Wie ermittelt man die Qualität einer Landschaft? Dazu werden landschaftliche Elemente wie Wälder, Siedlungen oder Gewässer beurteilt. Zudem erfragt das BAFU in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die Einschätzung der Schweizer Bevölkerung. Das Monitoringprogramm Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES) erfasst und überwacht sowohl die physische Beschaffenheit als auch die Wahrnehmung der Landschaft.
Text: Peter Bader
Haben Sie eine Lieblingslandschaft? Was gehört dazu: offene Flächen mit Feldern und Wiesen? Sind Wälder als Rückzugsorte unerlässlich? Wohnen Sie gerne in der Nähe eines Gewässers? Bevorzugen Sie städtische Umgebungen? Oder ist es vor allem wichtig, dass Sie mit Blick auf nahe Berge wohnen, weil Sie das an den Ort erinnert, an dem Sie aufgewachsen sind? Landschaften umfassen Baukultur und Biodiversität und sind wichtig für die Lebensqualität und die Bindung der Menschen an ihren Ort. Eine hohe Lebensqualität ist untrennbar mit einer hochwertigen Landschaft
verbunden. Die im Jahr 2000 verabschiedete Europäische Landschaftskonvention hält fest, die Landschaft sei für das Wohl der Einzelnen wie auch der Gesellschaft «ein Schlüsselelement».
Objektive Wahrnehmung?
Angesichts der grossen Bedeutung der Landschaft ist die Überwachung und Beurteilung ihrer Veränderungen zwingend. Dabei handelt es sich allerdings um eine anspruchsvolle Aufgabe, weil sich dieser Wandel oft schleichend vollzieht und er sich nur erfassen lässt, wenn geeignete Indikatoren über einen längeren Zeitraum auf gleiche Art erhoben werden können. Vergleichsweise einfach ist es, die Landschaft anhand ihrer physischen Eigenschaften zu beschreiben. Eine Landschaft könne aber nur dann als qualitativ hochwertig gelten, wenn sie von den Menschen, die darin leben, auch positiv bewertet werde, sagt Gilles Rudaz von der Sektion Landschaftspolitik beim BAFU: «Die Qualität der Landschaft definiert sich längst nicht nur durch das räumliche Mosaik von Natur- und Kulturelementen, sondern vor allem auch dadurch, wie dieses von uns Menschen wahrgenommen und beurteilt wird.»
Menschen finden Landschaften unter anderem dann schön, wenn diese im Lauf ihres Lebens und durch ihre Sozialisation für sie eine spezielle Bedeutung erlangt haben. Auch individuelle Bedürfnisse und Interessen prägen die Landschaftswahrnehmung. Das führt zur Frage: Gibt es so etwas wie eine objektiv messbare Wahrnehmung von Landschaften, die sich für eine allgemeingültige Qualitätsbeurteilung verwenden lässt? Die Frage geht an Marcel Hunziker, Spezialist für sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Seine Antwort: «Jein.» Wahrgenommene Landschaftsqualität sei grundsätzlich ein Ergebnis subjektiver Wertung, die wiederum geprägt sei durch individuelle Vorlieben und die persönliche Sozialisation. Diese Prägung und damit die Landschaftsbeurteilung seien allerdings nicht völlig beliebig, weil «Menschen mit ähnlicher Sozialisation ähnlich ticken und deshalb auch zu ähnlichen Beurteilungen kommen». Diese «intersubjektive Übereinstimmung» sei grösser, als man meine, hält Marcel Hunziker fest. Zudem würden bestimmte Landschaftsstrukturen und -elemente viele Menschen auf der ganzen Welt ansprechen, so etwa der typische Mix von Offenland und Baumgruppen wie jener der traditionellen Schweizer Kulturlandschaft oder auch Flüsse und Seen.
«Schweiz weltweit führend»
Es ist eine zentrale Aufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden, bei stetig wachsenden Bevölkerungszahlen und einer damit einhergehenden baulichen Verdichtung die landschaftlichen Qualitäten zu wahren und weiterzuentwickeln. Verlässliche Angaben über den Istzustand und die stetigen Veränderungsprozesse legen die Basis für eine effektive Landschaftspolitik. «Die Schweiz ist weltweit führend in der Beobachtung der Entwicklung von Landschaftsqualität», sagt Marcel Hunziker von der WSL, «denn sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Landschaftsqualität nicht ausschliesslich aufgrund physischer Merkmale erfasst werden kann, sondern deren gesellschaftliche Beurteilung integrieren muss.»
