Heutige Investitionen sind mitentscheidend bei der Frage, wie viele Treibhausgase künftig freigesetzt werden. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im Übereinkommen von Paris 2015 dazu verpflichtet, die Finanzflüsse klimaverträglich auszurichten. Der Finanzplatz Schweiz steht vor grossen Herausforderungen.
Text: Nicolas Gattlen

© Michel Roggo
Es ist nur ein kleiner Satz, doch seine Bedeutung ist immens: Der Zielartikel 2.1.c des Klimaabkommens von Paris, welches im November 2016 in Kraft trat, verpflichtet die Vertragsparteien, die Finanzflüsse klimaverträglich – also in Einklang mit einem Weg hin zu einer treibhausgasarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung – zu gestalten. Damit stehen erstmals auch die Anleger in der Pflicht. Indem sie mehr Geld in zukunftsgerichtete und weniger in treibhausgasintensive Technologien und Energieträger investieren, sollen sie dazu beitragen, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Diese Anpassung ist auch deshalb dringlich, weil bei einem «Weiter wie bisher»-Szenario langfristig horrende volkswirtschaftliche Kosten anfallen (siehe Box). Die Neuausrichtung der Finanzströme setzt voraus, dass die Anleger über entsprechende Informationen verfügen. Für Sparer und private Anleger ist es heute schwierig herauszufinden, welche Firmen und Tätigkeiten mit ihrem Geld finanziert werden. Ob die Bank mit dem Geld der Privatkunden zum Beispiel Kohleunternehmen fördert oder in Windanlagen investiert, steht auf keinem Kontoauszug. Auch die Jahresberichte der Pensionskassen und Versicherungen verraten wenig über deren Anlagestrategien, denn es gibt keine gesetzliche Auskunftspflicht. Sollte es dem interessierten Sparer trotzdem gelingen, die in den Fonds gelisteten Firmen zu eruieren, bleibt ihm in der Regel verborgen, wie sich die Aktivitäten der Unternehmen auf das Klima auswirken. Denn viele Investoren berücksichtigen heute diese Auswirkungen bei ihren konkreten Anlageentscheiden kaum, obschon es mittlerweile viele Informationen dazu gibt. Dies zeigen auch die beiden Studien «Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz» (2015) und «Klimafreundliche Investitionsstrategien und Performance» (2016), die das BAFU erarbeiten liess.
Fiebrige Welt ist kaum mehr versicherbar
Die Studien bringen Licht in die Blackbox. Sie legen dar, dass die heutigen Finanzströme der Schweiz statt des 2 °C-Zieles eher ein globales Klimawandelszenario von 4 bis 6 °C unterstützen. Für die Studie zu den Kohlenstoffrisiken wurden Aktieninvestitionen im Umfang von rund 280 Milliarden Franken detailliert untersucht – das entspricht 80 Prozent des gesamten Aktienfondsmarktes in der Schweiz. Die Bilanz: Dieser Markt bindet in seinen Kapitalanlagen nochmals ebenso viele Emissionen wie die Schweiz als Land derzeit jährlich ausstösst. Das ist umso bemerkenswerter, als der Aktienfondsmarkt lediglich rund fünf Prozent der am Finanzplatz Schweiz getätigten Investitionen umfasst. Die Studie «Klimafreundliche Investitionsstrategien und Performance» hat daher auch abgeschätzt, wie es um die Emissionsintensität weiterer Anlageklassen bestellt ist. Die Resultate deuten darauf hin, dass insbesondere Investitionen in Unternehmensobligationen eher noch CO2-intensiver sein dürften. Ein Strategiewechsel ist auch aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich. Sollten infolge der Klimaerwärmung vermehrt Stürme, Dürren und Überschwemmungen auftreten, betrifft dies die Produktionsanlagen und Wertschöpfungsketten unzähliger Unternehmen. So wies Christian Thimann, Vorstandsmitglied des Versicherers Axa, in einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit» darauf hin, dass eine um 4 °C wärmere Welt «kaum mehr versicherbar» sei. Axa hat allein im Jahr 2014 weltweit etwa eine Milliarde Euro für Schäden ausgezahlt, die mit Klimaereignissen zusammenhängen. Der Konzern hat 2015 entschieden, seine Kohlebeteiligungen zu verkaufen, um kurz vor den Verhandlungen in Paris «ein Zeichen für mehr Klimaschutz» zu setzen und gleichzeitig die Kohlenstoffrisiken zu senken, die mit regulatorischen Eingriffen zum Schutz des Klimas verbunden sind und als «Carbon-Bubble» (Kohlenstoffblase) bezeichnet werden.
