Nachhaltigkeit belegt in der Finanzbranche einen zunehmend prominenten Platz. Entsprechend wichtig werden Umweltkompetenzen in den Finanzinstituten – vom Banklernenden bis zur Führungskraft, von der Produktentwicklerin bis zum Kundenberater. Das Schweizer Bildungssystem bietet für die Stärkung dieser Kompetenzen gute Voraussetzungen.
Text: Oliver Graf

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Immer mehr Anlegerinnen und Anleger investieren ihr Geld nachhaltig: Sie erwarten nebst einer finanziellen Rendite, dass ihr Geld nach Umwelt- und Sozialstandards sowie Grundsätzen der guten Unternehmensführung arbeitet. «Die Nachfrage nach solchen Finanzprodukten ist in den letzten zwei bis drei Jahren rasant gestiegen», bestätigt Matthias Wirth, Leiter des Bereichs Ausbildung bei der Schweizerischen Bankiervereinigung. «Darum ist es für uns wichtig, die Kundenberatenden beim Thema Nachhaltigkeit gut auszubilden und mit den entsprechenden Informationen zu versorgen. Weil wir uns in einem Wachstumsmarkt befinden, bewegt sich hier einiges.»
Bankinterne Aus- und Weiterbildung als Katalysator für die Nachhaltigkeit
Der heutige Trend wirkt sich unmittelbar auf die Aus- und Weiterbildungsprogramme in der Branche aus. Matthias Wirth ist überzeugt, dass die Nachhaltigkeit von Geldanlagen schon bald eine Selbstverständlichkeit sein wird: «Interne Ausbildungen sind ein wirksamer und vor allem schneller Weg, neue wichtige Themen in den Berufsalltag und damit in den Markt zu integrieren.» Die sich wandelnden Kundenbedürfnisse verändern zusammen mit einem dynamischen Finanzmarkt auch das Anforderungsprofil in der Kundenberatung. «Die Beraterin und der Berater müssen die Bedürfnisse erfassen können, es braucht ein gewisses Einfühlungsvermögen», betont Matthias Wirth, «aber auch Fachwissen.» Nur so könnten Kundenberatende glaubhaft und überzeugend auf das Renditepotenzial von nachhaltigen Produkten hinweisen. «Das Renditepotenzial muss nicht geringer sein als das von herkömmlichen Produkten. Mit Erfolgsgeschichten lassen sich nachhaltige Anlageprodukte am besten erklären», ergänzt der Bildungsexperte. Banken zertifizieren ihre Kundenberater in der Vermögensverwaltung nach einer auf Personen ausgerichteten Qualitätsnorm. «Nachhaltige Finanzprodukte sind bei dieser Personenzertifizierung ein wichtiges Thema», sagt Matthias Wirth. Die Schweizerische Bankiervereinigung empfiehlt die Zertifizierung allen ihren rund 260 Mitgliedbanken.

