Substitution: Problemstoffe aus dem Verkehr ziehen

Massiv umweltschädigende und gesundheitsgefährdende Stoffe müssen nach den Vorgaben des Chemikalienrechts ersetzt werden. Das geschieht entweder durch Substitution mit weniger problematischen Stoffen oder durch neue Verfahren – und ist in jedem Fall ein langwieriger und schwieriger Prozess.

Text: Peter Bader

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«Um es deutlich zu sagen: Es geht um Stoffe mit sehr problematischen Eigenschaften», sagt Andreas Buser von der Sektion Industriechemikalien im BAFU. Zu diesen problematischen Stoffen gehören beispielsweise persistente, das heisst langlebige organische Schadstoffe (persistent organic pollutants, POP). Es handelt sich um toxische Verbindungen, die in der Umwelt äusserst schlecht abbaubar sind. Sie können sich in Menschen, Tieren und Pflanzen anreichern und sich via Luft und Wasser über grosse Distanzen weltweit ausbreiten – und deshalb Menschen und Umwelt fernab des Ortes ihrer Freisetzung belasten.

Problematische Schaumlöschmittel

Als POP identifiziert wurden etwa gewisse Organochlorpestizide, einige romierte Flammschutzmittel oder perfluorierte Verbindungen wie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctansäure (PFOA). Als oberflächenaktive, wasser- und ölabweisende Substanzen wurden letztere zum Beispiel als Bestandteile von Schaumlöschmitteln zur Brandbekämpfung oder als Hilfsstoffe zur Herstellung von Hightech-Outdoor-Textilien eingesetzt.

Neben den POP gibt es weitere Stoffe, die als «besonders besorgniserregend» gelten und die einer Zulassungspflicht unterstellt werden können. «Das Chemikalienrecht verlangt, dass solche Stoffe, die Mensch und Umwelt gefährden, substituiert, also ersetzt werden müssen», sagt Josef Tremp, Chef der BAFU-Sektion Industriechemikalien. Dazu gibt es verschiedene Instrumente: In der EU wurde durch die sogenannte REACH-Verordnung ein auf den gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes basierendes Substitutionsprinzip eingeführt (siehe Box).

«Erfolgreiche POP-Konvention»

Daneben gibt es weitere internationale Abkommen: Das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POP-Konvention) hat zum Ziel, deren Herstellung und Verwendung langfristig zu unterbinden. Es wurde von der Schweiz 2003 ratifiziert und trat ein Jahr später in Kraft. Welche Stoffe in die POP-Konvention aufgenommen werden, entscheiden die derzeit 182 Vertragsparteien alle zwei Jahre an der Vertragsparteienkonferenz. Im vorberatenden
Überprüfungsausschuss arbeitet auch Andreas Buser vom BAFU als Experte. Der Ausschuss beurteilt jeden zur Aufnahme vorgeschlagenen Stoff inklusive seiner möglichen Substitute in einem mindestens dreijährigen Verfahren. Leicht seien die Verhandlungen nicht, sagt Buser, das Eliminieren von schädlichen Stoffen sei eine «langwierige und schwierige Aufgabe». Es werde bisweilen hart gerungen, diverse Länder würden im Interesse der heimischen Industrie die wissenschaftlichen Fakten infrage stellen und das Verfahren «in die Länge ziehen».

Langer Atem gefragt

Trotzdem beruteilt Buser die POP-Konvention positiv, schränkt gleichzeitig aber auch ein: «Das Ganze ist im Rahmen eines sehr langen Zeithorizonts zu verstehen, denn sind POP erst einmal freigesetzt, bleiben sie während Generationen ein Problem.» Angesichts dessen sei bereits «das Bremsen des Konzentrationsanstiegs in der Umwelt » als Teilerfolg zu werten.

Schon bevor das Verbot eines Stoffes in Kraft tritt, ist die Industrie aufgefordert, dafür Ersatz zu suchen. Wie zum Beispiel für das bromierte Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCDD), ein biologisch schwer abbaubarer, bioakkumulierbarer und toxischer Schadstoff. Verwendung fand HBCDD vor allem in der Baubranche, genauer in Dämmstoffen aus Polystyrol zur Gebäudeisolierung. Diese galten dadurch als «schwer entflammbar» und sollten so Menschen und Gebäude im Brandfall schützen. Flammschutzmittel werden auch in Gehäusen von Elektro- und Elektronikgeräten, in Leiterplatten, Kabeln, Teppichrückenbeschichtungen oder in speziellen Textilien eingesetzt.

