Lärmsanierung des Bahngüterverkehrs: Die alten Klötze haben ausgebremst

17.02.2016 - Per Ende 2015 waren alle 9500 hiesigen Güterwagons mit leiseren Bremsen ausgestattet. Beim ausländischen Rollmaterial läuft die Sanierungsfrist noch bis 2020. An weiteren Lärmoptimierungen bei Schienen oder Schwellen wird derzeit geforscht. Doch die erwartete Zunahme des Bahngüterverkehrs in den nächsten 15 Jahren könnte bisherige Erfolge wieder zunichtemachen.

Bahnlärm
Klotzbremsen aus Metall (links) erzeugen durch ihren Druck auf die Radlaufflächen Unebenheiten, was den erheblichen Schienenlärm von herkömmlichen Güterwagen verursacht. Scheibenbremsen (rechts) sind eine ohrenschonende Alternative, da sie die Metallräder nicht aufrauen.
© Hupac, Aarau, und Ferriere Cattaneo SA, Giubiasco (rechts)

Text Stefan Hartmann

Die baldige Eröffnung des NEAT-Basistunnels durch den Gotthard gibt dem Bahngüterverkehr in der Schweiz zusätzlichen Schub und wird die Alpentäler zumindest teilweise von den luftverschmutzenden Lastwagentransporten entlasten. Doch auch die an sich positive Umweltbilanz des Schienenverkehrs hat einen Makel - nämlich die nach wie vor hohen Lärmemissionen der Güterzüge. Langjährige Bemühungen zielen darauf ab, den Lärm auf dem inländischen Schienennetz bis 2020 zu halbieren. Im Zentrum der Bemühungen steht dabei die Sanierung lärmiger Bremsbeläge. Bereits Mitte 2015 war mit der Umrüstung der rund 9500 Schweizer Güterwagons auf leisere Bremssohlen ein wichtiges Zwischenziel erreicht. Die alten Bremsklötze aus Grauguss (GG) sind mittlerweile alle durch modernere Kunststoffsohlen (K- oder LLSohlen) ersetzt worden. Diese Erneuerung kostete im Zeitraum von 2000 bis 2015 insgesamt 230 Mio. CHF und ist vom Bund finanziert worden.

Alte Güterwagen mit Grauguss-Bremsklötzen erzeugen bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h in 7,5 Metern Entfernung eine Lärmbelastung von 92 Dezibel (dBA). Bei Verbundstoff-Bremssohlen werden 81 dBA erreicht, was den Auflagen des Bundes von maximal 83 dBA entspricht. Güterwagen der neuen Generation mit Scheibenbremsen zeigen nur noch 75 bis 78 dBA an, was verglichen mit Verbundstoff-Bremssohlen einer Halbierung der Schallenergie gleichkommt.

Altes Rollmaterial wird denn auch laufend durch moderne Wagons ersetzt. So beschaffen private Gütertransportunternehmen wie der Marktführer Hupac mit seinen 4800 eigenen Güterwagen inzwischen auch Rollmaterial mit Scheibenbremsen, die bei den Personenzügen längst Standard sind.

Ausländische Wagen lärmen mehr

Währenddessen überwiegen im internationalen, länderquerenden Güterverkehr nach wie vor die klassischen Graugusssohlen, obwohl Deutschland und Holland ebenfalls grosse Anstrengungen zur Umrüstung ihrer Wagons unternehmen. Steht man irgendwo entlang einer Transitstrecke auf dem Bahnsteig und es donnert eine 600 m lange Güterzugkomposition vorbei, so sind einzelne lautere Wagen gut herauszuhören. Dabei handelt es sich um ausländische Güterwagen mit alten GG-Bremsklötzen, zu denen auch Zisternen-, Container- und Taschenwagen für den Transport von LKW-Sattelanhängern zählen. Das laute Geräusch auf den Schienen entsteht durch das Einwirken der Klötze auf die Radflächen, wobei die dadurch verursachten Unebenheiten zu übermässigem Schienenlärm führen.

Insbesondere aus diesem Grund sind die Ohren der ursprünglich 265‘000 vom Eisenbahnlärm stark betroffenen Menschen in der Schweiz noch nicht ausreichend entlastet. Bis heute kommen Schallschutzwände, lärmabweisende Fenster und leisere Bremsbeläge erst knapp zwei Dritteln von ihnen zugute. Bis 2020 sollten schätzungsweise 40‘000 zusätzliche Personen geschützt sein. Auf diesen Zeitpunkt hin werden die alten Grauguss-Sohlen nämlich auch bei ausländischen Wagen verboten. Verfügen diese bis dann nicht über den Schweizer Standard mit leiseren K-Sohlen, dürfen sie das Land nicht passieren. Die EU-Kommission hat bereits 2006 Emissionsgrenzwerte für neue Güterwagen eingeführt. Damit werden die Transportbetreiber im Jahr 2020 über genügend neue Fahrzeuge verfügen, die in der Schweiz verkehren können.

Moderne Wagons mit besseren Drehgestellen

Fernziel ist die Umstellung von K-Sohlen auf leise Scheibenbremsen, was freilich mehr kostet. Deshalb hilft der Bund mit, diesen Prozess durch Investitionshilfen zu beschleunigen. Es handelt sich dabei um eine der Massnahmen, die das Parlament im September 2013 mit der Revision des Bundesgesetzes über die Lärmsanierung der Eisenbahn (BGLE) beschlossen hat. Damit will der Bund die Lärmemissionen der Bahn nicht nur auf dem Ausbreitungsweg, sondern auch durch die Förderung von leiserem Rollmaterial und einer lärmarmen Infrastruktur reduzieren.

