Forschung: Flüchtiges dauerhaft fixieren

In der Schweiz forschen zahlreiche wissenschaftliche Institutionen an Ansätzen, um CO2 aus der Luft zu entfernen und dauerhaft zu speichern. Diese Forschung trägt dazu bei, dass unser Land bei der Entwicklung von Negativemissionstechnologien (NET) die Nase vorn hat.

Text: Lucienne Rey und Kaspar Meuli

Im Felslabor Mont Terri (JU) wird untersucht, wie genau sich CO2 dauerhaft im Untergrund speichern liesse.

Dass der Schweizer Nationaldichter Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) eine seiner frühesten Kurzgeschichten mit «Der Tunnel» überschrieb, kommt nicht von ungefähr: Die unterirdischen Röhren sind Teil der Schweizer Identität. Sie ermöglichen es aber nicht nur, Wegstrecken abzukürzen, sondern eröffnen auch Einsichten in die Geologie unseres Landes – und damit in die Potenziale, die der Untergrund für die Speicherung von CO2 bietet. Soll den NET der Durchbruch gelingen, gilt es vor allem die Speichermöglichkeiten vor Ort in der Schweiz abzuschätzen.

Jura: internationales Forschungslabor

Wie genau sich CO2 dauerhaft im Untergrund speichern liesse, wird im Felslabor Mont Terri untersucht. Es befindet sich im gleichnamigen Tunnel der Transjurane-Autobahn im Kanton Jura. Bereits heute ist klar: Der als Speicher vorgesehene Fels muss unter einer möglichst undurchlässigen Gesteinsschicht liegen, durch die das CO2 nicht entweichen kann. Diese Vorgaben können im Mont Terri optimal untersucht werden; das Felslabor liegt in einem Gestein namens Opalinuston, das sich als Deckschicht eignet. 

Um mehr über das Verhalten von CO2 im Deckgestein herauszufinden, hat eine internationale Forschungsgruppe geringe Mengen an Salzwasser, das mit CO2 angereichert wurde, in eine Störzone des Opalinustons injiziert. Wie vorhergesehen, entweicht das CO2 durch die Risse in der Gesteinsschicht, allerdings nicht auf direktestem Weg und langsamer als erwartet. Zudem schwillt der Ton im Kontakt mit dem Wasser an, sodass sich Spalten wieder schliessen und das CO2 keinen Weg an die Oberfläche findet. Fazit: Der Opalinuston scheint tatsächlich dafür geeignet, CO2 über Tausende von Jahren zurückzuhalten, wie der an den Untersuchungen beteiligte Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich erklärt.

Die NET im Fokus 

In einem nächsten Schritt geht es nun darum zu prüfen, ob das, was im Kleinen vor Ort möglich scheint, auch in einem sinnvollen industriellen  Massstab machbar wäre. «Die Forschungsfragen wenden sich zunehmend der Skalierbarkeit und den nötigen Rahmenbedingungen zu», erklärt Pierre Queloz, der in der Sektion Innovation des BAFU für die Koordination der Umweltforschung zuständig ist.

Die Forschungsarbeiten im Mont Terri sind nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie in der Schweiz gegenwärtig zu NET und der dauerhaften Speicherung von CO2 geforscht wird. Mit Hochdruck und in diversen Fachrichtungen. Mit der Machbarkeit unterschiedlicher technischer Ansätze und ihren möglichen Folgen befassen sich hierzulande verschiedene geologische Institute, landwirtschaftliche Forschungsanstalten und Werkstofflabors – von der ETH Zürich bis zu Agro­scope, dem Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung.

Die Firma neustark verwendet zur Herstellung von Beton statt Kies ein Granulat aus Abbruchbeton, das mit CO2 angereichert wurde.

Forschung mit Ausstrahlung

Von Bedeutung ist jedoch nicht nur die technische Machbarkeit, sondern auch die Akzeptanz etwa der CO2-Speicherung in der Bevölkerung. Deshalb hat die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS eine transdisziplinäre Studie lanciert, die insbesondere die gesellschaftlichen, ethischen, juristischen und ökologischen Folgen verschiedener Formen von NET untersucht. 

Eine der zentralen Figuren in der Schweizer NET-Forschung ist Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Er forscht seit über zwanzig Jahren an Möglichkeiten, CO2 dauerhaft zu speichern. Das Treibhausgas in der Schweiz unterirdisch zu verwahren, erachtet er auf kurz- bis mittelfristige Sicht als «herausfordernd». Deshalb dränge sich die Zusammenarbeit mit Betreibern von Speicherstätten im Ausland auf. Ein vielversprechender Ansatz findet sich in Island, wo die Firma Carbfix CO2 in Wasser löst und im Untergrund in Basalt injiziert. Dieses bereits kommerziell angewendete Verfahren ermöglicht eine stabile und nachhaltige Lagerung. Wie CO2 aus der Schweiz nach Island gelangen könnte, dürfte nun ein Pilotversuch zeigen. Dabei sollen 1000 Tonnen CO2, die in der Berner Abwasserreinigungsanlage (ARA Region Bern) beim Vergären von Biomasse entstehen, nach Island transportiert werden. Ein weltweit einmaliges und pionierhaftes Vorhaben. 

