Berner Fachhochschule: Schmelztiegel für die Schweizer Holzwirtschaft

Der Bau- und Werkstoff Holz gewinnt zunehmend an Bedeutung. An der Berner Fachhochschule (BFH) werden angehende Berufs- und Kaderleute fit gemacht für die Herausforderungen in der Holzbranche.

Text: Mike Sommer 

Theâtre de Vidy in Lausanne von aussen
Theâtre de Vidy in Lausanne
© Ilka Kramer

Manchmal kommt die Innovation zu Fuss. Vor einigen Jahren brachte ein Wandergeselle eine Idee ins Emmental, die sein Vater, ein Zimmermann, entwickelt hatte: ein System mit mehrlagigen Massivholzelementen für den Fassadenbau, die einzig mit Holzdübeln und ohne Leim oder Nägel zusammengefügt werden. Im Emmental wurde daraus im Jahr 2012 die Marke «Truber Holz». Eine Zimmerei und eine Schreinerei gründeten zusammen eine Firma; mittlerweile haben sie über 20 Häuser aus Tannen, Fichten und Buchen gebaut, die alle aus den umliegenden Wäldern stammen. Die Konstruktionsweise ist wirtschaftlich interessant, weil damit zu günstigen, konkurrenzfähigen Preisen aus nicht sehr hochwertigem Holz Qualitätshäuser gebaut werden können – eine Wertschöpfung wie aus dem Lehrbuch für die Randregion am Napf (BE). «Beim Truber Holz wird der Gedanke der Nachhaltigkeit auf die Spitze getrieben», sagt Andreas Hurst, Professor für Produkteentwicklung und Energietechnik. Er leitet den Studiengang Bachelor Holztechnik an der Berner Fachhochschule (BFH), deren Fachbereich Holz in Biel (BE) angesiedelt ist.

Die einzige Ausbildungsstätte für Holzingenieure in der Schweiz geniesst im In- und Ausland einen ausgezeichneten Ruf. Auf einer Karte in Andreas Hursts Büro zeigen unzählige farbige Punkte, wo überall in Australien, Asien, Afrika, Europa und auf dem amerikanischen Kontinent Studierende aus Biel im Rahmen ihres einjährigen Praktikums im Einsatz standen und stehen – in Unternehmen, an Partnerschulen und Universitäten.

Forschung mit Praxisbezug

BFH-Studierende erwerben in Praktikumseinsätzen, ähnlich wie die traditionellen Wandergesellen der Zimmermannsbranche, Erfahrung und Wissen. Sie exportierten gleichzeitig aber auch Know-how sowie schweizerisches Qualitäts- und Präzisionsdenken, betont Andreas Hurst. Einen wichtigen Grund für die hohe Kompetenz der Schweizer Holzingenieure sieht er im dualen Bildungssystem: «Mit dem hohen Stellenwert der Berufslehre und den darauf aufbauenden Bildungsangeboten haben wir eine gute Basis, um wissenschaftliche Innovationen in die Praxis zu übertragen.»

Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist für die BFH zentral. Studentische Arbeiten entstehen meistens aus Aufträgen von Unternehmen und tragen dazu bei, markttaugliche Produkte oder Verfahren hervorzubringen. Als «klassisches Beispiel» nennt Andreas Hurst ein Projekt der Forschung und Entwicklung der BFH mit drei Schweizer Fensterherstellern und einem Chemieunternehmen. Entwickelt wurde ein Verfahren zum Direktverkleben von Glas und Holz, «das unterdessen den Markt erobert». Das Projekt wurde von den industriellen Partnern und Innosuisse (vormals Kommission für Technologie und Innovation KTI) finanziert.

Bei aller Anwendungsorientierung ist es dem Dozenten Hurst ein grosses Anliegen, dass die Studierenden «als Forscher denken und die ganze Wertschöpfungskette oder Kaskadennutzung von Holz kennen – vom Baum im Wald über das Massivholz für Möbel und Bauten bis zu den Holzwerkstoffen wie Faser-, Spann- und Sperrholzplatten und zur energetischen Endnutzung». Bis ins fünfte Semester vermittelt das Studium viel Grundlagenwissen wie Mathematik, Chemie, Baustatik, Informatik oder Betriebswirtschaft. Holzingenieure sollen eng mit Maschinenkonstrukteuren, Architektinnen, Klebstoffherstellern sowie Spezialisten und Spezialistinnen aus weiteren «benachbarten Branchen» zusammenarbeiten können, sagt Hurst, denn: «Innovationen entstehen immer an den Schnittstellen der Disziplinen. Hier sind unsere Ingenieure tätig.»

