Den Treibhausgasen auf der Spur

1.12.2021 - Seit über 20 Jahren misst die Schweiz auf dem Jungfraujoch Treibhausgase in der Luftschicht der Troposphäre über Mitteleuropa. Anhand der von lokalen Emissionsquellen kaum beeinflussten Messreihen lässt sich überprüfen, wie erfolgreich die weltweiten Bemühungen im Kampf gegen die Klimaerwärmung und gegen die Zerstörung der Ozonschicht sind.

Text: Mike Sommer

Die Messstation auf dem Jungfraujoch (in der silbernen Kuppel) ist eine von 16 Stationen des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL).
© Jungfraubahnen

Die Messstation auf dem Jungfraujoch in den Berner Hochalpen liegt 3580 Meter über Meer und damit weit abseits der grossen Ballungszentren, die ständig Luftschadstoffe ausstossen. Die hier analysierte Luft wird über weite Strecken und aus wechselnden Richtungen herangetragen. Mit der Auswertung von grossräumig erfassten Wetterdaten lässt sich relativ genau nachvollziehen, welchen Weg ein auf dem Jungfraujoch erfasstes Luftpaket in den letzten Stunden und Tagen zurückgelegt hat. Die Berechnung dieser «Rückwärtstrajektorien» bewährt sich deshalb auch als geeignete Methode, um die Herkunft von Luftschadstoffen zu ermitteln.

Pionierarbeit im Hochgebirge

Die hochalpine Messstation Jungfraujoch ist eine von 16 Stationen des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL). Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) betreibt es mit Unterstützung des BAFU. Das NABEL überwacht die Luftqualität im ganzen Land und ist damit ein wichtiges Instrument, um zu kontrollieren, ob die Schweiz die Bestimmungen der Luftreinhalteverordnung einhält. Die Station auf dem Sattel zwischen Mönch und Jungfrau nimmt dabei eine besondere Stellung ein. Hier messen die Forschenden der Empa seit dem Jahr 2000 permanent sogenannte Nicht-CO2-Treibhausgase. Dazu gehören insbesondere Methan, Lachgas und zahlreiche halogenierte organische Substanzen. Das Programm mit dem Namen CLIMGAS-CH leistete immer wieder Pionierarbeit, durch die es in den Hochalpen gelang, neuartige anthropogene – also durch menschliche Aktivitäten verursachte – Treibhausgase erstmals weltweit in der Atmosphäre nachzuweisen.

Globales Überwachungsnetz

Aufgrund der besonderen Höhenlage bilden die Messungen auf dem Jungfraujoch die Schadstoffkonzentration in der freien Troposphäre ab, die in unseren Breiten bis zu rund 10 000 Meter über Meer reicht. Weil die Luft hier häufig nicht von lokalen Emissionen beeinträchtigt wird, dokumentieren die Daten die ständigen Hintergrundkonzentrationen der Schadstoffe über Mitteleuropa. Ein Gesamtbild des Zustands der Atmosphäre ergibt sich aus den Daten der weltweit 30 Messstationen des Programms Global Atmosphere Watch (GAW) der Weltorganisation für Meteorologie, zu denen die Station Jungfraujoch ebenfalls gehört. Für ­Richard Ballaman, Chef der BAFU-Sektion Luftqualität, erfüllt die Station damit eine wichtige Aufgabe: «Mit den langjährigen Hintergrundmessungen lässt sich überprüfen, ob und in welchem Mass die internationalen Abkommen zum Schutz der Ozonschicht und des Klimas wirksam sind.» Zum Beispiel das Montrealer Protokoll von 1987: Es ermöglichte eine schrittweise Reduktion der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und weiterer Substanzen, welche die Ozonschicht angreifen. Auf dem Jungfraujoch messen die Empa-Fachleute deren Konzentrationen seit nunmehr zwei Jahrzehnten. Dabei zeigte sich, dass das weltweite Verbot der einst als Kältemittel und Treibgase breit verwendeten Stoffe tatsächlich Wirkung entfaltet. Gleichzeitig wurde aber ein Anstieg der Konzen­tration von Hydrofluorchlorkohlenwasserstoffen (HFCKW) festgestellt. Sie schädigen die Ozonschicht weniger stark als die FCKW und waren lange ein verbreitetes Ersatzmittel. Nach dem weitgehenden Verbot ihrer Herstellung und Verwendung belegen die Messungen nun auch einen allmählichen Rückgang der HFCKW-Konzentration in der Atmosphäre.

