Fruchtbarer und ebener Boden ist in der Schweiz ein knappes Gut. Entsprechend hoch ist die Nachfrage: Siedlungsbau, Verkehrsanlagen, landwirtschaftliche Produktion, Erholung und die Erzeugung erneuerbarer Energie wetteifern um günstige Lagen. Dabei geraten die Natur und die Landwirtschaft zunehmend unter Druck.
Text: Vera Bueller

Von Bellinzona (TI) her kommend, führt die Strasse vorbei an Gewerbegebäuden, Tankstellen, Einkaufszentren, gelegentlich einem Stück Grün, Baumärkten, Möbelhäusern. Abzweigungen zu nahen Industriezonen folgen dicht auf dicht. Nach Quartino in Richtung Locarno erstrecken sich beidseits der Autobahn ehemalige Ackerflächen mit grossen Glas- und Tunnelgewächshäusern.
Kaum vorstellbar, dass einst viele kleine Wasseradern diesen Talgrund durchzogen haben, gespeist von den Bächen aus den Seitentälern. Heute erinnern daran nur noch die im Mündungsdelta am Lago Maggiore gelegenen «Bolle di Magadino» – ein geschütztes Naturschutzgebiet mit zahlreichen Tümpeln, Schilfgürteln und einer reichen Tierwelt. Mit den Korrektionen des Flusses Ticino wurden nämlich nicht nur Hochwasserschutz-Massnahmen getroffen, sondern das einstige Überschwemmungs- und Sumpfgebiet der Natur entzogen. Es wurde allmählich trockengelegt und immer intensiver landwirtschaftlich genutzt. Und die Veränderungen gingen weiter: Galt die Magadinoebene Mitte des 20. Jahrhunderts noch als Kornkammer des Kantons, wandelte sie sich ab den 1970er-Jahren zum Standort für Gewerbe, Industrie und Logistik mit Strassen und Verkehrsknotenpunkten – ohne erkennbare Ordnung.
Landschaft aufwerten
Die Magadinoebene zwischen Bellinzona und Locarno ist ein Beispiel dafür, wie sich Zersiedelung und das Fehlen einer weitsichtigen und kohärenten Raumplanung auswirken können. In den letzten Jahren fand jedoch ein Umdenken statt: 2014 beschloss das Tessiner Parlament, die verbliebenen Grün- und Ackerzonen entlang des Flusses Ticino als Naherholungsgebiet auszuscheiden und 2350 Hektaren in einen Park umzuwandeln. Dazu gehören Auenwälder, Feucht- und Moorgebiete, Landwirtschaftsflächen sowie Verkehrswege und verschiedene Bauten. Mithilfe eines speziellen kantonalen Nutzungsplanes für den «Parco del Piano di Magadino» soll eine Landschaft entstehen, in der die Bedürfnisse von Landwirtschaft, Natur und Erholungssuchenden koordiniert und Synergien genutzt werden.
Konkrete Projekte für eine Aufwertung der Landschaft liegen vor. Beispielsweise sollen störende Infrastrukturen abgebaut, einheimische Gewächse angepflanzt, elektrische Leitungen neu geordnet und der Übergang zur Industriezone besser gestaltet werden. Einfach ist die Umsetzung dieser Vorhaben nicht. Und: «Es sind nicht alle betroffenen Grundeigentümer und Gemeinden begeistert», bemerkt Giacomo Zanini, der Präsident der Stiftung Parco del Piano di Magadino. So verhandle man etwa über die Beseitigung von Bauten, die noch vor Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes (RPG) von 1980 entstanden seien. Oder von solchen, die später illegal erstellt wurden. Das Hauptproblem bestehe jedoch darin, «dass die Landwirte expandieren wollen und grössere, fast schon industriell anmutende Anlagen für die Produktion von Gemüse und Früchten aufstellen möchten. Da prallen die Welten von Ökonomie und Ökologie aufeinander.»
Der Wettbewerb der Ansprüche
Damit spiegelt sich in der Magadinoebene im Kleinen wider, was bei der Nutzung von Gebieten ausserhalb der Bauzone in der ganzen Schweiz zu Konflikten führt: Es wetteifern Ansprüche der Landwirtschaft und der Gesellschaft um begrenzten Raum.
Bereits heute befinden sich hierzulande fast 40 Prozent der überbauten Fläche im Nichtbaugebiet. Freilich entfällt davon ein erheblicher Anteil auf Auto- und Eisenbahnen, Überlandstrassen sowie ein in der Schweiz vergleichsweise feinmaschiges Netz von landwirtschaftlichen Erschliessungsstrassen. Eigentlich müssten die Landwirtschaftszonen gemäss RPG von Überbauungen weitgehend freigehalten werden. Denn sie sollen die Ernährungsbasis des Landes sichern, den Charakter der Landschaft und den Erholungsraum bewahren und dem ökologischen Ausgleich dienen.
Das Programm Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES), das seit 2007 den Zustand der Landschaft erfasst, hält in seinem neusten Bericht von 2017 jedoch fest, es sei bislang nicht gelungen, den quantitativen Verlust von landwirtschaftlichem Kulturland zu stoppen. Und Erhebungen aus dem Kanton Aargau zeigen, dass dort mehr als die Hälfte des im Jahr 2014 verbuchten Verlustes an Fruchtfolgeflächen auf den Bau von Remisen, Masthallen, Ställen, Silos und anderen landwirtschaftlichen Anlagen zurückzuführen ist.