Risikoreiche Kohlenstoffblase
Im Übereinkommen von Paris haben sich neu alle Staaten verpflichtet, zur Treibhausgasreduktion beizutragen. Werden weltweit vermehrt Reduktionsmassnahmen ergriffen, die den Verbrauch fossiler Energien einschränken oder direkt verteuern (beispielsweise über eine CO2-Abgabe oder strengere Emissionsvorschriften), verlieren betroffene Firmen an Wert. Von diesen Transitionsrisiken sind insbesondere Investitionen in CO2-intensive Branchen betroffen. Die BAFU-Studie «Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz» zeigt, dass in der Regel zwei Branchen (konventionelle Energieversorgung und Industrie) durchschnittlich 50 Prozent aller über die Aktienfonds finanzierten CO2-Emissionen verursachen. Dabei machen diese Branchen zusammen bloss 8 bis 15 Prozent des Gesamtwerts der Portfolios aus. Ein Ausstieg aus besonders emissionsintensiven Branchen oder ein Umstieg auf klimafreundlichere Unternehmen im gleichen Sektor würde die Risikostreuung (Diversifikation) also nur wenig beeinträchtigen und in vielen Fällen erst noch höhere Gewinne ermöglichen.

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Helvetischer Finanzplatz hinkt hinterher
«Die Zahlen zeigen, dass die indirekten Wirkungen der Investitionen auf das Klima von den meisten Investoren auf dem Schweizer Finanzmarkt nicht aktiv in ihre Anlageentscheide mit einbezogen werden», analysiert Silvia Ruprecht-Martignoli von der Sektion Klimapolitik des BAFU. Ein aktueller Bericht des Verbandes Swiss Finance Institute, dem Banken, spezialisierte Dienstleister, Investoren, Universitäten und Organisationen der öffentlichen Hand angehören, stützt ihre Aussage: Bei der Berücksichtigung von Klimarisiken ist der schweizerische Finanzplatz im internationalen Vergleich ein Nachzügler. Zudem scheint der hiesige Finanzmarkt in der verstärkt geführten internationalen Diskussion in diesem Bereich wenig präsent. Angesichts des hohen Anteils des Finanzsektors am gesamten Bruttoinlandsprodukt (12,9 Prozent) und der internationalen Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes besteht Handlungsbedarf. In anderen Ländern wurden bereits Massnahmen ergriffen. In Frankreich etwa sind institutionelle Vermögensbesitzer seit 2017 verpflichtet, über die Klimaverträglichkeit ihrer Finanzanlagen und über ihre Klimastrategien zu berichten. In Schweden veröffentlichen die staatlichen Pensionskassen ihre Beteiligungen auf Empfehlung der Regierung. Und in den USA verlangt das Aktiengesetz, dass Investmentfonds, Versicherer und institutionelle Anleger ihre Beteiligungen teilweise öffentlich ausweisen. Nichtregierungsorganisationen wie CERES in den USA und der WWF in Schweden nutzen diese Angaben, um für die Anleger Entscheidungshilfen für klimafreundliche Investitionen aufzubereiten. Ein zusätzlich wichtiger Aspekt sind kurzfristige Anlagen im Vergleich zu langfristigen Klimarisiken. Auch die von Financial Stability Board eingesetzte und von Vertretenden der Finanzindustrie geleitete Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) empfiehlt, klimabedingte Finanzrisiken zu messen und offenzulegen. Transparenz alleine reicht jedoch nicht aus, um die Finanzflüsse klimaverträglich zu gestalten. Zudem verhindern häufig kurzfristig angelegte Anreize im Finanzsystem den wirksamen Einbezug der langfristigen Klimawirkungen in Anlageentscheide.
