Nachhaltige öffentliche Beschaffung: Die grüne Marktmacht der öffentlichen Hand

Der Konsum von Gütern und Dienstleistungen zählt weltweit zu den wichtigsten Ursachen der Umweltbelastung. Wer beim Einkauf allerdings ökologische und soziale Standards berücksichtigt, kann damit zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen. Aufgrund ihrer Marktmacht ist die öffentliche Hand in der Lage, bei dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle zu spielen.

Text: Lucienne Rey 

Armeekleidung
Die für alle Kleidereinkäufe des Bundes zuständige Beschaffungsstelle Armasuisse überprüft nicht nur technische Anforderungen wie etwa die Reissfestigkeit, sondern klärt auch die öko­logischen und sozialen Bedingungen der Textilproduktion ab.
© VBS/DDPS

Niemand würde hinter der nüchternen Rasterfassade des Gebäudes in einem beliebten Berner Wohnquartier den Amtssitz eines Königs vermuten. Und doch kann man dem hier residierenden «Fachbereich Einkauf und Kooperationen» von Armasuisse hoheitliche Kompetenzen nicht absprechen – jedenfalls nicht, wenn das Sprichwort zutrifft, wonach der Kunde König ist. Die Beschaffungsstelle kauft nämlich alle Uniformen und Berufskleider der Bundesangestellten ein: das Tenue des Bundesratschauffeurs ebenso wie die weisse Schürze der Kantinenköchin, den Kittel der Reinigungskraft oder den Trockenanzug des Piloten einer F/A-18. Das Gesamtbudget für die Anschaffung von Berufskleidern betrug 2014 rund 72 Millionen Schweizer Franken. Ein solcher Betrag verhilft zu einer erheblichen Marktmacht und vermag mithin nachhaltige Prozesse und Produkte anzustossen und zu fördern.

Ansprüche WTO-konform durchsetzen

Freilich kann die öffentliche Hand ihre Aufträge nicht nach eigenem Gutdünken an Lieferanten vergeben, selbst dann nicht, wenn sie höchste Ansprüche erfüllen. Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und das entsprechende Übereinkommen Government Procurement Agreement (GPA) der Welthandelsorganisation (WTO) verpflichten die Verwaltung, ihre Aufträge nach strikten Regeln auszuschreiben. Ausschreibungen müssen unter anderem die Gleichbehandlung der Anbieter gewährleisten – und zwar unabhängig davon, ob diese ihren Sitz im In- oder im Ausland haben. Einschränkungen, wie etwa die Forderung nach Produkten mit einem nationalen Gütesiegel, würden ausländische Geschäftspartner von vornherein ausschliessen, was den rechtlichen Grundlagen widerspräche. Die technischen Spezifikationen, wel­che einen Beschaffungsgegenstand beschreiben – im Fall des Fachbereichs von Armasuisse also die Kleidungsstücke auf der Einkaufsliste –, umfassen zum einen die gewünschten funktionellen und optischen Eigenschaften eines Produktes. Zum anderen enthält der Anforderungskatalog aber auch Vorgaben zum Produktionsprozess. «Gemäss dem BöB legen wir die acht Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation ILO immer als Grundbedingung fest», erläutert Andreas Stier von Armasuisse. Damit sind fundamentale Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit erfüllt, insbesondere das Recht auf Kollektivverhandlungen der Arbeitnehmenden und das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit sowie von jeglicher Diskriminierung. Was aus Schweizer Sicht selbstverständlich erscheint, ist es in der Bekleidungsbranche keineswegs: «Textilien sind ein Risikogeschäft», bestätigt Andreas Stier und erinnert an den Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes mit mehreren Kleiderfabriken in Bangladesch, bei dem im April 2013 über 1100 Menschen umkamen.