Ersatzstoffe mit Nebenwirkungen

Während sich die Ozonschicht langsam erholt, steht die Menschheit immer noch vor grossen Herausforderungen, um die globale Erwärmung zu stoppen. Verantwortlich für den gegenwärtigen Klimawandel sind nicht nur die Kohlendioxidemissionen, sondern auch Ersatzstoffe für die verbotenen «Ozonkiller» FCKW und HFCKW. Zu ihnen gehören die teilfluorierten Kohlenwasserstoffe (HFKW), die heute noch als Kältemittel — etwa in Klimaanlagen — Verwendung finden. Sie bauen zwar nicht die Ozonschicht ab, sind jedoch bis zu mehrere tausend Mal stärker klimaerwärmend als das mengenmässig wichtigste Treibhausgas CO2.

Parallel zum Rückgang der FCKW-Konzentration dokumentieren die auf dem Jungfraujoch erhobenen Messdaten seit Jahren einen Anstieg der HFKW-Konzentration. «Wenn wir die Verwendung der HFKW nicht einschränken würden, könnte sie um 2050 zu einer der weltweit grössten Emissionsquellen für Treibhausgase werden», sagt Henry Wöhrnschimmel von der Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien des BAFU. Nun ist aber Besserung in Sicht: Mit dem Kigali-Amendment – einer Ergänzung des Montrealer Protokolls – hat die Staatengemeinschaft 2016 beschlossen, Herstellung und Verbrauch der potenten HFKW-Treibhausgase schrittweise zu reduzieren. Die Vereinbarung ist in der Schweiz seit 2019 bindend, wobei der Bund die Verwendung im Inland durch sukzessive Verschärfungen der entsprechenden Verordnung bereits seit 2003 zunehmend eingeschränkt hat. Für die Erfolgskontrolle sind die CLIMGAS-CH-Messungen unerlässlich.

Suche nach idealem Kältemittel

Derweil geht die Suche nach einem unproblematischen Kältemittel weiter. Der Einsatz von Hydrofluorolefinen (HFO) nimmt derzeit stark zu, was sich wiederum auf den Messgeräten der Jungfraujoch-Station ablesen lässt. HFO haben den Vorteil, dass sie sich in der Luft rasch abbauen und kaum klimaerwärmend wirken. Allerdings entsteht bei ihrem Abbau Trifluoressigsäure mit dem Bestandteil Trifluoracetat (TFA), das in Gewässern sehr langlebig ist und eine pflanzentoxische Wirkung hat. Henry Wöhrnschimmel bezeichnet die HFO deshalb als Übergangslösung. So sind heute schon für viele Anwendungen Alternativen mit Kohlenwasserstoffen, Ammoniak und Kohlendioxid verfügbar – weitere Technologien mit Wasser und Luft als Kältemittel befinden sich in der Entwicklung.

«Bottom-up» und «Top-down»

Neben den halogenierten organischen Substanzen wird auf dem Jungfraujoch auch der Gehalt der zwei bedeutenden Nicht-CO2-Treibhausgase Methan (CH4) und Lachgas (N2O) gemessen. Sie gehen in der Schweiz zu rund 80 Prozent auf die Landwirtschaft zurück, und ihr Anteil am gesamten Treibhausgasausstoss des Landes ist mit 10 Prozent bei Methan und 5 Prozent bei Lachgas ­beträchtlich. Im Rahmen internationaler Verpflichtungen muss die Schweiz diese Emissionen überwachen und mit dem Treibhausgasinventar über die Entwicklung Rechenschaft ablegen.

Die Berechnung erfolgt einerseits nach der «Bottom-up»-Methode, bei der man die Emissionen anhand der Daten von Anlagen, Produktions- und Handelsstatistiken bilanziert. Für zusätzliche Genauigkeit sorgen mehrere NABEL-Messstationen im Mittelland, darunter diejenige auf dem früheren Turm des Landessenders Beromünster (LU). Sie verfügt über Messgeräte, die Rückschlüsse auf die Herkunft und die Menge des im Mittelland emittierten Methans und seit 2016 auch des Lachgases erlauben. Mit den «Top-down»-Daten vom Jungfraujoch und aus Beromünster liefert CLIMGAS-CH wertvolle Informationen über den Methan- und Lachgasausstoss der Schweiz, mit denen sich die Berechnungen des Treibhausgasinventars überprüfen lassen.

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Letzte Änderung 01.12.2021

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