24.08.2016 - Bezüglich ihres Lärmpotenzials sind Töffs die mit Abstand lauteste Fahrzeugkategorie. Eingefleischte «Biker» dürfen ihre Maschinen ganz legal ohrenbetäubend dröhnen lassen - und zwar auch sonntags und nachts. Aufgrund einer Gesetzeslücke können die Behörden wenig gegen den nervenden Lärm unternehmen. Wohl gelten für neue Motorräder seit Januar 2016 europaweit schärfere Bestimmungen. Doch früher zugelassene Maschinen bleiben davon ausgenommen.

Text: Stefan Hartmann
An schönen Wochenenden im Sommer erwecken Alpenpässe wie Susten, Grimsel, Nufenen, Albula, Splügen, Maloja, Gotthard oder Grosser St. Bernhard den Anschein von Rennpisten für schwere Motorräder. Zu Hunderten frönen Biker ihrem Vergnügen und drehen den Gashahn auf, sobald die Strecke eine Beschleunigung zulässt. Das dröhnt dann ganz ordentlich und ist für die Fahrer der reinste Wohlklang. Die lärmgeplagten Anwohnerinnen und Anwohner von Zufahrtsstrassen, für die es kein Entrinnen gibt, empfinden das Geräusch der aufheulenden Motoren hingegen als Höllenlärm. Zwei Welten prallen aufeinander: hier die Motorradbegeisterten mit ihrer Freude am röhrenden Sound der Maschinen und da betroffene Bewohner, die abends oder am Wochenende in Ruhe ihre Freizeit geniessen möchten.
Schlupflöcher im EU-Recht
Laute Bolzer sind allerdings eine Minderheit unter den Motorradfahrenden. Die Ausreisser bilden vor allem Biker mit schweren Maschinen, welche die Nerven ihrer Umwelt strapazieren. Dabei steht die Polizei vor einem Dilemma, denn auch bei besonders lärmigen Fahrzeugen verfügt sie kaum über eine Handhabe, um diese aus dem Verkehr zu ziehen. So stoppte zum Beispiel die Kantonspolizei Zürich im Juli 2012 fünf Motorräder, nachdem sie deren Dezibelwerte (dB) mit der Vorbeifahrtmessmethode geprüft hatte. Die Bikes waren dabei als extrem laut aufgefallen und überschritten den massgebenden Grenzwert von 80 dB(A) klar. Die gemessenen Werte von 83,5 dB waren lauter als das gleichzeitige Geräusch von zwei Maschinen. In einem Fall erreichte der Lärmwert sogar eine Lautstärke, die der Vorbeifahrt von 24 Motorrädern mit dem zulässigen Geräuschpegel entsprach.
Die Polizisten hatten jedoch keine Rechtsgrundlage, um die Halter zu verzeigen, weil ihre Fahrzeuge typenkonforme Ausrüstungen aufwiesen. Das BAFU erachtet diese Situation als ausgesprochen ärgerlich, da sie den Lärmschutzbemühungen völlig zuwiderläuft. Exzessiver Lärm des Strassenverkehrs stört und macht nachweislich krank, was in der Schweiz pro Jahr externe Kosten von mehr als 1,4 Mrd. CHF verursacht. «Aus Sicht von lärmgeplagten Anwohnern wäre es wünschenswert, die übermässige Geräuschentwicklung von Fahrzeugen zu ahnden», meint Dominique Schneuwly, stellvertretender Chef der BAFU-Sektion Strassenlärm. Bei Verkehrskontrollen habe der Lärm jedoch oftmals nicht Priorität. Zudem könnten im Rahmen solcher Kontrollen keine Messungen gemäss den Normbedingungen für die amtliche Zulassung durchgeführt werden - damit fehlten auch gesicherte Hinweise auf ein Vergehen. «In diesem Fall steht die Einschränkung der individuellen Freiheit Einzelner dem Wohl einer Vielzahl von Menschen gegenüber», sagt Dominique Schneuwly.
Töffs sind die lautesten Strassenfahrzeuge
Ursache für den lauten Töfflärm sind Bestimmungen in den europäischen Zulassungsvorschriften. Bundesrat und Parlament haben 1995 entschieden, diese zu übernehmen, damit Importeure und Händler die in der EU zugelassenen Produkte auch in der Schweiz ohne weitere Prüfungen in Verkehr bringen können. Als Folge der bilateralen Abkommen kann unser Land nicht ohne Weiteres schärfere Lärmgrenzwerte einführen. Die Zulassung von Motorrädern erfordert hierzulande einen normierten Lärmtest, der periodisch wiederholt wird. Dabei muss ein Motorradlenker mit 50 Stundenkilometern (km/h) in die Teststrecke einfahren und dann mit Vollgas beschleunigen. Gemäss Vorschrift dürfen Maschinen ab 175 Kubikzentimeter Hubraum den Geräuschgrenzwert von 80 dB nicht überschreiten, während etwa für Personenwagen eine Limite von 74 dB gilt.
Dieses Messverfahren ist nicht ganz logisch, denn es bildet lediglich einen Teillastzustand ab, während zum Beispiel bei der Zulassung von Lastwagen der lauteste Betriebszustand bei Höchstdrehzahl erfasst wird. In der Praxis sind bei motorisierten Zweirädern aber deutlich höhere Geräuschemissionen möglich. Bezüglich ihres Lärmpotenzials handelt es sich um die Kategorie der mit Abstand lautesten Fahrzeuge, die im Gegensatz zu den meisten Lastwagen auch nachts und am Sonntag auf unseren Strassen verkehren.
