Waldwirtschaft: «Wer Schweizer Holz kauft, erhält mehr für sein Geld»

Felix Lüscher, Bereichsleiter Wald der Oberallmeindkorporation Schwyz (OAK), und Markus Brunner, Direktor von WaldSchweiz, über den Mehrwert von Schweizer Holz und die Verantwortung der Gesellschaft.

Gespräch: Gregor Klaus 

Holzexperten Markus Brunner (Direktor WaldSchweiz) und Felix Lüscher (Stv. Geschäftsführer Forstbetrieb der Oberallmeindkorporation Schwyz OAK)
Markus Brunner (links) und Felix Lüscher sind sich einig, dass wichtige Waldleistungen wie der Schutz vor Naturgefahren nur gewährleistet sind, wenn Konsumentinnen und Konsumenten Schweizer Holz kaufen.
© Kilian Kessler | Ex-Press | BAFU

Herr Lüscher, die Oberallmeindkorporation Schwyz (OAK) wirbt damit, dass ihre Waldungen «grosse Leistungen zum Nutzen von verschiedenen Interessengruppen» erbringen. Produzieren Sie Wald oder Holz?
Felix Lüscher: Wir bewirtschaften Wald. Das bedeutet, dass wir einerseits Holz ernten und Holzprodukte erzeugen, andererseits aber auch Leistungen erbringen wie den Schutz vor Steinschlag und Lawinen, das Schaffen schöner Waldbilder und Erholungsgebiete, begehbarer Waldwege und von Biodiversität.

Werden Ihnen diese Zusatzleistungen von der Gesellschaft abgegolten?
Lüscher: Nur sehr unvollständig. Für Massnahmen zugunsten der Biodiversität und im Schutzwald erhalten wir Beiträge von Bund und Kanton, welche so bemessen sind, dass unsere Kosten knapp gedeckt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die OAK als Waldeigentümerin zwei Drittel dieser Kosten mit dem Verkauf des anfallenden Holzes selbst finanziert. Doch kein Geschäft kann langfristig überleben, wenn es nur kostendeckend arbeitet. Es ist irgendwie absurd, dass wir bei diesen Waldfunktionen keinen Gewinn machen dürfen. Alle anderen Nicht-Holz-Waldleistungen werden mit ganz wenigen Ausnahmen gar nicht abgegolten.

Infografik «Schweizer Wald»
Infografik «Schweizer Wald»
© BAFU

Wichtige Waldleistungen wie der Schutz vor Naturgefahren sind also nur gewährleistet, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten Schweizer Holz kaufen?
Markus Brunner: So ist es. Wer Schweizer Holz kauft, erhält grundsätzlich mehr für sein Geld – direkt und indirekt. Einheimisches Holz ist nicht nur eine Ansammlung von Zellulose, Lignin und anderen chemischen Verbindungen. Es garantiert Waldleistungen, verhindert schlechte Waldwirtschaft anderswo auf der Welt, ist «Holz der kurzen Wege» und stärkt lokale Wirtschaftskreisläufe. Zudem  erzeugen diverse Holzverarbeiter in der Schweiz aus einheimischen Bäumen qualitativ hochwertige Halb- und Fertigfabrikate, die ihren Preis wert sind – Swiss Finish in sprichwörtlicher Schweizer Präzision.

Lüscher: Schweizer Holz wird sauber und nachhaltig produziert. Der Verkauf ermöglicht uns, den Wald so zu bewirtschaften, dass er allen gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.