Gelungene Substitution

Seit März 2016 darf nun das Flammschutzmittel HBCDD für Dämmstoffe nicht mehr eingesetzt werden. Und Ersatz stand bereit: Das international tätige Chemieunternehmen Dow Chemical (heute DowDuPont Inc.) entwickelte das polymere Flammschutzmittel PolyFR als umweltverträglichere Alternative zu HBCDD. Dabei wurde nicht einfach ein Stoff durch einen anderen ausgetauscht, sondern das Konzept des Produkts geändert: Brom wird nun in ein Polymer eingebaut, das dem Polystyrol ähnlich ist, also in das Polymer eingebunden. Das Chemieunternehmen stellt das Know-how zum Herstellungsverfahren über Lizenzen zur Verfügung, sodass die Nachfrage der Baubranche nach dem neuen Ersatzstoff innert kürzester Zeit weltweit gedeckt werden konnte. Nicht immer gelingt eine Substitution so gut. Das zeigt das Beispiel der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Den Stoffen ist gemeinsam, dass die für organische Verbindungen typische Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung vollständig oder zumindest teilweise durch eine Kohlenstoff-Fluor-Bindung ersetzt wurde. Diese ist äusserst stabil und verleiht den Stoffen eine hohe chemische und thermische Beständigkeit. Das wird beispielsweise in Feuerlöschschäumen zur Bekämpfung von Treibstoffbränden genutzt. Durch die einzigartigen physikalisch-chemischen Eigenschaften von PFAS bildet sich auf der zu löschenden Flüssigkeit ein zuverlässiger Film, der ein Wiederentflammen der Flüssigkeit verhindert.

Bei der Substitution der problematischsten PFAS werden oft andere PFAS eingesetzt, bei denen nur die Kette der C-Atome kürzer, nicht vollständig fluoriert oder durch ein Sauerstoffatom unterbrochen ist. Diese Stoffe weisen für die Umwelt zwar meist etwas weniger kritische Eigenschaften auf, müssen allerdings oft in höherer Konzentration verwendet werden.

«Richtiger erster Schritt»

Diese Substitutionen sieht Andreas Buser lediglich als «ersten Schritt in die richtige Richtung». Die grosse Herausforderung sei es, Verbote von Stoffen und entsprechende Substitutionsvorschriften vernünftig in die Praxis umzusetzen. Hysterie sei in jedem Fall fehl am Platz. Buser: «Das Ersetzen von besonders problematischen Stoffen ist möglich, die Umstellung braucht aber Zeit und muss auch wirtschaftlich tragbar sein.»  

REACH: auch in der Schweiz

Seit 2007 regelt die REACH-Verordnung den Umgang mit Chemikalien in der EU. REACH steht dabei für Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals). 191 besonders besorgniserregende Stoffe, also Stoffe mit schweren oder irreversiblen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, sind in der «Kandidatenliste» aufgeführt. 43 von ihnen wurden bisher ins Verzeichnis zulassungspflichtiger Stoffe aufgenommen. Für eine allfällige Weiterverwendung dieser Stoffe sind Unternehmen verpflichtet, einen Antrag für eine Zulassung zu stellen. Darin müssen u. a. mögliche Ersatzstoffe unter Berücksichtigung ihrer Risiken und der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit der Substitution beurteilt werden. In jeder Zulassungsentscheidung ist die Dauer des Überprüfungszeitraums angegeben. Zulassungsinhaber müssen vor dessen Ablauf einen Überprüfungsbericht vorlegen. Dieser hat etwa Auskunft darüber zu geben, ob neue Informationen über mögliche Ersatzstoffe vorliegen.

Um in der Schweiz dasselbe Schutzniveau für Mensch und Umwelt sicherzustellen wie in der EU, sollen besonders besorgniserregende Stoffe, die der Zulassungspflicht unterstellt sind, auch in der Schweiz nur mit einer Zulassung der Behörden in Verkehr gebracht und verwendet werden dürfen, solange sie nicht ersetzt werden können. Daher werden die Stoffe aus dem EU-Verzeichnis zulassungspflichtiger Stoffe schrittweise und nach zusätzlichen Abklärungen mit den betroffenen Branchen in die Schweizer Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung übernommen.

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Letzte Änderung 28.11.2018

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