Umgehung mit Auspuffklappe
Versuche des Dynamic Test Center (DTC) in Vauffelin (BE) im Auftrag der TV-Sendung «Kassensturz» zeigen eindrücklich, was geschieht, wenn die Testanlage statt mit 50 km/h mit einer leicht höheren Geschwindigkeit von 56 km/h und anschliessender Vollbeschleunigung befahren wird. Es kommt auf der logarithmischen Skala zu einer Verzehnfachung des Lärms (91,5 dB). Grund dafür ist ein Kniff, den die Motorradhersteller seit 2009 verbreitet anwenden: Sie überlisten das Geräuschmessverfahren mit einer automatischen Auspuffklappensteuerung. Eine im Motor eingebaute Software zur Testzyklus-Erkennung reagiert bei einem Tempo von 50 km/h sofort auf den Prüfmodus und regelt den «Sound» des Auspuffs durch die Steuerung der Drosselklappe, was den Geräuschpegel reduziert. Die geschlossene Klappe der Auspuffanlage wirkt schalldämmend und begrenzt den Auspufflärm auf die massgebliche Dezibel-Limite der Vorschriften.
Im normalen Strassenverkehr verwandelt sich das im Test vorschriftskonforme Bike dann wieder in ein laut röhrendes Gefährt. Dreht der Fahrer richtig auf, öffnet sich die Auspuffklappe, und der Lärm entfaltet sich ungedämmt. Der Markt bietet eine Vielzahl solcher Klappensysteme an. Zudem gibt es schalldämpfende Einsätze - sogenannte «dB-Eater» oder «dB-Killer». Sie sind gemäss der EU-Norm legal und lassen sich nach dem Zulassungstest meist einfach entfernen.
«Sounddesign» als Geschäft
Für viele Biker ist das laute Brummen ihrer Maschine Musik in den Ohren. Entsprechend doppeldeutig hat das japanische Unternehmen Yamaha - gleichzeitig Hersteller von Motorrädern und von Musikinstrumenten - bereits vor Jahren seine Racing-Auspuffteile beworben: «Make the road a concert hall»! Der «Klang» eines Bikes gehört bei der Kaufentscheidung mit zu den wichtigsten Auswahlkriterien. Er sei eine wesentliche emotionale Komponente und damit auch kaufentscheidend, erklärt ein BMW-Ingenieur gegenüber einer Motorradzeitschrift: «Deshalb ist der Sound bei uns als konkretes Entwicklungsziel verankert und hat gerade in den letzten Jahren sehr an Bedeutung gewonnen.» Im Studio wird wissenschaftlich am besten Sound getüftelt und erforscht, wie durch «Soundtuning» das typisch röhrende Töffgeräusch entsteht, das die Fans so lieben. Auf der Strasse fallen solche Motorräder dann durch exorbitante Geräuschemissionen auf, obwohl sie die gesetzlichen Geräuschlimiten des Typengenehmigungsverfahrens einhalten.
Die meisten Hersteller rüsten ihre schweren Motorräder seit 2009 bereits im Werk mit klappengesteuerten Auspuffanlagen aus, was vorschriftskonform und europaweit auch typengenehmigt ist. Viel Krach fördert in diesem Segment offenbar den Umsatz. Manche Hersteller hätten ihre «Hemmungen vollständig abgelegt», kritisiert ein im August 2013 publizierter Bericht des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) zum Lärmverhalten der Motorräder. Im gleichen Jahr hat das ASTRA ermittelt, dass in der Schweiz pro Jahr rund 20 % der neu zugelassenen Motorräder über Auspuffklappen verfügen. Gemessen am Gesamtbestand betrug der Anteil der serienmässig mit Klappenauspuffanlagen ausgerüsteten Bikes 2014 allerdings nur etwa 4 %. Doch diese Minderheit reicht aus, um die Anwohner viel befahrener Strassen um ihre Ruhe zu bringen.
Das Ende der legalen Tricks
Seit dem 1. Januar 2016 gelten für Motorräder neue EU-Vorschriften zu Abgas- und Geräuschemissionen, die der Bundesrat zeitgleich auch in der Schweiz in Kraft gesetzt hat. Dadurch sind bei neuen Modellen keine Auspuffklappensysteme mehr zugelassen, die das Geräusch beim Messtest reduzieren. Auch das Prüfverfahren erfährt eine Änderung: Statt die Teststrecke mit Vollgas zu befahren, wird zu Messzwecken für jedes Fahrzeug individuell eine Sollbeschleunigung errechnet. Sie ist unter anderem vom Gewicht und von der Leistung des jeweiligen Motorrades abhängig.
Ein Wermutstropfen aber bleibt, nämlich dass die Regelungen nur neue Motorräder betreffen - früher zugelassene Maschinen sind davon ausgenommen. Das Lärmproblem wird sich also nicht sofort, sondern erst im Laufe der Jahre durch die allmähliche Erneuerung des Fahrzeugbestandes entschärfen. Auch hier gilt, dass der Schweizer Gesetzgeber die Umrüstung oder Nachrüstung sämtlicher Motorräder nicht im Alleingang verlangen kann. Neben dem Einwand der finanziellen Zumutbarkeit fällt auch ins Gewicht, dass Fahrer und Fahrerinnen von lauten, im Ausland zugelassenen Bikes ansonsten in der Schweiz bevorzugt behandelt würden.
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Letzte Änderung 24.08.2016