Die grössten Umweltbelastungen entstehen im Ausland

1.12.2021 - In unserer hochgradig vernetzten Wirtschaftswelt umspannen die Lieferketten von Produkten oft den ganzen Globus. Dadurch fallen die gravierendsten Umweltbelastungen durch die Herstellung unserer Konsumgüter auch primär im Ausland an. Ein Umweltatlas des BAFU untersucht anhand von acht relevanten Branchen die Hotspots in der Lieferkette von Schweizer Unternehmen.

Text: Beat Jordi

Die Baumwollproduktion in Schwellen- und Entwicklungsländern (hier in Indien) schadet sehr oft Menschen und Umwelt.
© sda-ky

«Stone washed» heisst die spezielle Art der Bearbeitung von fabrikneuen Jeans, bei der die Hosen noch vor dem Verkauf sandgestrahlt und mit Bimsstein gewaschen werden. Dieser Herstellungsprozess verleiht dem vor rund 150 Jahren erfundenen Kleidungsstück den heute begehrten «used look», auf den die erste Kundschaft des Händlers Levi Strauss in den Goldgruben um San Francisco (USA) damals noch nicht erpicht war. Denn in den steinigen Löchern ihrer Arbeitsplätze wetzte sich der Hosenstoff ohne fremdes Zutun ab. Dafür litten damals auch noch keine Textilbeschäftigte an der Staublungenkrankheit, die sie sich heute durch das permanente Einatmen kleinster Feinstaubpartikel beim Sandstrahlen der Baumwollstoffe holen. Bevor die Jeans bei uns in den Schaufenstern liegen, haben sie einen langen Weg hinter sich. Er beginnt zum Beispiel auf weit entfernten Baumwollfeldern in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo im Normalfall tonnenweise Wasser, synthetische Düngemittel und Pestizide eingesetzt werden, um den wichtigsten Rohstoff für die Hosenproduktion zu gewinnen. Danach erfolgt die Weiterver­arbeitung in Spinnereien, Färbereien, Webereien, Nähateliers und Wäschereien. Viele dieser Prozesse erfordern grosse Mengen Strom. Er stammt häufig aus Kohlekraftwerken, die viel Kohlendioxid und verschiedene Luftschadstoffe freisetzen. Das belastete Abwasser von Färbereien und Textildruckereien landet oft ungereinigt in natürlichen Gewässern. Dies führt vor Ort zu Gesundheitsschäden, da die Bevölkerung das belastete Wasser mangels Alternativen unter anderem als Trinkwasser nutzt.

Fussabdruck jenseits der Grenzen

«Ein grosser Teil der Umweltbelastung von Schweizer Unternehmen fällt im Ausland an», stellt Susanna Fieber von der Sektion Konsum und Produkte beim BAFU fest. «Besonders relevant sind dabei die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen der Rohstoffgewinnung und Produktion.» So trägt der Schweizer Bekleidungshandel hierzulande nur rund 1 Prozent zu der ihm insgesamt zugeschriebenen Gesamtumweltbelastung bei. Dagegen entfallen 96 Prozent auf die Herkunftsländer, in denen die Kleider und Schuhe im Auftrag der grossen Bekleidungsketten gefertigt werden. Besonders negativ zu Buche schlagen der Landbedarf, der Düngemitteleinsatz sowie die künstliche Bewässerung beim Anbau von Baumwolle.

Weil die Herstellung einer Jeanshose je nach Herkunft der Baumwolle bis zu 10 000 Liter Wasser benötigt, fällt dieser Aspekt speziell ins Gewicht. Besonders umweltschädigend sind zudem die von der Bekleidungsindustrie verursachte Luftverschmutzung sowie der Ausstoss von Treibhausgasen. «Um ein umweltverträgliches Mass zu erreichen, müsste die Schweizer Textilbranche zum Beispiel ihren Treibhausgas-Fussabdruck der gesamten Lieferkette um rund drei Viertel reduzieren», erklärt Andreas Hauser von der Sektion Ökonomie beim BAFU.