Die Realität sieht aber anders aus: Es wird immer weniger Holz geschlagen, während die Holzimporte steigen. Ein jüngstes Beispiel: Hoteliers in Zermatt kaufen Brennholz aus dem Ausland statt aus heimischen Wäldern.
Brunner: Irgendwann kommen dort dann halt keine Touristen mehr, weil die Waldwege nicht unterhalten und somit unbegehbar werden oder weil wegen des instabil gewordenen Schutzwaldes die Naturgefahren zunehmen. Noch schlimmer finde ich es allerdings, wenn Waldbesitzer das eigene Holz nicht verwenden. Kürzlich hat eine grosse Burgergemeinde in eine Überbauung investiert. Baumaterial war aber nicht Holz, sondern Backstein, Beton und Stahl.
Lüscher: Es hat den Anschein, dass man alles fordern kann, aber kosten darf es nichts. Für die Gesellschaft ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Wald da ist und so bewirtschaftet wird, dass er alle Anforderungen befriedigt. Es ist sehr schwierig, den Leuten aufzuzeigen, dass sie mit dem Kauf von vielleicht etwas teurerem Schweizer Holz die Erbringung der Leistungen des Waldes unterstützen.
Brunner: Die Wald- und Holzwirtschaft ist vollständig dem freien Markt ausgesetzt. Das geht immer wieder vergessen. Im Gegensatz zur Landwirtschaft gibt es keinen Grenzschutz für Holz und auch keine Direktzahlungen wie Flächenbeiträge. Umso wichtiger ist es, dass die Konsumentinnen und Konsumenten Schweizer Holz nachfragen und kaufen. Oder die Nicht-Holz-Leistungen im Wald abgelten beziehungsweise als marktfähige Produkte nachfragen und bezahlen. Wir würden zum Beispiel gerne das Stehenlassen von alten Bäumen als Leistung vermarkten. Die Tendenz geht aber dahin, dass gewisse Kreise danach streben, solche Massnahmen per Gesetz von uns einzufordern – und zwar ohne Entschädigung. Da wehren wir uns als Waldeigentümer logischerweise dagegen.

Holzwirtschaft im Wald
In der Schweiz bietet die Wald- und Holzwirtschaft über 80 000 Arbeitsstellen.
© Felix Lüscher

Würde eine intensivere Holznutzung gewisse Waldfunktionen wie die Biodiversität und das Waldbild negativ beeinflussen?
Brunner: Nein. Die stärkere Nutzung von Schweizer Holz führt keineswegs zu einer «Plünderung» des Waldes – ganz im Gegenteil, wie ja eine Untersuchung des BAFU gezeigt hat. Man kann mit sehr gutem Gewissen mehr Schweizer Holz kaufen. Ein auf clevere Weise intensiv genutzter Wald bietet beispielsweise eine hohe Biodiversität und hat auch Platz für einen gewissen Anteil alter Bäume.
Lüscher: Wenn die Ökonomie stärker gewichtet wird, stossen wir schnell an die Grenzen der gesellschaftlichen Erwartungen und der Auslegung des Waldgesetzes. Der Holzpreis ist tief, und mit der Aufhebung der Eurostützung 2015 verlor das Schweizer Holz über 10 Prozent seines Wertes. Wir können unseren Wald aber nicht ins Ausland verlagern wie eine Industrieproduktion. Er steht nun mal in der Schweiz, und er lässt sich nur hier nutzen. Ist die Nutzung defizitär, wird die Produktion zurückgefahren – was ja eigentlich absurd ist, denn die Schweiz könnte in Bezug auf Holzprodukte autark sein. Das Ziel der Waldpolitik 2020 des Bundesrates lautet: «Das nachhaltig nutzbare Holznutzungspotenzial wird ausgeschöpft.» Wenn das erreicht werden soll, braucht es markante Veränderungen.
Brunner: Vergessen wir das Geringfügigkeitsproblem nicht: Nur noch wenige Waldbesitzerinnen und -besitzer in der Schweiz sind finanziell darauf angewiesen, in ihrem Wald Holz zu ernten. Wir haben zudem in der Waldwirtschaft ein strukturelles Problem: Es gibt rund 240 000 private und 3000 öffentliche Waldbesitzer, was die effiziente und systematische Bewirtschaftung des Waldes erschwert. Dadurch leidet die Pflege und Verjüngung des Waldes. Die Waldeigentümer müssen daher anders motiviert werden.

Wäre es eine Möglichkeit, eine Bewirtschaftungspflicht einzuführen?
Lüscher: Das wäre für die Schweiz ein zu starker Eingriff in das Eigentumsrecht. Zudem würde der Holzpreis weiter sinken, wenn wir Holz zusätzlich auf den Markt werfen. Die Holzkette vom Waldbesitzer über die Sägerei und die Weiterverarbeitung bis zum Endverbraucher muss vom Konsumenten «gezogen» werden. Eine Kette lässt sich nicht «schieben».

