Boden als Investitionsobjekt: Grenzüberschreitende Landnahmen

Das Geschäft mit dem Boden in fremden Ländern, oft auch «Land Grabbing» genannt, boomt. In der Datenbank «Land Matrix» sammeln Forschungsorganisationen Daten über internationale Landdeals. Nicht nur der globale Süden ist betroffen, sondern auch Osteuropa. Scheitern derartige Projekte, sind die Folgen für die lokale Bevölkerung oft verheerend.

Text: Lukas Denzler 

© BAFU

Als vor 10 Jahren die Medien von grossen Landdeals zu berichten begannen, rief das vor allem Nichtregierungs- und Entwicklungsorganisationen auf den Plan. Aufgeschreckt hat unter anderem ein überdimensioniertes Projekt in Madagaskar: Eine südkoreanische Firma wollte sich zu jener Zeit 0,5 Millionen Hektaren Land sichern, was in der Bevölkerung zu Unruhen führte. Der populäre Begriff dafür lautet «Land Grabbing». Diplomatischer ausgedrückt, handelt es sich um grossflächige Landdeals. Tatsache ist: Der Boden wird zum Investitionsobjekt. Bald nach den ersten Meldungen fanden in Rom bei der International Land Coalition, einem Zusammenschluss von Entwicklungsorganisationen, Gespräche zu diesem Thema statt. «Weil damals niemand einen Überblick über das Ausmass dieser internationalen Landakquisitionen hatte, haben verschiedene Forschungsorganisationen Land Matrix gegründet», erinnert sich Markus Giger vom Zentrum für Entwicklung und Umwelt (CDE) an der Universität Bern.

Mehr Transparenz bei transnationalen Landdeals

Die Land-Matrix-Datenbank dokumentiert grenzüberschreitende Aneignungen von landwirtschaftlicher Fläche, bei denen in einem anderen Land entweder Boden gekauft, gepachtet oder mit dem Recht für eine bestimmte Nutzung über eine bestimmte Dauer belegt wurde. Als Quellen dienen überprüfbare Berichte in den Medien und von Nichtregierungsorganisationen, Geschäftsberichte von beteiligten Firmen, Forschungsarbeiten sowie Angaben von Regierungen. An der unabhängigen Initiative, die vor allem mehr Transparenz schaffen will, sind neben dem CDE auch Forschungsinstitute aus Deutschland und Frankreich sowie zahlreiche regionale Partner beteiligt. 

In der Datenbank sind derzeit Landdeals von insgesamt 49 Mio. ha für landwirtschaftliche Nutzungen, Industrie, erneuerbare Energien, Tourismus und Forstwirtschaft verzeichnet. Gemäss dem im Herbst 2016 veröffentlichten Land-Matrix-Bericht gingen seit der Jahrtausendwende 26,7 Millionen Hektar Agrarflächen in die Hand von Investoren über. Das entspricht rund 2 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens weltweit. Umgerechnet auf Schweizer Verhältnisse, ist das so viel wie rund 6,5-mal die Fläche der Eidgenossenschaft oder «gut das 25-Fache ihrer gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche», wie Roland von Arx präzisiert, der noch bis Ende November die Sektion Boden des BAFU leitete. In Wirklichkeit dürfte es gar deutlich mehr sein. Erkundigen sich Land-Matrix-Mitarbeitende bei Firmen, berufen sich diese gerne auf Geschäftsgeheimnisse. Die Datenbank dokumentiert über 1000 Landdeals. «Auf etwa 70 Prozent der Flächen hat inzwischen die landwirtschaftliche Nutzung begonnen», so Markus Giger. «Es gibt aber auch zahlreiche Berichte von gescheiterten Deals.»

Afrika ist mit einer Fläche von Millionen Hektar am stärksten von Landdeals betroffen. Zu den 5 wich-tigsten Investorenländern zählen Malaysia, die USA, das Vereinigte Königreich, Singapur und Saudi-Arabien. China hingegen gehört nicht der führenden Gruppe an. Die westeuropäischen Länder bilden zusammen die grösste Region von Anlegern. Die Schweiz mischt in diesem Geschäft mit, belegt jedoch keinen Spitzenplatz.

