1.9.2021 - Vor einem Jahrzehnt hat der Bundesrat mit der Waldpolitik 2020 seine Ziele für die Entwicklung und Bewirtschaftung des Schweizer Waldes festgelegt. Wissenschaftliche Analysen, aber auch die lebhaften Debatten im Parlament bestätigen, dass diese in die richtige Richtung zielt. Trotzdem braucht es weiterhin grosse Anstrengungen.
Interview: Lucienne Rey
344 Einträge findet, wer Anfang Juli 2021 in der Geschäftsdatenbank «Curia Vista» des Schweizer Parlaments das Stichwort «Waldpolitik» eingibt. Die Suche nach dem Begriff «Wald» bringt gar 2509 Treffer. Im Vergleich dazu ergibt das Suchwort «Spital» zum gleichen Zeitpunkt 2350 Hits. Die Mitglieder der beiden Kammern behalten den Wald also im Blick. Seit der Jahrtausendwende haben sie dazu – mit steigender Tendenz – jährlich mehrere parlamentarische Vorstösse eingereicht. Dabei nehmen Fragen rund um die Waldwirtschaft und Holznutzung breiten Raum ein. Nach den letzten Hitzesommern und unter dem Druck des Klimawandels beschäftigte die Politik in jüngster Zeit auch der Zustand des Waldes. Roberto Bolgè von der Sektion Walderhaltung und Waldpolitik beim BAFU überrascht dies nicht: «Die Zahlen, Kurven und Grafiken, die den Klimawandel belegen, sind relativ abstrakt. Wenn wir hingegen im August die dürren Bäume sehen, wird die Problematik klar ersichtlich: Die Politik greift den Wald als deutlichen Ausdruck der Erderwärmung auf.»
Konkret sind zwei massgebende parlamentarische Vorstösse zu nennen, die sich aus diesem Kontext ergeben haben. Die Motion 19.4177 bezüglich einer Gesamtstrategie für die Anpassung des Waldes an den Klimawandel und die Motion 20.3745 für die Sicherstellung der nachhaltigen Pflege und Nutzung des Waldes. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Liste der einzelnen parlamentarischen Akte, die sich auf Wälder und Klimawandel oder allgemeiner auf nachhaltige Waldbewirtschaftung beziehen, auch andere Einträge enthält, die deren Bedeutung und Aktualität bestätigen.
Zur Debatte steht weiter auch die Walderhaltung. In dieser Hinsicht steht die Waldfläche, vor allem in Tieflagen und in der Nähe von Ballungsräumen, oft im Mittelpunkt von Interessenkonflikten bezüglich der Landnutzung.
Vorausschauende Waldpolitik 2020
2011 verabschiedete der Bundesrat mit der Publikation «Waldpolitik 2020» seine Visionen, Ziele und Massnahmen für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Schweizer Waldes. Verglichen mit früheren Strategien, erklärte er den Klimawandel damit zu einem von fünf Handlungsschwerpunkten. Zum einen hob er in diesem Bereich die Bedeutung des Waldes als Kohlenstoffspeicher hervor – und damit seinen Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Zum andern ging er auf Stürme, Waldbrände und weitere Folgen der Erderwärmung ein, die den Wäldern immer stärker zusetzen. Konsequenterweise definierte die «Waldpolitik 2020» auch die strategischen Stossrichtungen und Massnahmen, um die beiden Ziele «Minderung des Klimawandels» und «Anpassung an den Klimawandel» zu erreichen.
Der Wald bedeckt über 30 Prozent der Schweizer Landesfläche und erfüllt wichtige ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktionen. So bietet er wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere und wird von der Bevölkerung gerne zur Erholung aufgesucht. Der Wald bindet zudem Kohlenstoff aus der Atmosphäre, liefert Holz als Baumaterial sowie als Energieträger und schützt vor Naturgefahren wie etwa Lawinen oder Steinschlag. Die Waldpolitik 2020 zielt darauf ab, die vielfältigen Leistungen des Waldes zu erhalten. Entsprechend räumt sie seiner zukunftsfähigen Bewirtschaftung – die eben auch dem Klimawandel Rechnung trägt – eine übergeordnete Bedeutung ein. Die übrigen prioritären Ziele sind darauf ausgerichtet, das Potenzial des nachhaltig nutzbaren Holzes auszuschöpfen, die Schutzwaldleistung zu sichern, die Biodiversität zu erhalten und zu verbessern sowie keinen Verlust an Waldfläche zuzulassen.
Die in den letzten Jahren eingereichten parlamentarischen Vorstösse stimmten mit den Zielen der Waldpolitik 2020 bestens überein. 2019 etwa forderten zwei Motionen Massnahmen, damit der Wald den Folgen des Klimawandels begegnen kann. Weitere Vorstösse verlangten, die Ressource Holz in die Energiestrategie einzubinden und die Bedingungen für die wirtschaftliche Holznutzung zu verbessern. Auch die Pflege des Schutzwaldes und das Verhältnis zwischen Holznutzung und Förderung der Biodiversität kamen zur Sprache – also Themen, die sich mit den Schwerpunktzielen der Waldpolitik 2020 decken.
Eine 2015 durchgeführte Evaluation der Waldpolitik 2020 kam zum Schluss, für weit mehr als die Hälfte der Massnahmen in der Zuständigkeit des Bundes seien die Ziele erreicht oder gar übertroffen worden. Fast zwei Drittel der Kantone haben die definierten Vorkehrungen für die prioritären Ziele vollständig oder grösstenteils umgesetzt. Gegenwärtig wird die Schlussevaluation erarbeitet.