Transparenz und unabhängige Kontrollen

Der Fachbereich Einkauf und Kooperation versteht sich als Dienstleister und verfolgt das Ziel, für die Amtsstellen der öffentlichen Verwaltung das optimale Produkt zu erwerben. 2015 trat der Zivildienst (ZIVI) an ihn heran und wünschte sich Arbeitskleider aus einer fairen und umweltverträglichen Produktion. Die Beschaffungsstelle von Armasuisse orientierte sich an einem international anerkannten Qualitätssiegel: «Alle Zivi-Kleider aus Baumwolle mussten den Vorgaben des Global Organic Textile Standard GOTS entsprechen», erläutert Andreas Stier. Dieser Standard gibt – nebst einer Reihe von Sozialkrite­rien – insbesondere zahlreiche umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten Produktionskette vor. So erhalten einzig Textilien das Label, die zu mindestens 70 Prozent aus kontrolliert biologisch erzeugten Naturfasern bestehen. Auch bezüglich der verwendeten chemischen Zusätze und Farbstoffe werden strenge Auflagen gemacht. Zudem müssen sämtliche Betriebe, die an der Produktion eines GOTS-zertifizierten Kleidungstücks mitwirken, ihre Abfälle und Abwässer minimieren. Allerdings darf das GOTS-Label bei Ausschreibungen nicht zur Bedingung gemacht, sondern einzig als Richtschnur herangezogen werden. Im konkreten Fall konnten sich also auch Anbieter von Produkten ohne dieses Gütesiegel bewerben, sofern sie vergleichbare Grundsätze befolgen. Den Zuschlag erhielt schliesslich eine in der öffentlichen Datenbank von GOTS aufgeführte Schweizer Firma. Ob die Anbieter die von ihnen verlangten organisatorischen und prozesstechnischen Anforderungen auch tatsächlich erfüllen, überprüft Armasuisse teils mit eigenen Kontrollen, teils mittels Inspektionen durch professionelle Organisationen wie beispielsweise die Société Générale de Surveillance (SGS). Die physikalischen Eigenschaften der gelieferten Kleidung werden im hauseigenen Labor getestet. Dazu gehören etwa die Resistenz gegen Reibung, die Wasserundurchlässigkeit oder die sogenannte Weiterreissfestigkeit, ein Mass, das angibt, wie weit ein Loch im Stoff weiter einreisst. Dieser Aufwand zahlt sich aus: «Unsere Lieferanten wissen, dass wir uns nicht hinters Licht führen lassen», hält Andreas Stier fest.

Mehr Gewicht dank Allianzen

Indes verfügen nicht alle Verwaltungsstellen über die Mittel und Möglichkeiten von Armasuisse, die bisweilen mit einem einzigen Einkauf Hemden und Blusen für über 1 Million Franken ersteht. Kantonale Ämter kommen auf weit tiefere Stückzahlen als der Bund. «Wir benötigen bloss für 330 Personen eine individuelle Schutzausrüstung», bestätigt Valérie Bronchi, Projektleiterin in der Dienststelle Nachhaltige Entwicklung beim Departement für Infrastrukturen und Personalwesen des Kantons Waadt. Dieser hat sich in seinem Legislaturprogramm 2012–2017 die Umsetzung der Agenda 21 auf die Fahne geschrieben. Dazu bietet ein Leitfaden für verantwortungsvolle Einkäufe der öffentlichen Hand konkrete Hilfe bei der Realisierung. Entstanden ist er aus einer Zusammenarbeit der Kantone Waadt und Genf mit den Genfer Gemeinden. Indem sie solche Allianzen eingehen, können kleinere Akteure ihre Position auf dem Markt stärken. Der Bund hat diese mustergültige Kooperation denn auch unterstützt. Überhaupt wird die Zusammenarbeit in der lateinischen Schweiz hochgehalten: So haben sich die Beschaffungsstellen der Romandie und des Tessins zur Vereinigung Coord21 zusammengeschlossen, die der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet ist. Bei Anschaffungen mit besonderen Risiken – also insbesondere bei Einkäufen von Elektronik und Textilien – berücksichtigt Valérie Bronchi zusätzliche Kriterien. «Wir achten beispielsweise darauf, ob Unternehmen über einen Code of Conduct verfügen, ob eine eigens dafür ernannte Person über die Umsetzung dieses Verhaltenskodexes wacht und wo sie im Organigramm der Firma angesiedelt ist. Zudem prüfen wir, ob unabhängige externe Organisationen Audits durchführen und ob deren Ergebnisse öffentlich sind.» Bei sämtlichen Ausschreibungen wird ausserdem anhand eines Fragebogens ermittelt, wie sich die verschiedenen Bewerber für die nachhaltige Entwicklung engagieren.

