Do-it-yourself-Biologie: Gentech-Experimente in der Garage

Immer mehr Amateurbiologen experimentieren in Garagen, Kellern oder Wohnzimmern an Organismen und setzen dabei auch Gentechnik ein. Ob die Biosicherheit gewährleistet ist, untersucht eine laufende Studie.

Text: Peter Bader

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Marc Dusseiller verliess 2006 die Universität und wurde ein Schweizer Pionier der Biohacking-Bewegung.
© Flurin Bertschinger | Ex-Press | BAFU

Am Ende des Gesprächs muss die Frage doch noch gestellt werden: «Sind Sie eigentlich ein Rebell?» Ja, antwortet Marc Dusseiller, ohne zu zögern, das könne man schon sagen. Dies hört sich ein bisschen gefährlicher an, als es tatsächlich ist. Es bedeutet: Der 43-jährige Schaffhauser beschreitet aussergewöhnliche Wege. Er promovierte in Material- und Nanobiowissenschaften und absolvierte danach ein Postdocstudium in Robotik. Weil er «immer sehr an der interdisziplinären Arbeit interessiert» war, konnte sich Marc Dusseiller eine klassische Forscherkarriere mit engem Themenspektrum nicht vorstellen. Er verliess die Universität 2006 und arbeitet seither als freischaffender Dozent und Veranstalter von Workshops. Er experimentierte zudem mit elektronischer Musik und wurde Mitbegründer der Schweizerischen Gesellschaft für Mechatronische Kunst (SGMK) in Zürich.

Raus aus der Universität

Vor allem wurde er zu einem der Schweizer Pioniere der Biohacking-Bewegung. Zusammen mit dem Inder Yashas Shetty, dem Engländer Andy Gracie und Urs Gaudenz aus Luzern gründete er 2009 das international vernetzte Projekt Hackteria. Ausserhalb von professionellen Labors soll damit einer breiten Bevölkerung die Welt der Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Algen, Pilze oder Viren) und ganz allgemein der biologischen Forschung zugänglich gemacht werden. Das Wort «Hacking» hat in diesem Zusammenhang also nichts mit dem kriminellen Eindringen in fremde Computer zu tun, weshalb der Begriff «Do-it-yourself-Biologie» (DIY-Bio) besser passt. Die Bewegung entstand vor rund 10 Jahren in Boston (USA). Es gehe darum, sagt Marc Dusseiller, die wissenschaftliche Forschung aus den Universitäten herauszuholen und die Gesellschaft daran zu beteiligen. «DIY-Biologen erforschen ihre Umgebung oder ihren eigenen Körper, realisieren Kunstprojekte, streben also persönliche Erkenntnisse an, ausserhalb des klassischen wissenschaftlichen Kontextes.»

In der Biohacking-Szene finden sich sowohl Profi- wie auch Hobby-Biologinnen und -Biologen. Gemeinsam ist ihnen die Freude am Experimentieren, vielen geht es auch um den Austausch, den Kontakt mit Gleichgesinnten. Sie treffen sich in Garagen, Wohnungen und privaten Labors, organisieren Workshops und öffentliche Veranstaltungen.

Mikroskop aus Webcam

Um die Welt der Biologie mit möglichst simplen Mitteln zu erkunden, liefert Marc Dusseiller etwa eine Open-Source-Anleitung zum Umbau einer einfachen Webcam in ein Mikroskop. «Dieses Eigen­baumikroskop kostet einen Bruchteil eines professionellen Geräts und ermöglicht schon sehr tiefe Einblicke. Das hat für mich etwas mit Demokratisierung der Wissenschaft zu tun.»

Marc Dusseiller bietet beispielsweise Workshops an, in denen die Teilnehmenden Käse mit dem aus Kälbermagen gewonnenen Enzym Chymosin herstellen. Letzteres lässt sich auch aus Hefen oder Schimmelpilzen gewinnen, die mithilfe von Genscheren wie CRISPR/Cas verändert wurden. Bei diesen Workshops, sagt Marc Dusseiller, gehe es vor allem darum, «den derzeitigen Hype um Genome-Editing-Technologien zu entmystifizieren und deren öffentliche Nutzung für eine bessere Welt zu diskutieren.»

In Zusammenarbeit mit ausländischen Bildungsinstitutionen hat Dusseiller auch schon Experimente durchgeführt, bei denen grün fluoreszierende Proteine oder Duftstoffe mittels gentechnischer Verfahren in Bakterien eingebaut wurden.