Marco Kellenberger von der Sektion Grundlagen beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) bestätigt, dass auch die Arealstatistik des Bundes auf eine weitere Zunahme des Bodenverbrauchs ausserhalb der Bauzonen durch landwirtschaftliche Gebäude hinweisen. «Die Zahlen des Bundes geben einen groben Überblick. Einige Kantone verfügen aber über detailliertere Daten.»
Landwirte im Dilemma
Abgesehen davon, dass landwirtschaftliche Wohnbauten den heutigen Komfortansprüchen angepasst werden, sind es vor allem die Vergrösserungen der Stallbauten als Folge von Betriebszusammenlegungen und neu ausgerichteter Bewirtschaftungsweise, die das Landschaftsbild stark verändern. Meist befinden sich diese grossen Ställe in der Landwirtschaftszone. Sie dürfen dort errichtet werden, wenn sie für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung erforderlich sind. Trotzdem müsste bei der Standortwahl eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden. Das wird auch von der Bundesrechtsprechung gestützt: Neubauten sollten an den bestehenden Hof angebunden sein und nicht in die freie Landschaft gestellt werden. «Die Bedeutung einer Landschaft von hoher Qualität für die Gesellschaft darf man nicht unterschätzen. Es geht um Identität, Erholung, Ästhetik und auch um einen wichtigen Standortfaktor, für den Tourismus wie überhaupt für die Wissensökonomie der Schweiz», sagt Daniel Arn, der in der Sektion Ländlicher Raum des BAFU für die Landschaftspolitik zuständig ist. Die Möblierung der offenen Landschaft mit Seilbahnen, Grossställen und Masthallen, mit Windrädern, Strassen und Stromleitungen reduziert die Qualität der Landschaft und setzt damit ihre Leistungen für die Gesellschaft herab.
Für den Bauern ist es allerdings nicht einfach, die Erhaltung des regionalen Landschaftscharakters im Alltag umzusetzen. «Die Landwirte befinden sich in einem riesigen Dilemma. Sie müssen innovativ und wettbewerbsfähig sein, um zu überleben, und brauchen Entfaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig verlangt man von ihnen, die Umwelt zu schonen, die Fruchtfolgeflächen zu erhalten, den Tierschutz zu beachten, die Landschaft zu pflegen und Immissionen zu vermeiden», gibt Thomas Hersche vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zu bedenken. Das Amt sei der Meinung, dass bei jedem Bauvorhaben auf regionale Eigenheiten geachtet sowie die Qualität des Bodens bewertet werden sollte. «Und wenn gebaut werden muss, dann möglichst nicht auf Fruchtfolgeflächen und in einer ansprechenden Qualität.» Dies umso mehr, als ein Standort mitten auf einer Wiese – etwa eine neue Halle für die Pouletmast – den Bau von Zufahrten und grossen Wendeplätzen für Lastwagen nach sich zieht.
Braucht es eine neue Zone?
Da stellt sich durchaus die Frage, ob derartige Anlagen angesichts ihrer Dimensionen nicht eher in eine Gewerbe- oder Industriezone gehören. Thomas Hersche würde sich wünschen, dass Anlagen für neuartige Geschäftsmodelle wie die Insekten-, Pilz- oder Fischzucht nicht über die Landwirtschaftszone verteilt, sondern besser konzentriert in einer eigens dafür geschaffenen Speziallandwirtschaftszone zu liegen kämen oder dass dafür bestehende Gebäude umgenutzt würden.
Trennung von Bau- und Nichtbauzonen ist oberstes Gebot
Die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet ist einer der fundamentalen Grundsätze der Raumplanung in der Schweiz. «Daran darf man nicht rütteln», betont Daniel Arn. «Im Nichtbaugebiet soll grösste Zurückhaltung für neue Bauten gelten. Die dennoch erstellten sollen den regionalen Landschaftscharakter berücksichtigen und sich gut in die Landschaft eingliedern.»
Allerdings wurde das Gebot der Trennung zwischen Baugebiet und Nichtbaugebiet im Laufe der Zeit arg strapaziert. Was die zweite Revisionsetappe des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes bringen wird, ist offen. Im Entwurf dazu ist jedenfalls festgehalten: Unnütz gewordene Gebäude und Anlagen, die ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr dienen und nicht zum Charakter der Landschaft beitragen, müssen zurückgebaut werden, und nur zonenkonforme sowie tatsächlich standortgebundene Bauten dürfen ausserhalb der Bauzone erstellt werden.
Thomas Hersche macht sich allerdings für einen grossflächigeren Denkansatz stark: «Wenn es darum geht, die Interessen von Grundeigentümern, Landwirten, Gemeinden und Organisationen unter einen Hut zu bringen, müsste eine regionale Planung angegangen werden.» Vielleicht hat das Tessin in der Magadinoebene den Weg vorgezeichnet. Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, ist jedenfalls voll des Lobes: «Das Projekt ist mehr als eine raumplanerische Anordnung, weil es die Bedürfnisse eines gewaltigen Ballungsgebietes berücksichtigt. Und die Trägerschaft des Projektes ist breit abgestützt. Wenn man hier keine gute Lösung findet, weiss ich auch nicht mehr weiter.»
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Letzte Änderung 29.11.2017