Bundesrat setzt auf freiwillige Massnahmen
Mit dem Klima-Übereinkommen von Paris ist nun auch die schweizerische Politik gefordert. In der am 30. November 2016 zu Ende gegangenen Vernehmlassung über die zukünftige Klimapolitik der Schweiz schlägt der Bundesrat vor, das internationale Ziel der klimaverträglichen Finanzflüsse hierzulande durch freiwillige Massnahmen der Finanzbranche umzusetzen. So können die Finanzmarktakteure entsprechende Strategien verfolgen, die am besten zu ihren Zielsetzungen passen. Die Erhebung von aussagekräftigen Daten zu den Klimaauswirkungen von verschiedenen Geldanlagen, Unternehmensbeteiligungen und -finanzierungen können allerdings ziemlich aufwendig sein. Der Bund will hier Unterstützung bieten und methodische Grundlagen zur Beurteilung der Klimaverträglichkeit erarbeiten. Mit einer international vergleichbaren Berichterstattung auf freiwilliger Basis erhält die Öffentlichkeit ein konsistentes Bild der indirekten Wirkungen von Finanzierungen und Investitionen auf das Klima. Im Rahmen eines Pilotprojektes gibt das BAFU daher bis Mitte Juli 2017 allen Schweizer Pensionskassen und Versicherungen die Möglichkeit, freiwillig und kostenlos ihre Aktien- und Unternehmensanleihen auf deren Klimaverträglichkeit begutachten zu lassen. Die Tests werden mit einem Modell durchgeführt, das durch Forschungsmittel der EU erarbeitet und bereits von über 100 Investoren erprobt wurde. Nach Fertigstellung soll das Modell im Markt unentgeltlich zur Verfügung stehen. Die vertraulichen Analyseberichte erhalten die Teilnehmenden direkt von «2°Investing Initiative», dem unabhängigen, gemeinnützigen Think-Tank, der die Tests durchführt. Das BAFU wird nur eine anonymisierte Meta-Analyse erhalten. Diese wird voraussichtlich im Oktober 2017 veröffentlicht werden. Damit bekommen auch die Versicherten mehr Handlungsspielraum: Sie können bei ihren Pensionskassen und Versicherungen nachfragen, ob diese sich testen lassen und die Resultate veröffentlichen.
Volkswirtschaftliche Kosten der Klimaerwärmung
Der «Stern-Report» machte 2006 prominent auf die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels aufmerksam. Er wurde im Auftrag der britischen Regierung vom ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern verfasst und rechnete vor, dass der Klimawandel die Länder im 21. Jahrhundert jährlich zwischen 5 und 20 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes kosten würde – falls nicht rasch gehandelt wird. Gleichzeitig hält der Bericht fest, dass die Vorteile eines frühen Handelns die dafür nötigen Kosten deutlich überwiegen. Obschon die Zahlen aus dem Dokument kontrovers diskutiert wurden, ist sich die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig, dass sich ein frühes Handeln lohnt. Im Bericht «Better Growth, Better Climate» (2014) legen Nicholas Stern sowie weitere Forschende einen 10-Punkte-Plan für ein klimaverträgliches Wirtschaftswachstum vor. In den nächsten 15 Jahren stünden weltweit 93 000 Milliarden US-Dollar an Investitionen in Städten, für Landnutzungen und im Energiesektor an. Diese Summe gelte es in Effizienzsteigerung und regenerative Energien zu investieren.
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Letzte Änderung 31.05.2017