Bei der Herstellung von Lebensmitteln setzen Landwirtschaft und Industrie weltweit zunehmend auf die Gentechnik. Dadurch findet diese ihren Weg indirekt auch auf Schweizer Teller.
Text: Mike Sommer
«Gegenwärtig befinden sich praktisch keine gentechnisch veränderten Lebensmittel auf dem Schweizer Markt.» Dieser Satz auf der Website des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) dürfte Konsumentinnen und Konsumenten beruhigen. Denn sie stehen gemäss einer nationalen Umfrage von 2010 gentechnisch veränderten Lebensmitteln skeptisch gegenüber. Bereits 2005 sprach sich eine deutliche Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger an der Urne für «Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» aus. Ausser zu Forschungszwecken bleibt der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Schweiz bis zum Ablauf eines bereits mehrmals verlängerten Moratoriums im Jahr 2021 verboten.
Nicht untersagt ist hingegen der Import von GVO-Lebensmitteln und -Futtermitteln. Liegt eine Zulassung vor, so ist eine Einfuhr möglich. Zuständig für diese Zulassung ist das BLV. Das BAFU und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) sind am Verfahren beteiligt. Lebensmittel aus GV-Pflanzen müssen – ungeachtet ihrer Herkunft – als solche gekennzeichnet werden. Derzeit sind in der Schweiz drei GV-Maissorten und eine GV-Sojasorte als Lebensmittel zugelassen, dazu einige Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe, die keiner speziellen Kennzeichnungspflicht bedürfen. Solche bewilligten gekennzeichneten GV-Lebensmittel findet man im Detailhandel aber nicht, denn die Branche weiss um die Vorbehalte der Bevölkerung und will Imageschäden vermeiden. Ähnlich ist es in der Landwirtschaft. Die Bauern und Bäuerinnen könnten die vom Bund zugelassenen GVO als Futtermittel verwenden, sie verzichten aber darauf.
Wie wird Import-Fleisch produziert?
Die Produktion von GV-Futtermitteln ist aber in vielen Ländern und insbesondere in Nord- und Südamerika weit verbreitet, und das Fleisch von Tieren, die mit GV-Futtermitteln gemästet wurden, gelangt auch in die Schweiz. Da dieses Fleisch selbst keine GVO-Spuren enthält und es somit nicht als GV-Lebensmittel gilt, kann es ohne spezielle Bewilligung und Kennzeichnung verkauft werden. Die Schweizer Bevölkerung konsumiert also beachtliche Mengen von Fleisch, für dessen Herstellung im Ausland mutmasslich GVO verwendet wurden. Ob sie sich dessen bewusst ist, bleibt unklar. Die obligatorische Herkunftsdeklaration beim Fleisch erlaubt es zumindest theoretisch, einen Zusammenhang mit der Fütterung mit GVO herzustellen. Nur beim zertifizierten Bio-Fleisch kann der Einsatz von GV-Futtermitteln im Prinzip ausgeschlossen werden.
So ergibt sich eine widersprüchliche Situation: Einerseits ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Schweiz verboten und sind GV-Lebens- und -Futtermittel wegen fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung derzeit kein Thema. Andererseits bezieht die Schweiz rund die Hälfte der hier verbrauchten Lebensmittel aus dem Ausland. Damit sind wir bereits heute Nutzniesser einer weltweiten Nahrungsmittelproduktion, bei der die Gentechnik von Bedeutung ist – und künftig noch an Gewicht zulegen wird. Der Ursprung dieser Produktion findet sich in einer Intensivlandwirtschaft, die hohe Erträge bei vergleichsweise geringem Arbeitsaufwand und damit tiefe Preise ermöglicht. Für diese bietet die Gentechnik attraktive Lösungen, etwa mit Pflanzen, die gegen Herbizide, Krankheiten und Schädlinge resistent sind.
Doch diese Produktion mit GVO hat – bei all ihren Vorteilen – auch ihre Schattenseiten: So zeigt etwa eine Übersichtsstudie der Umweltämter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass auf Feldern mit herbizidresistenten GV-Pflanzen in der Regel mehr Herbizide eingesetzt werden als auf konventionell bepflanzten Feldern. Auch werden in Regionen mit hohem GVO-Anteil tendenziell mehr Monokulturen angebaut und weniger Flächen zur Fruchtfolge genutzt.
Die Schweizer Bevölkerung hält die Gentechnik und deren Schattenseiten auf Distanz, sie profitiert aber – sei es bewusst oder unbewusst – von den tiefen Preisen der Lebensmittel, die jenseits der Grenzen mit ebendieser Gentechnik erzeugt wurden. Wie hoch das Preisargument gewichtet wird, zeigte sich 2018 auch bei der Ablehnung der beiden Volksinitiativen «Fair Food» und «Ernährungssouveränität». Das Argument, ihre Annahme würde viele Lebensmittel verteuern, überzeugte die Mehrheit der Stimmberechtigten, wie Umfragen zeigten.