Osteuropa als Brennpunkt

Land Grabbing wird oft mit armen Ländern im Süden in Verbindung gebracht. Doch auch Südostasien und vor allem die osteuropäischen Länder sind Schauplatz grossflächiger Landdeals. Von diesen sind Indonesien, die Ukraine und Russland am stärksten tangiert. Während in Indonesien der Anbau lukrativer Palmölplantagen die Investoren lockt, sind es in der Ukraine und Russland fruchtbare Schwarzerdeböden, die hohe landwirtschaftliche Erträge versprechen.

Wie ein im Auftrag des Europäischen Parlaments erstellter Bericht des holländischen Transnational Institute (TNI) zeigt, sind ausländische Investitionen im Agrarbereich auch in den neuen EU-Ländern Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Polen stark verbreitet. Gemäss Schätzungen könnten in Rumänien bis 40 Prozent der Agrarfläche durch ausländische Investoren kontrolliert werden. Ein wichtiger Treiber sind die in Osteuropa relativ tiefen Bodenpreise für Agrarland. Ein anderer Grund liegt in der Privatisierung und dem Prozess der Rückgabe des kollektivierten Landes an die früheren Besitzer (Restitution) nach dem Zerfall des Ostblocks.

Studie in Sierra Leone deckt Mängel auf

Bis heute gibt es nur wenige umfassende Studien über die Wirkung grosser Landdeals auf die lokale Bevölkerung. Im Rahmen eines Projektes des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) nahm Stephan Rist vom CDE mit seinem Team ein solches Unterfangen in Sierra Leone genauer unter die Lupe. 2008 pachtete die Addax Bioenergy, eine Tochterfirma der Schweizer Addax Oryx Group, im westafrikanischen Land insgesamt 54 000 Hektar Boden – was rund der Fläche der beiden Basel entspricht – für eine Dauer von 50 Jahren. Auf rund 10 000 Hektar liess die Firma in Monokulturen Zuckerrohr anbauen, um daraus Bioethanol herzustellen. Die Behörden gewährten der Firma eine mehrjährige Steuerbefreiung. Das Projekt erfüllte die Richtlinien des «Roundtable on Sustainable Biofuels (RSB)» und damit weitgehend die EU-Kriterien für Biotreibstoffe. Ausserdem war vorgesehen, das nationale Netz mit Strom zu beliefern. Das Projekt erhielt finanzielle Unterstützung zahlreicher europäischer Länder, auch der Schweiz.Die Addax Bioenergy schloss mit den Landbesitzern und verschiedenen staatlichen Stellen Verträge ab. Nicht berücksichtigt wurde aber, dass nur etwa die Hälfte der Bevölkerung wirklich Land besitzt, während die andere Hälfte die ihr von den Landbesitzern überlassenen Felder bewirtschaftet. Die Umstellung von der traditionellen Landwirtschaft zum exportorientierten Zuckerrohranbau bedeutete für einen Grossteil der Bevölkerung eine Umorientierung von der Subsistenzwirtschaft hin zu Lohnarbeit.

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Mehr Lohn, höhere Ausgaben, grössere Abhängigkeit

Die Wissenschaftler führten 2014 im Anbaugebiet der Addax Bioenergy in Zusammenarbeit mit der nahe gelegenen Universität von Makeni Haushaltsbefragungen durch. Danach verglichen sie die Ergebnisse mit denjenigen einer benachbarten, durch das Projekt nicht betroffenen Region. «Die durchschnittlich pro Familie selber bewirtschaftete Landfläche ist im Projektgebiet mit rund 2,5 Hektar deutlich geringer als ausserhalb, wo sie 9,2 Hektar beträgt», sagt Stephan Rist. Die Einbusse setzte zudem den Bauern ohne eigenes Land stärker zu als den Landbesitzern. Dank Lohnarbeit und Pachtzinsen sei das gesamte Geldeinkommen im Projekteinzugsgebiet um 18 Prozent höher als im benachbarten Gebiet. Laut Stephan Rist hat sich die Einkommenssituation und die Ernährungssicherheit in der ersten Phase deshalb verbessert. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass infolge stark reduzierter landwirtschaftlicher Tätigkeit die Ausgaben für den Zukauf von Nahrungsmitteln deutlich angestiegen seien und praktisch die gesamten Mehreinnahmen beanspruchten. 

