von den neuen Ersatzlebensräumen», sagt Nicolas Bircher, Leiter der Gruppe «Natur» in der Abteilung Landschaft und Gewässer beim Kanton Aargau. «Je mehr Brutstätten wir in einer Gegend erstellt haben, desto stärker ist der Aufwärtstrend.»

Nothilfe für den Mittelspecht

Eine Erfolgsgeschichte ist auch die Rettung des Mittelspechts. Anders als sein grösserer Verwandter, der Buntspecht, sucht der Mittelspecht seine Beute auf Baumoberflächen und findet sie gerade im Winter oft in den Rissen von grobborkigen Bäumen. In der Schweiz weisen vor allem alte Eichen solche Risse auf. Ins morsche Holz von alten Eichen oder in stehendes Totholz zimmert der kleine Specht auch seine Bruthöhle. Doch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden viele dieser Eichenriesen aus den Schweizer Wäldern geschlagen. Im Kanton Zürich etwa verlor der Mittelspecht fast die Hälfte seiner Lebensräume. 2005 wurden schweizweit nur noch rund 500 Reviere nachgewiesen. Das BAFU lancierte deshalb 2008 den «Aktionsplan Mittelspecht». Daraufhin stellten die Kantone bedeutende Eichenbestände etwa in Form von Sonderwaldreservaten unter Schutz und viele Waldbesitzende lassen seither die grossen Eichen sowie andere Brutbäume mit weichem Holz stehen. Zusätzlich werden dichte Baumbestände ausgelichtet, damit die Kronen der Eichen mehr Sonne bekommen, denn das lockt Beuteinsekten an.

Heute geht es dem Mittelspecht wieder deutlich besser: Seine Bestände haben sich fast verdreifacht und er gilt in der Schweiz nicht mehr als gefährdet, sondern ist als potenziell gefährdet eingestuft. Doch der Mittelspecht steht weiterhin auf der Liste der prioritären Arten, da er von Förderungsmassnahmen abhängig ist. «Um das Überleben der Art sicherzustellen, müssen wir den Anteil an Eichen und Totholz im Schweizer Wald weiterhin erhöhen», erklärt Danielle Hofmann. «Das kommt nicht nur dem Mittelspecht zugute», ergänzt sie. «Viele weitere Arten würden profitieren, darunter seltene Käfer, Moose, Flechten und Pilze.»

Gesucht: Artenkennerinnen und -kenner

Wir können die Biodiversität nur gezielt fördern, wenn wir die Verbreitung der Arten und ihre Ökologie kennen. Für viele Artengruppen wie Weichtiere, Flechten und Käfer gibt es jedoch viel zu wenige oder gar keine Expertinnen und Experten. Das nationale Aus- und Weiterbildungsangebot zur Artenkenntnis wird von InfoSpecies koordiniert. Auf der Website finden Interessierte eine breite Palette von Kursen auf verschiedenen Niveaus, in denen sie Kenntnisse über bedrohte Arten und Lebensräume erwerben und vertiefen können – von Säugetieren und Reptilien über Fische und Spinnentiere bis zu Moosen und Pilzen.

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Letzte Änderung 12.06.2024

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