Lernende sollen in der Lage sein, im Zusammenhang mit Kapitalanlagen die Verantwortung für Nachhaltigkeit zu thematisieren.
Vom KV bis zur HF – Finanzbranche mit Nachhaltigkeitsexpertise
Die Bankiervereinigung ist für die Grund- und Fachausbildung in der Schweizer Finanzbranche zuständig. Sie erarbeitet als sogenannte Organisation der Arbeitswelt (OdA) zusammen mit dem Bund und den Kantonen Lernziele, Lehrpläne und Prüfungsreglemente. Schon in der klassischen kaufmännischen Ausbildung (KV) steht Nachhaltigkeit auf dem Lehrplan. So halten die schulischen Lernziele für die Ausbildung zur Kauffrau beziehungsweise zum Kaufmann gemäss Matthias Wirth unter anderem fest, dass die Lernenden in der Lage sein sollen, im Zusammenhang mit Kapitalanlagen die Verantwortung für Nachhaltigkeit zu thematisieren. Jedes Jahr schliessen rund 1200 Lernende diese Ausbildung bei einer Bank ab. Neben der KV-Lehre mit Schwerpunkt Bank ist die Bankiervereinigung auch für die höhere Fachausbildung (HF) in ihrer Branche verantwortlich. Bereits seit einigen Jahren wird an der Höheren Fachschule Bank und Finanz (HFBF) ein Lehrmittel mit dem Titel «Nachhaltigkeit im Banking» eingesetzt und laufend aktualisiert. «Wir können sehr rasch auf Themen wie die Nachhaltigkeit reagieren und unsere Ausbildungsinhalte anpassen», erklärt Matthias Wirth.
Mit Werten gerüstet
In der Hochschullandschaft hält die Nachhaltigkeit ebenfalls Einzug. Marc Chesney, Professor an der Universität Zürich und Direktor des Instituts für Banking und Finance, fokussiert sich in seinen Vorlesungen insbesondere auf Themen wie Systemrisiken, die sowohl durch die Komplexität als auch die Grösse der «Too big to fail»-Banken entstehen. Zudem analysiert er Lösungen, um einen nachhaltigen Finanzsektor zu fördern. Seiner Ansicht nach sollten sich Universitäten für einen stabilen und transparenten Finanzsektor einsetzen. «Wir müssen aus der globalen Finanzkrise lernen. ‹Business as usual› ist keine Option.» Deshalb sei es wichtig, dass den Studierenden neben dem wirtschaftswissenschaftlichen Rüstzeug auch Nachhaltigkeitswissen vermittelt werde. «Denn im Finanzbereich werden in den Vorlesungen oft Preise und nicht wirklich Werte behandelt.» Der Weg zu solchen Einsichten führe über einen interdisziplinären Unterricht, ist Marc Chesney überzeugt: «Natürlich braucht es Mathematik für ein Masterstudium in Finance. Daneben sind aber auch Geschichte, Philosophie, Politikwissenschaften und Recht unentbehrliche Grundlagen, um die Ausbildung von Finanzspezialisten zu verbessern. Es braucht eine Wertediskussion. «Man muss in Frage stellen, ob ‹immer mehr› tatsächlich gleichbedeutend mit ‹immer besser› ist.» Diese und ähnliche Fragen hat Marc Chesney in den letzten Jahren mit seinen Studenten und Studentinnen diskutiert und systematisch in seinen Vorlesungen am Institut für Banking und Finance eingebaut. Beispielsweise bringen ein Dutzend Gastreferentinnen und -referenten aus Bank- sowie Finanzwesen, Psychologie, Recht und Ethik ihre Sicht zu den Funktionen und Dysfunktionen der Finanzmärkte im Rahmen einer Bachelorvorlesung ein: ein grosser Erfolg. Gemeinsam hat er zusammen mit anderen Kollegen diese Veranstaltung interdisziplinär ausgerichtet. Beteiligten sich vor fünf Jahren noch 60 Studierende, sind es heute ca. 160. Zusätzlich werden im weiterführenden Masterstudium weitere Vorlesungen und Seminare zum Thema Nachhaltigkeit angeboten. Nichtdestotrotz möchte Marc Chesney das aktuelle Angebot weiterentwickeln. Mittelfristig schwebt ihm ein eigenes Masterstudium in nachhaltiger Finance vor: «So könnte die Schweiz auch international zeigen, dass sie Lösungen für ein verantwortliches Finanzsystem, im Dienste einer nachhaltigen und umweltrespektierenden Wirtschaft, anbietet.»

Es braucht eine Wertediskussion. Man muss in Frage stellen, ob ‹immer mehr› tatsächlich gleichbedeutend mit ‹immer besser› ist.
Bildung als Ressource
«Gesteuert durch die Nachfrage, entwickelt sich die Bildungslandschaft in Richtung Sustainable Finance. Es hat sich viel getan», sagt Matthias Wirth von der Bankiervereinigung. Es sei wichtig, dass Transparenz in das neue Bildungsangebot im Bereich nachhaltige Finanzen gebracht werde. Interessierte sollten wissen, was für neue Angebote es gebe, so beispielsweise den CAS-Lehrgang Sustainable Finance an der Universität Zürich. Ideen zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung für ein nachhaltiges Finanzsystem wurden auch in den kürzlich veröffentlichten «Proposals for a Roadmap towards a Sustainable Financial System in Switzerland» diskutiert. «Die Publikation ist das Resultat eines Dialogprozesses, den das BAFU seit 2014 mit Expertinnen und Experten des Finanzsektors, der Wissenschaft, aus Nichtregierungsorganisationen sowie des Bundes führt», sagt Romina Schwarz, Ökonomin beim BAFU. Der Dialog habe gezeigt, wie wichtig Forschung sowie Aus- und Weiterbildung für die Integration von Umwelt- und Sozialstandards und von Grundsätzen der guten Unternehmensführung in Finanzierungs- und Investitionsentscheide seien.
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Letzte Änderung 31.05.2017