Acht Branchen unter der Lupe

Der Fachmann stützt sich bei seiner Aussage auf Berechnungen des im Auftrag des BAFU erarbeiteten «Umweltatlas Lieferketten Schweiz». Die für die Zielgruppe der Unternehmen aufbereitete Publikation basiert auf einer umfassenderen Ökobilanzstudie des Amtes. Für acht Schweizer Wirtschaftsbranchen untersucht sie wesentliche Umweltbelastungen – von der Gewinnung der benötigten Rohstoffe über die diversen Verarbeitungsprozesse bis hin zu den direkten Lieferantinnen und Lieferanten.Der Umweltatlas bilanziert die Emissionen von Treibhausgasen, den Verlust an Biodiversität durch die Landnutzung, den Frischwasserverbrauch, die Luftverschmutzung und die Überdüngung sowie die Gesamtumweltbelastung. Daten mit anschaulichen Grafiken sind jeweils für die acht Branchen Fleischverarbeitung, Gesundheitswesen, Chemische Industrie, Lebensmittelhandel, Maschinenbau, Immobilienbranche, Handel mit elektrischen Geräten sowie Bekleidungshandel aufbereitet. Dabei wird deutlich, wie massgebend die einzelnen Umweltthemen für die jeweiligen Wirtschaftszweige sind und wie gross der Reduktionsbedarf ungefähr ist. Als Richtwert dienen die Belastbarkeitsgrenzen des Planeten. Werden sie überschritten, gefährdet die Menschheit das Funktionieren der Ökosysteme und damit auch die Erhaltung ihrer Lebensbedingungen. Der grösste Handlungsbedarf zur Reduktion der kritischen Umweltbeeinträchtigungen besteht insgesamt beim Ausstoss von Treibhausgasen und im Bereich der Verluste an Biodiversität.

Hinweise auf mögliche Probleme

Die Aussagen im Umweltatlas beziehen sich auf den Durchschnitt der jeweiligen Schweizer Branche und geben erste Hinweise auf mögliche Hotspots in der Lieferkette. Für die meisten Branchen sind der Ersatz fossiler Brenn- und Treibstoffe durch erneuerbare Energiequellen sowie die Optimierung der Energie- und Materialeffizienz von zentraler Bedeutung. Je nach Produktpalette und Ausgestaltung der Lieferketten eines bestimmten Unternehmens können die Umweltbelastungen jedoch unterschiedlich ausfallen. «Bevor eine Firma versucht, ihre Lieferketten nachhaltiger zu gestalten, sollte sie deshalb ihre spezifischen Umwelt-Fussabdrücke analysieren und die eigenen Hotspots identifizieren», erläutert Susanna Fieber. Gestützt darauf lassen sich in der Folge die erforderlichen Massnahmen für eine umweltverträglichere Beschaffung festlegen. Die Daten bilden zudem eine wichtige Grundlage für das Festlegen von Umweltzielen und eine allfällige Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Gegenwärtig beziehen sich die meisten Umweltziele und entsprechende Bemühungen von hiessigen Unternehmen in erster Linie auf die eigenen Standorte. Gerade bei hochgradig vernetzten Volkswirtschaften wie derjenigen der Schweiz, die stark in den Welthandel eingebunden sind, greift dieser Ansatz jedoch zu kurz. Denn wie das Beispiel der Jeansproduktion zeigt, sind die Umweltbelastungen durch eingeführte Rohstoffe, Zwischenprodukte und Fertiggüter oft deutlich höher als diejenigen am Standort selbst. «Das BAFU will in den Schweizer Unternehmen das Bewusstsein für die Umweltrelevanz ihrer Lieferketten schärfen und sie mit Hilfsmitteln wie dem Umweltatlas konstruktiv unterstützen», meint Susanna Fieber. Die Erarbeitung erfolgte denn auch in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.

Die Informationen sind auch im Hinblick auf den indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative relevant. Der Bundesrat erwartet nämlich von den Schweizer Unternehmen, dass sie ihre Verantwortung im In- und Ausland wahrnehmen – wenn auch weitgehend auf freiwilliger Basis. Der Umweltatlas ist eines von mehreren Instrumenten, welche die Firmen für den Aufbau eines nachhaltigen Managements ihrer Lieferketten nutzen können. Dabei ist es laut Susanna Fieber «wichtig, dass die Unternehmen eng mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten und auf bestehende Standards und Hilfsmittel zurückgreifen.» 

Fast drei Viertel der Gesamtumweltbelastung der Schweizer Chemieindustrie werden durch importierte Güter verursacht.
© Kilian J. Kessler | Ex-Press | BAFU

Nicht alles neu erfinden

«Um ihre Lieferketten aus ökologischer Sicht zu optimieren, müssen die Unternehmen nicht alles selbst neu erfinden», betont Susanna Fieber. «Vielmehr gibt es bestehende und vom Bund geförderte Initiativen, die sie dabei unterstützen.» Ein Beispiel ist das vom BAFU und vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mitgetragene Programm Sustainable Textiles Switzerland 2030. Es hilft den Firmen im Schweizer Textil- und Bekleidungssektor unter anderem, ihre Lieferketten sozial und umweltverträglich zu gestalten.

