Unternehmen müssten ein grosses Eigeninteresse daran haben, die Biodiversität sowie Boden, Luft und Wasser als Naturkapital umfassend zu erhalten und zu fördern. Denn so können sie ihr Geschäftsmodell nachhaltig gestalten, Risiken reduzieren und Wettbewerbsvorteile generieren. Um den Faktor Naturkapital in Finanzierungs- und Investitionsentscheide von Finanzinstituten zu integrieren, wurde auf Initiative des Finanzsektors die Natural Capital Finance Alliance ins Leben gerufen.
Text: Kaspar Meuli

© Michel Roggo
Die Damen im Deuxpièces, die Herren im dunklen Businessanzug, professionelle Power-Point-Präsentationen und in den Pausen angeregtes Networking – rein äusserlich unterschied sich das im Herbst 2016 in der Nähe des Zürcher Paradeplatzes abgehaltene Treffen in nichts von all den Tagungen, die jeweils im UBS-Konferenzgebäude Grünenhof stattfinden. Das Thema des Anlasses – der Druck auf natürliche Ressourcen und Risiken fürs Bankgeschäft – hatte es allerdings in sich. «Das Bewusstsein im Finanzsektor in Bezug auf den Stellenwert von Umweltthemen nimmt rasch zu», sagt Liliana de Sá Kirchknopf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das den Anlass mitorganisiert hatte. «Noch vor zwei bis drei Jahren wäre es undenkbar gewesen, für eine solche Tagung 120 Finanzspezialisten aus 80 Firmen und Institutionen zusammenzubringen.» Tatsächlich mehren sich die Zeichen, dass Fragen der Nachhaltigkeit in der internationalen Finanzmarktpolitik stark an Bedeutung gewinnen. So hat die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) im vergangenen Jahr die «Green Finance Study Group» ins Leben gerufen, in dem auch die Schweiz vertreten ist. «Auf einmal sind Umweltfachleute in der Finanzwelt gefragt, das ist neu», meint Loa Buchli, Leiterin der Sektion Ökonomie im BAFU. «Das Klimaabkommen von Paris hat dieser Entwicklung zusätzlichen Schub verliehen.» Mehr und mehr hält in der Finanzindustrie der Begriff Naturkapital Einzug. Mit dieser Bezeichnung ist ein mehrschichtiges Konzept gemeint: Es umfasst erstens die Vorstellung, dass Biodiversität sowie Boden, Luft und Wasser natürliche Vermögenswerte darstellen. Zweitens hält es fest, dass diese Naturgüter Ökosystemleistungen erbringen, ohne die wir Menschen nicht leben können. Der Boden wirkt zum Beispiel als Wasserfilter, und naturnahe Landschaften dienen als Erholungsgebiete. Und drittens will das Konzept der Natur (und ihren Ökosystemleistungen) einen ökonomischen Wert beimessen. So sollen diese zentralen, aber bis heute meist vernachlässigten Produktionsfaktoren endlich einflussreicher in wirtschaftliche Entscheidungen einfliessen.
Ökologische Risiken bewerten
Die Überlegungen, die sich die Finanzwelt neuerdings zu Fragen der Nachhaltigkeit macht, gehen weit über Anlagemöglichkeiten für Kunden mit grünem Gewissen hinaus. Im Zentrum steht die Frage, wie ökologische Risiken berücksichtigt werden können, um Wertverluste bei Finanzprodukten, etwa bei Krediten, zu vermeiden und um letztendlich einen Beitrag zur Stabilität von Banken leisten zu können. Dabei geht es um ganz konkrete Fragen: Wie hoch müssen beispielsweise die Zinsen für einen Kredit an einen Baumwollhersteller sein, wenn dieser damit an einem Produktionsstandort investieren will, an dem sich Wasserknappheit abzeichnet? Der Hintergrund: Die Herstellung von Baumwolle benötigt sehr viel Wasser. Wenn dieses durch Erschöpfung von Oberflächen- und/oder Grundwasserreserven künftig knapp und damit teurer wird, könnte das Geschäftsmodell von Baumwollherstellern in ariden Gebieten unrentabel werden. Für einen Kreditgeber steigt damit das Risiko, sein Geld zu verlieren. Positiv auf dieses Risiko und damit zinssenkend könnte sich hingegen auswirken, wenn ein Baumwollhersteller besonders wassersparende Technologien einsetzt oder auf die Produktion anderer, ressourcenschonender Textilfasern umstellt. Noch sind Geldgeber meist überfordert, wenn es darum geht, in ihre Kreditanalysen das Naturkapital als