Will die Schweiz künftig im grossen Stil CO2 im Ausland speichern, wie Modellierungen annehmen, die der langfristigen Klimastrategie zugrunde liegen, ist eine entsprechende Infrastruktur erforderlich. Bei deren Entwicklung sieht Marco Mazzotti derzeit die grösste Herausforderung: «Es braucht Infrastrukturnetzwerke, damit Firmen, die CO2 speichern möchten, dieses zu einer geeigneten Lagerstätte im Ausland transportieren können», führt der Experte aus. Im Forschungsvorhaben DemoUpCARMA sollen Voraussetzungen und Machbarkeit der international angelegten CO2-Speicherung erforscht werden. Darüber hinaus verfolgt das Projekt, basierend auf dem erfolgreichen Pilotprojekt «ReCarb», eine alternative nationale Speicheroption von abgeschiedenem CO2 in rezykliertem Beton. DemoUpCARMA wird von fast 30 Projektpartnern aus Forschung und Industrie getragen und vom Bundesamt für Energie (BFE) mitfinanziert. Das BAFU begleitet das Vorhaben und erhofft sich wichtige Impulse für den weiteren Ausbau von NET und die Entwicklung der klimapolitischen Rahmenbedingungen. 

Von der Forschung in die Praxis

Bereits wurden in Schweizer Labors entwickelte NET zur Marktreife gebracht und werden nun mit Erfolg in der Praxis eingesetzt. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Firma Climeworks. Sie stellt Anlagen her, die wie ein grosser Staubsauger funktionieren und dazu dienen, CO2 aus der Luft abzuscheiden. Die ersten Prototypen wurden in den Labors der ETH Zürich entwickelt. Auch die Technologie der Firma neustark wurde ursprünglich an der ETH Zürich ausgeheckt – im Labor von Marco Mazzotti, der die junge Firma weiterhin als Berater unterstützt. 

Im oben erwähnten, vom BAFU geförderten Pilotprojekt «ReCarb» zeigte das Start-up neustark, dass es möglich ist, auf wirtschaftlich sinnvolle Weise CO2 in Beton zu binden. Dabei wird zur Herstellung von Beton statt Kies ein Granulat aus Abbruchbeton verwendet, das mit CO2 angereichert wurde. «Der grosse Vorteil dieser Technik liegt in ihrer Geschwindigkeit», erläutert Marco Mazzotti. In etwa zwei Stunden ist die Mineralisierung des CO2 zu rund 80 Prozent abgeschlossen. 

Gebunden in Pflanzenkohle

Ein weiteres Forschungsgebiet in Zusammenhang mit NET ist der Einsatz von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft. Daran arbeiten zurzeit Agroscope und das Ithaka Institut, ein internationales Netzwerk, das Methoden entwickelt, um mithilfe von Pflanzen CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen und dauerhaft in Materialien und landwirtschaftlichen Böden zu speichern. Dafür eignet sich zum Beispiel Pflanzenkohle, die durch Umwandlung von organischem Material – am besten naturbelassenem Holz – in einem Pyrolyse-Reaktor unter Ausschluss von Sauerstoff hergestellt wird. Das Ergebnis: ein Material aus bis zu 95 Prozent Kohlenstoff mit stabilen molekularen Strukturen, das sich vielfältig verwenden lässt. 

Erforscht wird nun, wie sich dieses Produkt in der Landwirtschaft einsetzen lässt. Bekannt ist, dass der Eintrag von Pflanzenkohle die Erträge vor allem in nährstoffarmen tropischen Böden namhaft zu erhöhen vermag. In der Schweiz jedoch konnten bisher noch keine langfristigen Ertragszuwächse erzielt werden. Ein weiterer offener Punkt: Bevor Pflanzenkohle in grossen Mengen eingesetzt wird, muss sicher sein, dass die Qualität des Bodens dauerhaft erhalten bleibt. 

Weniger Bedenken als in der Landwirtschaft weckt die Verwendung von Pflanzenkohle im Bauwesen. In einem Forschungsprojekt des BAFU wird untersucht, ob sich beispielsweise Styropor als Dämmstoff durch Pflanzenkohle ersetzen liesse. Mit doppeltem Gewinn: «Zum einen würde CO2 eingespart, das bei der Herstellung von Styropor freigesetzt wird – und zum anderen bliebe der Kohlenstoff über Jahrzehnte in der Pflanzenkohle gespeichert», so Michael Bock aus der Abteilung Klima des BAFU.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die NET-Forschung ist komplex und kann nur interdisziplinär und unter Einbezug von möglichst vielen Akteuren erfolgreich sein – von der Grundlagenforschung im Labor bis zur Anwendung in Sektoren, in denen eine Reduzierung des CO2-Ausstosses auf null als nicht erreichbar anerkannt wird. Doch wie die Beispiele von jungen Schweizer Firmen zeigen, lohnt sich diese gemeinsame Anstrengung. Werden NET in Zukunft tatsächlich zu einem Instrument der globalen Klimapolitik, tut die Schweiz gut daran, bei ihrer Entwicklung die Nase vorn zu halten.

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Letzte Änderung 01.06.2022

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