Ersetzt ein privater Cargobetreiber die K- oder LL-Bremssohlen seiner Güterwagen heute durch lärmarme Scheibenbremsen, so übernimmt der Bund maximal 50 % der Differenzkosten für die Neubeschaffung des Drehgestells mitsamt den Rädern. Die Drehgestelle sind das «Herz» eines Güterwagons, denn hier entsteht der Lärm sowohl durch die Räder als auch durch die Federung. Die Umstellung der Drehgestelle von Stahl- auf Gummifedern ist daher eine weitere wichtige Lärmschutzmassnahme. Das Gewicht eines vollbeladenen Güterwagons kann bis zu 90 t betragen, sodass die Federn einiges aushalten müssen. Verbesserte Drehgestelle sind zudem nicht starr, sondern passen sich dem Schienenverlauf an und liegen daher besser im Gleisbogen. Dies vermindert einerseits den Schienenverschleiss und reduziert andererseits den Fahrlärm und die Traktionsenergie der Lokomotive.

Für den Zeitraum von 2016 bis 2025 hat der Bund Investitionshilfen von 30 Mio. CHF budgetiert. Mit dieser Summe lassen sich etwa 500 neue, besonders lärmarme Güterwagons beschaffen. «Damit wollen wir die Hürde für Investitionen der Transportunternehmen in neue Drehgestelle möglichst niedrig halten», sagt Fredy Fischer vom BAFU. Solche Fördermassnahmen durch die öffentliche Hand sind insofern sinnvoll, als die seit Monaten tiefen Preise für Erdölprodukte kräftig auf die Margen der Cargounternehmen drücken. Weil der Strassentransport ein starker Konkurrent ist, würden sie sich ansonsten mit Investitionen in modernes Rollmaterial mit leisen Scheibenbremsen zurückhalten.

Bahninfrastruktur im Fokus der Lärmforschung

Mit der Umrüstung der Schweizer Güterwagenflotte auf Kunststoffbremssohlen und der Festlegung von Emissionsgrenzwerten für bestehende Güterwagen ab 2020 wird es entlang der Schiene weniger laut. Dies hat zur Folge, dass die Konstruktion der Infrastruktur als Lärmquelle zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zum sogenannten Eisenbahnoberbau zählen der Schienen- und Schwellentyp, die Schienenbefestigungen und die Schienenzwischenlagen. Über solche Lärmquellen ist heute noch zu wenig bekannt. Die Frage, wie sich die Infrastruktur lärmtechnisch optimieren lässt, ist Gegenstand der Forschung. Ebenfalls zu wenig weiss man zudem über die damit verbundenen Betriebskosten. «Bei der Eingrenzung des Eisenbahnlärms bestehen noch etliche Forschungslücken, welche Grundlagenforschung und Feldversuche in verschiedenen Bereichen erfordern», erläutert Fredy Fischer. Solche Abklärungen erscheinen umso wichtiger, als die Angebotserweiterungen der Bahn in den nächsten 15 Jahren die bisherigen Erfolge bei der Lärmminderung zu kompensieren drohen.

Für die Erforschung des Eisenbahnlärms stellt der Bund bis 2025 insgesamt 20 Mio. CHF zur Verfügung. So arbeitet etwa die Abteilung Akustik des Forschungsinstituts Empa in Dübendorf gemeinsam mit den Technischen Universitäten (TU) Berlin und München an einem Modell zur Berechnung der Schallentstehung durch die Interaktion von Wagenmaterial und Infrastruktur. Ziel dabei ist die Entwicklung eines Simulationsmodells für lärmarme Gleiskonstruktionen - ein Bereich, in dem auch die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) tätig sind.

Forschung zu den Lebenszykluskosten

Überdies sind bessere Kenntnisse der Lebenszykluskosten erwünscht. Der springende Punkt ist dabei die im Vergleich zur direkten Konkurrenz auf der Strasse sehr lange Lebensdauer des Rollmaterials: Während die Zugmaschine eines Lastwagens bereits nach 5 bis 6 Jahren ersetzt wird, steht ein Bahngüterwagen durchschnittlich 35 Jahre in Betrieb. Die Transporteure müssen folglich ganz anders rechnen. Was kosten in dieser Zeitspanne Wartung und Unterhalt der Drehgestelle mit K- und LL-Sohlen sowie der Radersatz? Kunststoffsohlen sind zwar besser als GG-Klötze, aber sie schleifen die Laufflächen der Räder ebenfalls mechanisch ab, was zu höheren Kosten bei deren Unterhalt führt. «So wichtig die Umrüstung von lauten Grauguss-Klötzen auf leisere Verbundstoffsohlen für die Zukunft des Schienengüterverkehrs auch sein mag, so ist sie doch mit hohen Ersatz- und Betriebsmehrkosten verbunden», hält Irmtraut Tonndorf von Hupac fest. Jüngste Berechnungen der TU Berlin zeigen, dass Scheibenbremsen bei hohen Laufleistungen wirtschaftlicher sind als Verbundstoffsohlen. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Lärm durch die Zugfahrzeuge. Je leiser die Güterwagons sind, umso mehr fallen die Lokomotiven ins Gewicht. Hier besteht insbesondere für die SBB noch Handlungsbedarf, denn die meisten Zugmaschinen auf dem Schweizer Schienennetz gehören ihr.

 

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Letzte Änderung 17.02.2016

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