Keine Wegwerfware

Wenn die öffentliche Hand im In- und Ausland nicht allein den Preis eines Produktes, sondern auch seine Qualität und die Bedingungen der Fertigung berücksichtigt, verbessert sie die Konkurrenzfähigkeit von Anbietern qualitativ hochstehender und ökologisch hergestellter Güter. Der Kanton Waadt hat die Grundsätze der Nachhaltigkeit verbindlich in sein Pflichtenheft aufgenommen. «So achten wir zum Beispiel beim Kauf von Bürostühlen darauf, dass sich die einzelnen Bestandteile wiederverwerten lassen. Der Stuhl, den wir im Kanton am häufigsten beschaffen, trägt gar das Gütesiegel ‹Cradle to Cradle›», weiss Valérie Bronchi. Solche Kreislauf-Güter erzeugen praktisch keine Abfälle, weil die Qualität der eingesetzten Rohstoffe über mehrere Produktlebenszyklen erhalten bleibt. Auch die Möglichkeit von Reparaturen fällt bei der Wahl ins Gewicht: «Wir achten darauf, dass sich die Sitzfläche ohne grössere Komplikationen auswechseln lässt.» Eine besondere Bedeutung kommt der Anschaffung von Informatik zu – dem wohl wichtigsten Arbeitsinstrument der Verwaltung. Da viele der für den Bau von Elektronikbestandteilen benötigten Ressourcen aus Krisengebieten stammen oder unter höchst fragwürdigen Bedingungen abgebaut werden, stellen sich diesbezüglich spezielle Herausforderungen. Auch in diesem Fall setzt die Romandie auf Zusammenarbeit: Über die Vereinigung PAIR (Partenariat des Achats Informatiques Romands) werden gemeinsam grössere Posten von Computern, Druckern und elektronischem Zubehör ausgeschrieben und damit finanziell vorteilhaftere Konditionen ausgehandelt. Neben den technischen Spezifikationen umfasst die Ausschreibung auch Kriterien bezüglich der Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Mit der im Sommer 2016 beschlossenen Mitgliedschaft bei Electronics Watch ist der Kanton Waadt fortan auch in einem grösseren Verbund aktiv. Dieses internationale Netzwerk von Monitoring-Organisationen wacht über die Arbeitsbedingungen in der Elektronikbranche.

Die Umwelt schonen und Geld sparen

Die kleine Schweiz verfügt durchaus über das Potenzial eines gewichtigen Akteurs auf dem Weltmarkt: «Hierzulande gibt die öffentliche Hand jährlich nahezu 40 Milliarden Franken für Güter und Dienstleistungen aus», erläutert Marie-Amélie Dupraz-Ardiot vom BAFU. «Das sind rund 6 Prozent des Bruttoinlandproduktes.» Es bestehe international eine Tendenz, über die öffentliche Verwaltung Cleantech-Projekte anzustossen und damit ressourcenschonende Innovationen zu fördern, stellt die Leiterin der Fachstelle ökologische öffentliche Beschaffung bei der Sektion Konsum und Produkte fest. Das schlägt sowohl für die Umwelt als auch für die Amtsstellen – und damit für die Steuerzahlenden – positiv zu Buche: So weist eine Wirkungsanalyse des ökologischen Beschaffungsprogramms der Stadt Wien jährliche Reduktionen von 15 000 Tonnen CO2 nach, dies bei gleichzeitigen Kosteneinsparungen von 1,5 Millionen Euro. Doch auch die private Kundschaft profitiert, wenn sie auf dem Markt ein entsprechendes Angebot an «grünen» Produkten findet. Dank ihrer Nachfragemacht kann die ökologische öffentliche Beschaffung hier die Rolle einer Wegbereiterin für eine Grüne Wirtschaft spielen. Im entsprechenden Aktionsplan für die Periode von 2016 bis 2019 wird sie denn auch als wichtige Massnahme aufgeführt. Es ist jedoch nicht zuletzt auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, beim Einkauf Prinzipien zu beherzigen, welche die öffentliche Hand ihren Bürgerinnen und Bürgern nahelegt. «Die öffentliche Verwaltung sollte ein Vorbild sein. Wir dürfen nicht nur predigen, sondern müssen auch entsprechend handeln», gibt sich Marie-Amélie Dupraz-Ardiot überzeugt.

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Letzte Änderung 15.02.2017

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