Bequem und günstig – dank Gentechnik
Nicht allein wegen ihres Preisvorteils drängen mithilfe von Gentechnik hergestellte Lebensmittel zunehmend auf den Markt. Ein weiterer Faktor ist die Bequemlichkeit der Konsumierenden, die gerne auf verarbeitete Lebensmittel («Convenience Food») zurückgreifen. Diese enthalten in der Regel Verarbeitungshilfsstoffe und Zusatzstoffe, um die gewünschten Eigenschaften (Geschmack, Konsistenz, Standardisierung, Haltbarkeit usw.) zu erzeugen. Viele dieser Stoffe lassen sich heute dank der Gentechnik günstig und in grossen Mengen gewinnen (siehe Box). Für die Produktion von Lebensmitteln sind in der Schweiz zurzeit zwei Vitamine, zwei Labfermente und zwei Verarbeitungshilfsstoffe zugelassen, die mittels Gentechnik hergestellt werden.
In die Kategorie «Convenience-Food» reiht sich auch der «Arctic Apple» ein, der seit 2017 in den USA verkauft wird. Durch eine Veränderung des genetischen Codes gelang es den Entwicklern, jenes natürliche Enzym zu reduzieren, das Äpfel braun werden lässt, wenn sie durch Druck oder beim Zerschneiden «beschädigt» werden. Damit wurde es möglich, abgepackte Apfelschnitze zu vermarkten, die ihr frisches Aussehen lange bewahren. Gerechtfertigt wird das Produkt vom Hersteller damit, dass Konsumentinnen und Konsumenten eher zum Verzehr von Äpfeln zu bewegen seien, wenn diese in mundgerechten Portionen angeboten würden. Zudem leiste der «Arctic Apple» einen Beitrag im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung, da grosse Mengen von Äpfeln vernichtet würden, die sich wegen brauner Flecken nicht mehr verkaufen liessen.
Genom-editiert oder konventionell?
Beim BLV beobachtet man die Entwicklung genau. Vizedirektor Michael Beer glaubt nicht, dass mit herkömmlicher Gentechnik produzierte Lebensmittel – wie der «Arctic Apple» – demnächst auf den Schweizer Markt drängen: «Hingegen werden uns die neuen Technologien der Genom-Editierung beschäftigen. Das Problem besteht dort darin, dass wir nicht direkt nachweisen können, ob der genetische Code eines Organismus mit der Genschere oder durch konventionelle Züchtungsmethoden verändert wurde.»
GVO in der Lebensmittelindustrie
Moderne biotechnologische Methoden eröffnen der Lebensmittelindustrie ganz neue Möglichkeiten. Mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) wie Pilzen (z. B. Hefe) oder Bakterien lassen sich Aromen, Süssstoffe, Vitamine, Aminosäuren, Enzyme und weitere Stoffe für die Lebensmittelindustrie herstellen. Diese Stoffe können strukturell identisch sein mit jenen, die aus Stoffwechselprozessen in der Natur oder aus chemisch-synthetischen Verfahren hervorgehen. Als Zusatzstoffe in Lebensmitteln müssen sie in der Schweiz nicht als GVO gekennzeichnet werden, wenn sie von den GV-Mikroorganismen vollständig gereinigt sind. Die Herstellung muss in einem geschlossenen System erfolgen. Die Produktionsanlagen und die GV-Organismen sind bewilligungspflichtig.
Biotechnologische Verfahren mit gentechnisch veränderten Produktionsorganismen werden in der Schweiz nur in der Forschung und Entwicklung eingesetzt, nicht aber in der Lebensmittelindustrie. Zu den Pionieren gehört das Schweizer Unternehmen Evolva, dem es 2011 gelang, Hefen genetisch so zu programmieren, dass sie Vanillin produzieren. Dieses Vanillin ist seit 2014 auf dem Markt (produziert wird es im Ausland) und eine Alternative für synthetisch hergestelltes Vanillin oder natürliches Vanillin. Mit Letzterem kann nur rund ein Prozent der weltweiten Nachfrage nach dem beliebten Duftstoff befriedigt werden. Neben weiteren Duftstoffen hat Evolva auch den Süssstoff «EverSweet» entwickelt, der jetzt in den USA zugelassen ist und vom Agro-Konzern Cargill hergestellt und vermarktet wird. «EverSweet» wird mit einer gentechnisch manipulierten Hefe produziert. Ihr wurden die Gene für einen Stoffwechselweg eingebaut, der die Hefe die süssen pflanzlichen Proteine, nicht aber die bitteren Proteine produzieren lässt. (ms)
Kontrollen weisen wenig Verstösse nach
Jedes Jahr untersuchen die kantonalen Vollzugsbehörden mehrere Hundert Lebensmittelproben auf Anteile gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Das BLV erstellt jährlich einen Bericht über die Ergebnisse dieser Kontrollen. In den 493 Lebensmittelproben, die 2017 untersucht wurden, fanden sich in 59 Fällen Bestandteile von GVO. In den allermeisten Proben lag der Anteil unterhalb der Toleranzgrenze, die für unbeabsichtigte Spuren in Lebensmitteln gilt. Bei 37 Proben wurden Bestandteile von GV-Produkten nachgewiesen, die in der Schweiz bewilligt oder toleriert sind, 13 Proben enthielten Anteile von in der Schweiz nicht zugelassenen GV-Produkten und in 2 Fällen wurde gegen die Kennzeichnungspflicht verstossen. Kontrolliert wurden vor allem Lebensmittel mit erhöhtem Risiko für eine Verunreinigung wie Sportlernahrung (Energieriegel, Proteinpulver) sowie Produkte aus Mais (Tortilla Chips, Maismehl, Maisflocken) und Soja (Tofu, Fleischersatzprodukte, Sojadrinks). (nig)
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Letzte Änderung 29.05.2019