Angesichts des Klimawandels und knapper werdender Ressourcen erlebt der CO2-neutrale und nachwachsende Bau- und Werkstoff sowie Energieträger Holz ein fulminantes Comeback. «die umwelt» stellt vier zukunftsträchtige Forschungsprojekte vor.
Text: Gregor Klaus
Es gab eine Zeit vor Plastik, Beton und Metall. Für fast alle Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs fanden sich seit jeher die passenden Materialien im Wald: Aus elastischem und dennoch hartem Eschenholz wurden Wagenräder gefertigt, aus verwitterungsresistentem Lärchenholz Fassaden und Dächer; aus zähem Hagebuchenholz entstanden die Kämme von Antriebsrädern, aus dauerhaftem Föhrenholz Wasserleitungen und aus dem gut zu bearbeitenden Holz des Spitzahorns Eimer, Butterfässer und andere Behälter.
Holz steht für Zukunft
Kein anderes Material ist derart vielseitig einsetzbar wie Holz. In der vorindustriellen Zeit war es eine Schlüsselressource, weshalb diese Epoche auch als «hölzernes Zeitalter» charakterisiert wird. Die Bedeutung von Holz für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Holz steht für Nachhaltigkeit – und damit für Zukunft. Wie früher wird es auch heute für Bau- und Konstruktionszwecke und zur Energiegewinnung verwendet, jedoch auf ganz anderem Niveau als im letzten Jahrtausend. Deutlich verbesserte Holzwerkstoffe und weiterentwickelte Konstruktionshölzer mit verlässlichen, planbaren Eigenschaften haben das Spektrum für die Anwendungen von Holz – sowohl von Nadel- als auch von Laubbäumen – entscheidend erweitert. Zusätzlich hat der Einsatz von Computern (Digitalisierung) beim Entwurfsprozess und bei der Verarbeitung der Werkstoffe neue technische und gestalterische Möglichkeiten eröffnet.
Vier Leuchtturmprojekte
Viele Innovationen der letzten Jahre wurden vom Bund unterstützt oder angestossen. Zentral sind der Aktionsplan Holz, der Wald- und Holzforschungsfonds und die Umwelttechnologieförderung unter der Leitung des BAFU sowie Innosuisse (vormals Kommission für Technologie und Innovation KTI). Zwischen 2010 und 2017 waren im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Ressource Holz» (NFP 66) zudem über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 30 Nationen den Geheimnissen des Holzes auf der Spur.
Sie kommen in ihrem Synthesebericht zum Schluss, dass Holz dank der vielseitigen Einsetzbarkeit das Potenzial hat, für die Schweiz «das Erdöl des 21. Jahrhunderts zu werden». Die Forschungsresultate zeigen, dass sich der Einsatz von Holz im Bau und bei der Bereitstellung von Energie weiter ausbauen lässt. Dank den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten könne Holz zum «Innovationstreiber » werden und der Schweizer Wirtschaft mit ihrem hoch entwickelten Know-how in den Bereichen Chemie, Werkstoffe, Bauwesen und Anlagenbau neue Impulse geben, so die Forschenden.
Supermaterialien aus Holz
Die Bedeutung technisch nutzbarer Holzfasern im Hochtechnologiebereich nimmt seit Jahren zu. Besonders gross ist das Anwendungspotenzial der nanofibrillierten Zellulose. Das unscheinbare, je nach Wassergehalt breiartige oder krümelige weisse Material besteht aus Holzfibrillen, die als kleinste Bestandteile aus Holzfasern gewonnen werden und ein dreidimensionales Netzwerk bilden. Dieses verfügt über Kombinationen aussergewöhnlicher und wertvoller Eigenschaften: beispielsweise über eine hohe Reissfestigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht, was den Einsatz des Materials als Verstärkungskomponente in allerlei Verbundstoffen ermöglicht. Denkbar sind Anwendungen in der Bauindustrie, beim Engineering und sogar im medizinischen Bereich. Im Zuge des NFP 66 «Ressource Holz» konnten grundlegende Erkenntnisse zur Herstellung und zur Anwendung der Nanofibrillen gemacht werden.
Noch lässt sich der umweltfreundliche Wunderwerkstoff allerdings erst in kleinen Mengen herstellen. Die Schweiz könnte aber schon bald nicht nur im Bereich Forschung eine Vorreiterrolle übernehmen, sondern auch bei der Produktion und damit bei der Einführung des Materials in der Industrie. Weidmann Fiber Technology betreibt seit 2017 in Rapperswil (SG) eine Anlage für die Fibrillenproduktion, in der industriell relevante Mengen hergestellt werden.