CRISPR-Kits aus dem Internet

Auch Gentech-Experimente sind also Teil der DIY-Bio-Szene. Erstaunen kann das nicht: Experimente wie das Einschleusen von DNA zur Züchtung von nicht pathogenen Bakterien werden in der Schweiz heute auch in Schulen durchgeführt. Zudem lassen sich im Internet für rund 150 Franken CRISPR-Kits (Genscheren und Bakterienstämme) kaufen. Wenn in Garagen und Wohnzimmern mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ­hantiert wird, stellt sich natürlich die Frage der Biosicherheit. Die Angst, dass auf diesem Weg auch gefährliche Bakterien oder Killer-Viren entstehen könnten, werde in den Medien bisweilen deutlich übertrieben, ist Marc Dusseiller überzeugt. Es sei auch nicht ganz so einfach, solche Viren zu züchten oder gar zu generieren. «Niemand aus der Szene will das wirklich machen. Da besteht ja in erster Linie die Gefahr, dass man sich selbst Schaden zufügt.»

Trotzdem müssen auch DIY-Biologen die Sicherheitsstandards einhalten, wie sie in jedem Mikrobiologie-Labor in Forschung und Industrie gelten. Dazu gehört etwa, dass Organismen am Ende des Experiments abgetötet werden oder dass – ganz banal – darauf geachtet wird, die Pipetten nicht mit dem Mund aufzuziehen. Wer hierzulande mit GVO experimentiert, muss dies beim BAFU anmelden. «Wir beobachten die Szene seit ein paar Jahren und haben keinen Grund zur Annahme, dass von ihr eine Gefahr ausgeht», bemerkt Basil Gerber, stellvertretender Sektionschef Biotechnologie beim BAFU. Weil viele DIY-Biologen und -Biologinnen auf sozialen Plattformen präsent seien, herrsche bereits heute eine ziemlich grosse Transparenz. Ein europäischer Kodex verpflichte die Szene zudem zum Einhalten der Regeln und Gesetze.

Gleichwohl führt das BAFU derzeit zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und verschiedenen Kantonen eine auf zwei Jahre angelegte nationale Studie durch. «Damit wollen wir herausfinden, wie diese Szene, die sich sehr dynamisch entwickelt, funktioniert und welcher Handlungsbedarf sich allenfalls daraus ableitet», sagt Daniel Fischer, Sektionsleiter Biosicherheit beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des federführenden Kantons Zürich. Erste Resultate sollen Ende 2019 vorliegen.

Sicherheit für gute Experimente

Marc Dusseiller schätzt die Anzahl DIY-Biologen in der Schweiz auf «zwei bis drei Dutzend Leute». Man wolle deren Arbeit keinesfalls unter Generalverdacht stellen, betont Basil Gerber vom BAFU: «Aber erst, wenn Biosicherheit gewährleistet ist und technische Mindeststandards eingehalten werden, sind gute Experimente möglich – und damit auch eine sinnvolle Diskussion zum Thema Gentechnologie oder wertvolle Beiträge zur wissenschaftlichen Forschung.»

Letzteres erwartet Marc Dusseiller weniger, dann schon eher «eine Biobrauerei, die mit grün blinkendem Bier eine Marktlücke entdeckt». Er erhofft sich vor allem einen Neustart in der Gentechnologie-Diskussion, weil «eine breite Bevölkerung Zugang zu dieser Technologie erhält und mit der Zeit spannende und wirklich alternative Projekte schaffen kann, die der Gesellschaft Nutzen bringen – und nicht primär Geld für einen grossen Konzern generieren».

Experimente unter Anleitung

Neben der Website hackteria.org von Marc Dusseiller gibt es in der Schweiz über das ganze Land verteilt eine Reihe von weiteren Vereinigungen von Do-it-yourself-Biologen und -Biologinnen: zum Beispiel das Hackuarium im Raum Lausanne oder das GaudiLabs in Luzern. Die Universität Lausanne bietet mit dem Labor «l’éprouvette» interessierten Jugendlichen und Erwachsenen die Möglichkeit, DNA-Experimente unter Anleitung eines Experten selbst durchzuführen und gesellschaftlich relevante Themen rund um Gentechnik und GVO zu diskutieren. Ähnliche Angebote machen das Life Science Zurich Learning Center der Universität Zürich und der ETH Zürich oder das «Bioscope» der Universität Genf.

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Letzte Änderung 29.05.2019

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