Erfolgreiche Bildungsoffensive

Mit ihrem Ansatz des vernetzten, gleichzeitig wissenschaftlichen und praxisorientierten Denkens leistet die BHF seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zum Revival des Bau- und Werkstoffs Holz in der Schweiz. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Holz von Beton, Stahl und Kunststoff verdrängt und Holz-Know-how zu wenig weiterentwickelt worden. Die vom Kanton Bern gegründete und 1952 eröffnete Holzfachschule in Biel leitete die Wende ein. Ein grosser Schritt war die Einführung der Holzingenieur- HTL-Ausbildung 1986 (Bachelorstudiengang seit 2008). Die Absolventen und Absolventinnen haben heute die Möglichkeit, im Anschluss daran den Master of Science in Wood Technology zu erwerben, der sie für die Bewältigung komplexer und internationaler Projekte oder die Promotion an einer Universität qualifiziert

Dieser europaweit einzigartige Studiengang wird von der BFH zusammen mit der Partnerhochschule Rosenheim in Deutschland angeboten. Parallel dazu wurde aber auch die berufliche Fortbildung weiterentwickelt. Aus den einstigen Vorbereitungskursen für die Meisterprüfung entstand die Höhere Fachschule Holz, die seit 1996 der BFH angegliedert ist. Davon profitiert auch die BFH durch ein besser vernetztes Lehr- und Forschungsangebot.

Vom Labor in die Wirtschaft

Musste der Kauf einer computergesteuerten Maschine 1980 aus Budgetgründen noch um mehrere Jahre verschoben werden, investiert die BFH heute jährlich mehrere 100 000 Franken in ihren Technologiepark und die Labors. Möglich ist das nur dank der Partnerschaft mit der Maschinenindustrie und der Kooperation mit der Wirtschaft. In grossen Hallen stehen lange Reihen von Prüfeinrichtungen, Klimakammern, Laborgeräten sowie anderen Bearbeitungsgeräten und Pilotanlagen. Hier tüfteln Studierende etwa an neuartigen Pulverlackbeschichtungen oder erforschen die Möglichkeiten der Verklebung von Laubholz für strukturelle Anwendungen. Wer die BFH als Holzingenieur verlässt, hat alle Voraussetzungen, um der Erfolgsgeschichte des Bau- und Werkstoffs Holz ein weiteres Kapitel anzufügen und selber ein erfolgreicher Unternehmer zu werden.

Andreas Hurst kennt viele Beispiele: «Einer unserer ersten Holzingenieur-Absolventen entwickelte in der Ostschweiz Maschinen zur Herstellung von Massivholzwänden.» Mit Letzteren werden heute im Emmental und im Napf Truber-Holz-Häuser konstruiert.

Innovatives Holz-Theater

Auch im universitären Bereich ist der Bau- und Werkstoff Holz in den vergangenen Jahrzehnten zum Gegenstand intensiver Grundlagenforschung geworden. Diese leistet wichtige Beiträge zur Entwicklung von Materialien und Konstruktionsmethoden für neuartige Holzanwendungen. Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) etwa gehört mit ihrem Institut für Holzbau (IBOIS) zu den Wegbereitern für den Baustoff Holz in der zeitgenössischen Architektur.

Eine Spezialität des von Yves Weinand seit 2004 geleiteten Instituts sind gefaltete Flächentragwerke aus Holz von hoher Festigkeit und aussergewöhnlicher Ästhetik. Das im Herbst 2017 eröffnete Theâtre de Vidy in Lausanne ist die bisher spektakulärste Umsetzung. Die Konstruktion kommt nur mit Holz- Holz-Verbindungen aus; es gibt keine metallischen Elemente. Mit dem Theâtre de Vidy zeigt das IBOIS anschaulich das Potenzial von digital gestützten Fertigungsprozessen für hochfeste Holzbauten, die Form, Funktion und Nachhaltigkeit auf neuartige Weise vereinen. Das Projekt wurde aufgrund seiner Innovationskraft vom Aktionsplan Holz des BAFU mitunterstützt.

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Letzte Änderung 16.05.2018

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