Mit Laubholz in neue Dimensionen
Von den 535 Millionen Bäumen, die in den Schweizer Wäldern stehen, sind fast 100 Millionen Buchen. Damit ist die Buche bei uns die häufigste Laubbaumart und nach der Fichte die zweithäufigste Baumart insgesamt. Weil die Buche von Natur aus unsere Wälder dominieren würde, nimmt ihr Anteil aufgrund des naturnahen Waldbaus, aber auch aufgrund der Klimaerwärmung laufend zu. Allerdings sind nur wenige Sägereien darauf eingerichtet, das harte Holz zu verarbeiten. Die Buche landet deshalb vor allem in Cheminées und Schnitzelheizungen.
Im Holzbau kommen vorwiegend Nadelhölzer zum Einsatz. Bei grösseren und statisch anspruchsvollen Bauten könnte die Buche jedoch ihre Vorteile ausspielen und Elemente aus Stahl und Stahlbeton ersetzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben daher in den letzten Jahren nach Möglichkeiten gesucht, diese nicht nachhaltigen Baumaterialien durch Werkstoffe aus Buche und auch Esche zu ersetzen – mit Erfolg.
Bereits auf dem Markt erhältlich ist Buchenholz aus verklebten dünnen Furnieren, das sehr gute mechanische Eigenschaften aufweist. Im Rahmen des NFP 66 «Ressource Holz» wurden mittlerweile Fachwerke und Holz-Beton-Verbunddecken mit Buchenfurnierschichtholz entwickelt und im «House of Natural Resources» der ETH Zürich erstmals in der Praxis eingesetzt. Das zuverlässige und robuste Tragwerk zeigt die Vorzüge von Hartholz und erschliesst völlig neue Möglichkeiten der Holzarchitektur.
Innovationen im Praxistest
Holz wird als vielseitiger Bau- und Werkstoff in Zukunft immer mehr Funktionen übernehmen, was schon bald die Anwendung des Naturstoffes in fast allen Lebensbereichen ermöglichen könnte. Spezielle Anstrichsysteme mit funktionalisierter mikrofibrillierter Zellulose als Additiv lassen etwa Hausfassaden nicht ergrauen. Mit Kalk mineralisierte Holztüren schützen noch besser vor Feuer, und auf Türklinken mit einer speziellen Holzoberfläche werden Keime abgetötet. Zellulose in Silikonen dient als natürliches Verdickungsmittel, Holz mit eingebrachten Eisenoxidpartikeln bildet eine magnetische Pinnwand. Und Lavabos und Duschwannen lassen sich dank neuen Behandlungsmethoden aus Holz fertigen.
Um den visionären Umgang mit Holz sichtbar zu machen und den Innovationsprozess zu beschleunigen, unterzieht die Wissenschaft viele zukunftsweisende Lösungen für ökologisches Bauen und modernes Design einem Praxistest. In der Wohneinheit «Vision Wood», die mit Schweizer Buchenbrettsperrholz gebaut wurde und Teil des Forschungs- und Innovationsgebäudes (NEST) der Empa und der Eawag ist, testen die Bewohnerinnen und Bewohner die Neuheiten aus dem Zukunftsmaterial Holz unter realen Bedingungen. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und öffentlicher Hand entwickeln die forschenden die Produkte bis zur Marktreife laufend weiter.
Sicher und komfortabel wohnen
Ein Holzhaus fängt schnell Feuer, oder es ist ein riesiger Resonanzkörper, in dem jeder Schritt zum Paukenschlag werden kann – diese beiden gängigen Vorurteile beim Bauen mit Holz halten sich hartnäckig. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dafür die Brennbarkeit von Holz nicht das massgebende Kriterium ist; vielmehr beeinflusst vor allem die brandschutztechnisch korrekte Ausführung einer Konstruktion das Brandverhalten. Bei robusten Tragkonstruktionen wird Holz als brandhemmend eingestuft. Grund dafür ist die geringe Wärmeleitfähigkeit und die hitzeisolierende Kohleschicht, die bei einem Feuer wie eine Schutzhülle um das Holz entsteht.
Zahlreiche Innovationen (etwa Holz in Verbindung mit mineralischen Werkstoffen oder brandschutztechnisch optimierte Holz-Aussenwandbekleidungen) haben zudem dazu geführt, dass die Bestimmungen des Brandschutzes problemlos eingehalten werden. Seit 2015 erlauben die Schweizer Brandschutzvorschriften die Anwendung von Holz in allen Gebäudekategorien und Nutzungen. Aktuell entsteht auf dem Suurstoffi-Areal in Risch-Rotkreuz im Kanton Zug das erste Holz-Hochhaus der Schweiz. Unter der Leitung von Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, wird im Rahmen des Projekts «Schallschutz im Holzbau» das Verbesserungspotenzial bezüglich Lärm untersucht. Dies ist vor allem bei mehrstöckigen Gebäuden und Mehrfamilienhäusern wichtig. Ziel ist es, mit innovativen Holzkonstruktionen die Bewohnenden effizient vor unerwünschten Lärmeinwirkungen zu schützen.
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Letzte Änderung 16.05.2018