Weiterführung der Waldpolitik
Im September 2017 hat die damals amtierende Bundesrätin Doris Leuthard als oberste Waldchefin entschieden, die Waldpolitik auch nach 2020 weiterzuführen. Der vom zuständigen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) verabschiedete Massnahmenplan lief Ende 2020 aus. Deshalb soll er nun auf die künftigen Herausforderungen ausgerichtet und aktualisiert werden. Mitte 2018 startete das BAFU als federführendes Amt den Prozess. Dabei lud es sämtliche relevanten Stellen dazu ein, im Rahmen einer Konsultation mitzureden. «Dank der breit angelegten Absprachen können alle Beteiligten die vorgeschlagenen Massnahmen gut nachvollziehen, wobei sie künftig eine noch engere Einbindung in die Waldpolitik wünschen», erläutert Roberto Bolgè vom BAFU. Der aktualisierte Massnahmenplan für die Periode 2021-2024 zeigt die neuen Schwerpunkte auf.
Jüngere Zahlen bestätigen die Erfolge der bisherigen Waldpolitik. So zeigen die im Juni 2020 publizierten Daten des vierten Landesforstinventars (LFI4), dass es mehr Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten gibt und zugleich ihr Bestand an Bäumen verschiedenen Alters zugenommen hat. Die bewirtschafteten Wälder sind inzwischen naturnaher und vermögen Wassermangel, Stürmen und Waldschädlingen dadurch besser standzuhalten.
Zusätzliche Erfolge einfahren
Doch es gibt auch Nachholbedarf – insbesondere mit Blick auf die Waldbewirtschaftung. Die neue Waldpolitik formuliert denn beispielsweise auch Empfehlungen, um das nachhaltig nutzbare Holzpotenzial besser auszuschöpfen. So will man überholte Vorschriften abbauen, damit Gebäude und Anlagen vermehrt aus dem nachwachsenden Material entstehen können. «Ausserdem braucht es leistungsfähigere und langfristig gesicherte Absatzkanäle für Schweizer Holz», sagt Roberto Bolgè. «Über die Verwendung als Baumaterial hinaus wollen wir das einheimische Holz zudem als ökologischen Rohstoff der Zukunft positionieren», erläutert er. «So können etwa Pflanzenbestandteile wie Zellulose und Lignin als Ausgangssubstanzen für die chemische Industrie dienen.»
Das Nationale Forschungsprogramm NFP 66 zur Ressource Holz hat zudem Perspektiven aufgezeigt, um die Anwendungspalette dieses natürlichen Werkstoffs zu erweitern und ihn zum Beispiel vermehrt als Ersatz für erdölbasierte Kunststoffe einzusetzen.Im Kampf gegen den Klimawandel besteht ein wichtiges Ziel darin, die Funktion des Waldes als Kohlendioxidsenke dauerhaft zu erhalten. Gemeinsam mit den Kantonen soll der Bund deshalb geeignete Massnahmen erarbeiten, um Waldschäden durch Naturgefahren wie Brände, Stürme oder Steinschlag möglichst zu verhüten.Daneben können auch Schadorganismen wie der Borkenkäfer oder standortfremde Pflanzen die Waldgesundheit erheblich beeinträchtigen.
Aus Sicht von Roberto Bolgè sind im Kampf gegen eingeschleppte schädliche Arten grosse Anstrengungen erforderlich. Denn der Klimawandel begünstigt das Aufkommen unerwünschter Pflanzen wie des Kirschlorbeers sowie die Vermehrung des Borkenkäfers und anderer Schädlinge. Zusammen mit den Kantonen – aber auch gemeinsam mit der Forschung – will der Bund daher die Früherkennung von schädlichen Pflanzen und Tieren verbessern. Gleichzeitig sucht er nach Möglichkeiten, um diese mit geringen Mengen Pflanzenschutzmittel oder gar ohne zu bekämpfen. «So steht beispielsweise der Kanton Tessin an vorderster Front bei der Bekämpfung von eingeschleppten Pflanzen», stellt Roberto Bolgè fest. «Damit verfügt er über Informationen darüber, welche mechanischen oder biologischen Massnahmen wie viel Aufwand verursachen. Von diesen Erfahrungen gilt es zu profitieren.»
Bei der Erhaltung der vielfältigen Waldfunktionen spielt die Bewirtschaftung eine Schlüsselrolle. Doch wird die Finanzierung der erbrachten Leistungen alleine mit dem Verkauf des gewonnen Rohstoffs bei tiefen Holzpreisen problematisch. «Es braucht heute vermehrt das finanzielle Engagement der betroffenen Nutzniesser, um die von der Gesellschaft geforderten Waldleistungen durch eine nachhaltige Nutzung überhaupt sicherstellen zu können», ist Roberto Bolgè überzeugt.
Eine föderale Gemeinschaftsaufgabe
Während das BAFU in der Waldpolitik übergreifende Strategien, Vorgaben und Vollzugshilfen formuliert, sind die Kantone für die Umsetzung zuständig. Als wichtigstes Umsetzungsinstrument zu waldpolitischen Zielen hat der Bund eine Programmvereinbarung für den Wald erarbeitet. Neben der Schutzwaldpflege und der Biodiversitätsförderung nennt diese die Bewirtschaftung als drittes Tätigkeitsfeld, für das der Bund gewisse Leistungen bei den Kantonen einkauft. Die Koordination mit diesen funktioniere gut, bestätigt Roberto Bolgè vom BAFU. Erfolgreiche Massnahmen wie diejenige zur Bekämpfung des Asiatischen Laubholzbockkäfers (ALB) zeigen, dass der Kontakt zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden mit einer guten Abstimmung der Aufgaben und einer entsprechenden Information viel bringen kann. Hier besteht aus Sicht des Fachmanns noch ein Entwicklungspotenzial: «Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»
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Letzte Änderung 01.09.2021