Seit 2007 erfasst das Programm Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES) den Zustand der Schweizer Landschaft. Dabei arbeitet das BAFU mit der WSL zusammen, wo Felix Kienast und Marcel Hunziker die methodische Entwicklung und die Durchführung von LABES leiten.
Die Landschaftsqualität wird anhand von knapp 40 Indikatoren beurteilt. Dazu gehören jene zur physischen Beschreibung (z. B. Bodenbedeckung, Landnutzung, fliessende und stehende Gewässer, Feucht- und Schutzgebiete, Lichtimmissionen). Hierfür stützt sich LABES auf Daten der Arealstatistik und des Bundesamtes für Landestopografie (swisstopo), wertet aber auch Satellitenbilder oder landwirtschaftliche Datenquellen aus.
Ergänzend werden in regelmässigen repräsentativen Befragungen der gesamten Schweizer Bevölkerung verschiedene Aspekte der Wahrnehmung erhoben: Darunter fallen etwa die von den Menschen «artikulierte Schönheit der Landschaft in der Wohngemeinde». Die «Besonderheit der Landschaft» wiederum gibt an, ob sich «eine Landschaft in der Wahrnehmung der Bevölkerung durch ihre Eigenart von einer anderen abhebt».
Zufriedene Schweizer
Der LABES-Schlussbericht von 2017 hält fest, dass die Bevölkerung die Qualität der Landschaft in der Schweiz «eher hoch bewertet». Auffällig sei, dass Gemeinden im Alpenraum besonders viel Zuspruch erhalten, deutlich mehr als solche im Mittelland oder auf der Alpensüdseite. Zudem seien es in erster Linie ländlich geprägte Gemeinden, die in der Wahrnehmung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner als besonders authentisch gelten, was bedeutet, dass sich diese mit ihrem Wohnort und seiner Umgebung identifizieren.
Grundsätzlich würden neben den ländlichen Gebieten auch Städte von der Bevölkerung wohlwollend beurteilt, hält Marcel Hunziker von der WSL fest. «Am negativsten empfinden die Menschen den am Stadtrand gelegenen suburbanen und den in weiterer Pendeldistanz liegenden periurbanen Raum. Dort wohnen sie in der Regel nur, sie arbeiten und verbringen ihre Freizeit jedoch oft anderswo.» Die negative Wahrnehmung könne durchaus auf die in den letzten Jahrzehnten stark fortschreitende Zersiedelung zurückzuführen sein, ergänzt LABES-Projektleiter Felix Kienast. «In sub- und periurbanen Gebieten sind mit 65 Prozent weit über die Hälfte der Gebäude nach 1960 errichtet worden. Dies im Unterschied zu den als attraktiver wahrgenommenen Zentrums- und Agrargemeinden, wo 60 respektive 50 Prozent der Bauten aus der Zeit vor 1960 stammen.»
In den sich rasch verändernden, stark besiedelten Agglomerationsgürteln vermissen die Bewohnerinnen und Bewohner offensichtlich den inneren Zusammenhang zwischen den Landschaftselementen. Es scheint ihnen schwerzufallen, sich mit der austauschbaren Landschaft zu identifizieren und sich heimisch zu fühlen. Die Beurteilung der Siedlungsentwicklung in der Gemeinde durch die Bevölkerung ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.
«Eine wichtige Daueraufgabe»
Auch wenn die Qualität der Schweizer Landschaft von der Bevölkerung wohlwollend beurteilt werde, dürfe man nicht vergessen, dass die Landschaft insgesamt unter massivem Druck stehe, hält Gilles Rudaz vom BAFU fest. Insbesondere nähmen die Siedlungsfläche und damit die Versiegelung des Bodens und die Zerschneidung der Lebensräume nach wie vor zu. Natürlich zeigten diverse vom Bund eingeführte Massnahmen wie etwa der Schutz der Gewässer eine positive Wirkung. Die Landschaft verliere aber ihre regionalen Eigenarten. «Das Erheben und Fördern der Landschaftsqualität bleibt deshalb eine wichtige Daueraufgabe», sagt Gilles Rudaz.
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Letzte Änderung 02.09.2020