Der Detailhandel steht somit in der Verantwortung, in seinem Sortiment vermehrt fair und ökologisch produzierte Mode anzubieten – so etwa aus biologischem Anbau, rezyklierten Fasern oder Alternativen zur Baumwolle wie Flachs oder Hanf. Gefordert sind aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten. So vermindert die Nutzung von qualitativ hochwertigen, langlebigen und umweltfreundlichen Produkten den Ressourcenverschleiss. Auch Ansätze wie etwa Secondhand, Mietmodelle oder Tauschen und Teilen entlasten die Umwelt, was für eine Vielzahl von Konsumgütern gilt.

Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen

Die Umwelt-Fussabdrücke der Schweizer Branchen übersteigen die Belastbarkeitsgrenzen des Planetenum ein Vielfaches.

Wie weltweite Forschungsergebnisse zeigen, hat die Menschheit die kritischen Schwellen in verschiedenen Bereichen bereits überschritten. Dies gilt etwa für die Belastung der Erdatmosphäre mit klimaschädigenden Treibhausgasen oder für die weltweiten Artenverluste. Durch die von ihr verursachten Umweltbeeinträchtigungen übt die Schweiz einen erheblichen Druck auf die globalen Ökosysteme aus. Unternehmen, die ihre Umweltbelastungen wissenschaftsbasiert reduzieren möchten, können sich an dem im «Umweltatlas Lieferketten Schweiz» berechneten Reduktionsbedarf orientieren.

Klima: Weil das Pariser Klimaabkommen die maximale Temperaturzunahme auf 1,5 Grad Celsius begrenzen will, ist mittelfristig nur eine vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung mit den Belastbarkeitsgrenzen des Planeten vereinbar. Dies kommt einem Ersatz von Erdöl, Kohle und Erdgas durch erneuerbare Energieträger gleich. Für das Jahr 2015 lag der planetenverträgliche Schwellenwert 76 Prozent unter dem globalen Ausstoss an Treibhaus­gasen.

Biodiversität: Konsum und Produktion benötigen grosse Flächen im In- und Ausland. Menschliche Aktivitäten wie Waldrodungen, Ackerbau und Siedlungsbau üben grossen Druck auf die Biodiversität aus. Bezogen auf die Landnutzung liegt das planetenverträgliche Mass 88 Prozent unter dem tatsächlichen Biodiversitäts-Fussabdruck.

Wasser: Der Wasser-Fussabdruck bewertet die durchschnittlichen nationalen Wasserknappheiten. Er basiert auf der Annahme, dass eine geringe Verfügbarkeit in Trocken­re­gionen den Zugang zu Wasser für andere Nutzerinnen und Nutzer einschränkt. Gemessen am Bedarf der Menschen und Ökosysteme bereitet die Wasserknappheit im Wasserschloss Schweiz in der Regel bisher nur wenig Probleme. Vor allem bei Importen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus trockenen Gegenden schlägt der damit einhergehende Wasserverbrauch aber stark zu Buche. Für den Wasser-Fussabdruck haben die Autorinnen und Autoren des «Umweltatlas Lieferketten Schweiz» kein globales Reduktionsziel abgeschätzt, da Wasserknappheit ein regionales Phänomen ist.

Luftverschmutzung: Der entsprechende Fussabdruck berücksichtigt insbesondere Feinstaub aus primären und sekundären Quellen, der sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen auswirkt. Dabei werden Vorläuferschadstoffe wie Stickoxide, Schwefeldioxid und Ammoniak gemäss ihrem Potenzial zur Partikelbildung umgerechnet. Für den Luftverschmutzungs-Fussabdruck beziffern die Fachleute den Reduktionsbedarf – als erste Annäherung – auf 39 Prozent.

Eutrophierung: Freigesetzter Stickstoff, der in die Luft, ins Wasser und in die Böden gelangt, führt zu einer Überdüngung. Die Eutrophierung gilt als besonders umweltbe­lastende Folge übermässiger Stickstoffemissionen. Der Schwellenwert liegt rund 14 Prozent tiefer als der aktuelle globale Eutrophierungs-Fussabdruck.

Gesamtumweltbelastung: Die Beurteilung der Gesamtumweltbelastung orientiert sich an schweizerischen oder von unserem Land mitgetragenen internationalen Umweltzielen. Sie erfolgt gestützt auf die Methode der ökologischen Knappheit mittels Umweltbelastungspunkten (UBP). Damit geht sie über die fünf oben aufgeführten Indikatoren hinaus und bewertet zusätzliche Umweltbereiche wie Emissionen von Pflanzenschutzmitteln, Schwermetallen und ozonschichtabbauenden Substanzen, den Verbrauch mineralischer Ressourcen oder die Entstehung von Abfällen und Lärm.

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Letzte Änderung 01.12.2021

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