zusätzlichen Faktor mit einzubeziehen. Es fehlt an Daten und Methoden. Genau diese Lücken füllen will die Natural Capital Finance Alliance (NCFA), eine Initiative, die 2012 beim Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 lanciert wurde und die sich zum Ziel gesetzt hat, «Überlegungen zum Naturkapital in Finanzprodukte zu integrieren». Rund 40 CEOs von Finanzunternehmen haben in Rio eine entsprechende Erklärung unterzeichnet, darunter auch die Schweizer Vermögensverwalterin Forma Futura. Zudem wird die NCFA von diversen Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Institutionen gefördert. Das SECO etwa unterstützt die vom Finanzsektor geschaffene Plattform im Rahmen seiner wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit als Hauptgeber über die nächsten Jahre mit über vier Millionen Franken. Die NCFA wird durch die United Nations Environment Programme Finance Initiative (UNEP FI) und das Global Canopy Programme (GCP) geleitet. «Wir wollen dazu beitragen, neue Instrumente und Methoden zur Bewertung von ökologischen Risiken zu entwickeln, und setzen uns dafür ein, dass sie zum globalen Standard werden», erläutert Liliana de Sá Kirchknopf das Schweizer Engagement bei der NCFA. Der Finanzsektor habe eine «enorme Hebelwirkung» auf die Realwirtschaft. Wenn es gelinge, im Finanzbereich die Weichen richtig zu stellen, werde eine nachhaltige Wirtschaft viel schneller Realität.

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Praxistaugliche Analysewerkzeuge
Die NCFA ist nicht die erste Initiative, welche die Nachhaltigkeit in der Finanzwelt vorantreiben will. Aber sie ist die erste, die den Finanzsektor als Ganzes anspricht. Bei der Entwicklung von neuen Risikobewertungsmethoden will sie auf bestehendem Wissen aufbauen, etwa auf der TEEB-Initiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity). Die Initiative wurde von Deutschland gemeinsam mit der EU-Kommission unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UN Environment) initiiert. Aus diesem Forschungsprogramm sind Resultate hervorgegangen, die zeigen, wie sich der ökonomische Wert von Ökosystemleistungen und der Biodiversität erfassen lässt – vor allem aber auch, welche Kosten mit dem Raubbau und dem Verlust der Artenvielfalt verbunden sind. Die Anstrengungen der NCFA gehen noch einen Schritt weiter. Die Alliance entwickelt in Zusammenarbeit mit Finanzakteuren praxistaugliche Analysewerkzeuge und stellt sie interessierten Kreisen kostenlos zur Verfügung. Bei der Anwendung der neuen Methoden steht man allerdings noch am Anfang. In Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern wurden bisher drei Tools entwickelt: Das erste dient dazu, die Risiken zunehmender Wasserknappheit bei der Bewertung der Aktien von Unternehmen, die Gold und Kupfer fördern, zu berücksichtigen. Ein zweites Werkzeug soll Banken und Investoren dabei helfen, in ihrem Anlageportfolio Risiken zu identifizieren, die von der Abholzung von Tropenwäldern ausgehen; Viehzüchter oder Palmöl- und Sojaproduzenten, die am Kahlschlag beteiligt sind, wirtschaften nicht nachhaltig und stellen deshalb ein Kreditrisiko dar. Das dritte Tool schliesslich betrifft die Kreditvergabe in der Getränke-, Bergbau- und Energieversorgungsindustrie. Es soll Analysten bei der Suche nach Unternehmen unterstützen, die verletzlich sind, weil sie stark auf die Verfügbarkeit von Wasser angewiesen sind. Immer mehr wird die Beschaffung dieser Ressource zum gewichtigen Kostenfaktor. Gemäss NCFA wurden für das Sicherstellen des Wassernachschubs seit 2011 weltweit 84 Milliarden Dollar ausgegeben. Und das ist erst der Beginn eines sich abzeichnenden Trends, denn als Folge des Klimawandels werden Dürren künftig zunehmen. An der Entwicklung dieses Wasserstress-Tests sind sieben international tätige Banken beteiligt (Bancolombia, Banorte, Calvert Investments, Pax World, Robeco, J Safra Sarasin und die UBS).
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Letzte Änderung 11.11.2019