Infografik «Holzverbrauch in der Schweiz»
Grafik «Holzverbrauch in der Schweiz»
© BAFU

Eine verfahrene Situation! Wie lässt sich die Nachfrage nach Schweizer Holz steigern?
Brunner: Die Kommunikation muss verstärkt werden. Entscheidungsträgern wie Bauherren und Architekten ist beispielsweise meist gar nicht bewusst, dass das verwendete Holz nicht aus ihrer Region stammt. Sie müssen so sensibilisiert werden, dass sie explizit Holz aus Schweizer Wäldern verlangen. Sehr gut sind langfristige Kampagnen wie WOODVETIA (siehe S. 37), und wir müssen das erkunftszeichen «Schweizer Holz» als Daueraufgabe propagieren – Tag für Tag, Jahr für Jahr. Es gilt, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und für Kostenwahrheit zu sorgen. Generalunternehmer sagen mir immer wieder: Importe kommen oft als Fixware und benötigen Zusatzleistungen. Werden diese abgezogen, sind die einheimischen, genau nach Kundenwunsch ausgelieferten Produkte oft sogar günstiger. Zudem brauchen wir eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen den Waldeigentümern. Nur so können sie bei einer steigenden Nachfrage nach Holz die richtige Menge zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stellen. Die Verbände von WaldSchweiz haben dazu die Veranstaltungsreihe «Kooperationen in der Waldwirtschaft» durchgeführt. Theoretisch müsste ich bei jedem einzelnen Waldbesitzer vorbeigehen und das persönliche Gespräch suchen. Das ist Knochenarbeit.
Lüscher: Wir müssen den Mehrwert von Schweizer Holz deutlicher zeigen. Soll der Wald so bleiben, wie er ist, und soll er alle Funktionen weiterhin erfüllen können, müssen die Leute Schweizer Holz mit allen seinen grossartigen Vorteilen verwenden. Denn der Motor für die Waldbewirtschaftung ist und bleibt in den allermeisten Fällen die Holznutzung beziehungsweise der Holzerlös. Auch die Waldpflege muss weiterentwickelt werden. So wie bisher können wir langfristig nicht weitermachen. Wir müssen uns überlegen, wie der Waldbau gesellschaftlich noch akzeptabel ist und gleichzeitig ökonomisch rentiert und wie der Wald ökologisch trotz Klimawandel intakt bleibt. Dazu brauchen wir die Unterstützung der gesamten Gesellschaft: Sie muss Schweizer Holz verwenden und Nicht-Holz-Leistungen im Wald abgelten!

Die Holzexperten

Markus Brunner (49) ist seit 2013 Direktor von WaldSchweiz, dem nationalen Verband der Waldeigentümer, und führt dessen Geschäftsstelle in Solothurn. Er vertritt die Waldeigentümer in diversen Organisationen und Gremien (z. B. im Vorstand von Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Waldund Holzwirtschaft, im Vorstand der «Schweizer Holz Förderung» SHF, im Aktionsplan Holz, im Vorstand des Herkunftszeichens Schweizer Holz, in den beiden Foren Wald und Holz des BAFU, im Verein PEFC Schweiz, in Forschungsgremien und Projektgremien, in verschiedenen in- und ausländischen Partnerverbänden der Wald- und Holzwirtschaft).

Felix Lüscher (62) leitet seit 2001 den schweizweit grössten nicht staatlichen Forstbetrieb der Oberallmeindkorporation Schwyz (OAK) und ist Stellvertreter des Geschäftsführers der OAK. National ist er in verschiedenen Gremien (z. B. WaldSchweiz, Schweizerische Gebirgswaldpflegegruppe GWG) engagiert und nimmt diverse Mandate wahr (z. B. an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL). Vom BAFU und von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) wird er fallweise als Experte beigezogen.

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Letzte Änderung 06.07.2018

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