Im Herbst 2014 zwang allerdings die Ebola-Epidemie die Firma zur zeitweiligen Einstellung der Bioethanolproduktion. Im Juni 2015 wurde dann die Aktivität – wohl vor allem wegen der tiefen Erdölpreise und der damit verbundenen Auswirkungen auf den Biotreibstoffmarkt – ganz eingestellt. Die Zuckerrohrfelder wurden nicht mehr bewässert und vertrockneten, worauf es zu gefährlichen Bränden kam. Die Bauern, die viel Land abgetreten hatten und deshalb auf Lohnarbeit angewiesen waren, traf es hart. «Bei derartigen Projekten sind unbedingt auch die Krisenanfälligkeit und die Resilienz zu berücksichtigen», sagt Stephan Rist. Ergäben sich plötzlich Probleme, sei es nicht möglich, binnen nützlicher Frist zum alten System zurückzukehren. In den Lizenzverträgen zwischen einer Firma und dem Staat sei zudem festzuhalten, dass nicht die Lokalbevölkerung die Zeche zu bezahlen habe, wenn ein Projekt scheiterte. 

Entwicklungsorganisationen weisen beharrlich auf die negativen Seiten des Projektes hin, das ursprünglich von offizieller Seite viel Lob erhalten hatte. «Brot für alle» machte im Oktober 2015 publik, die Addax Bioenergy habe die Pachtrechte und die Bioethanolfabrik mehrheitlich an die britisch-chinesische Sunbird Bioenergy verkauft. Ob das Projekt wieder auf Kurs kommt, muss sich zeigen. Richard Bennett, der CEO von Sunbird Bioenergy, bestätigte auf Anfrage, dass seit Februar 2017 wieder Bioethanol und Strom produziert sowie 2400 lokale Bauern beschäftigt würden.

Richtlinien und Deklarationen

Die internationale Staatengemeinschaft will mit-tels Richtlinien mehr Transparenz, Fairness, demo-kratische Teilnahme sowie die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Bedeutsam ist etwa die UNO-Deklaration über die Rechte indigener Völker, wonach Regierungen und Investoren verpflichtet sind, indigene und traditionelle Gemeinschaften transparent, vollumfänglich und verständlich über das Ausmass und mögliche Folgen grossflächiger Landinvestitionen zu informieren. In dieselbe Richtung zielen auch die 2012 durch das Committee on World Food Security (CFS) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) verabschiedeten Leitlinien für die verantwortungsvolle Regulierung von Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechten an Land, Fischgründen und Wäldern im Rahmen nationaler Ernährungssicherheit. Diese Leitlinien sind für die Staaten jedoch nicht verbindlich. 

Durch grosse Landinvestitionen können auch global wichtige Ökosysteme in Mitleidenschaft gezogen werden. Bekanntes Beispiel sind die Palmölplantagen in Südostasien, die unter anderem bewirken, dass in Indonesien noch immer tropische Wälder abgeholzt werden. In Kombination mit der Zerstörung der Moorböden macht dies das Land deshalb zu einem der grössten Treibhausgasemittenten weltweit. Neben den Folgen für die lokale Bevölkerung sind bei Landdeals deshalb immer auch die Auswirkungen auf die Ökosysteme zu beachten: Die Bewässerung der nach Abholzungen gross angelegten Plantagen übernutzt unter Umständen die verfügbaren Wasserressourcen, und nur zu oft hinterlassen gescheiterte Projekte kahl geschlagene Flächen, deren Böden der Erosion ausgesetzt sind. Aus ökonomischer Sicht belegen die weltweiten Investitionen in produktive Flächen deren Wert – und unterstreichen, wie sehr es sich lohnt, dass wir hierzulande sorgsam mit unseren Böden umgehen, die zu den fruchtbarsten weltweit gehören.

Konsum und Landverbrauch

Eine Studie der amerikanischen University of Maryland hat aufgrund der Handelsbilanzen von Gütern den Landbedarf im In- und Ausland für verschiedene Länder bestimmt. Für ihren gesamten Konsum benötigen etwa die USA 33 % ausländischen Boden, die EU-Staaten durchschnittlich über 50 % und Japan 92 %. Für die Schweiz ermittelten die Forscher, dass 86 % ihres Konsums auf Landbedarf im Ausland basieren. Für Deutschland beträgt der Wert 87%, für Österreich 70 %, für Frankreich 67 % Prozent. Für Nahrungsmittel alleine benötigt die Schweiz zwischen 45 % und 50 % der Böden im Ausland. Die Zahlen belegen, wie stark der Konsum der Industriestaaten von den Ressourcen anderer Länder abhängt.

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Letzte Änderung 29.11.2017

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