Für die 2012 gestartete Waldpolitik 2020 beginnt der Endspurt. Eine Zwischenbilanz zur ersten Etappe zeigt, wo der Nachholbedarf am grössten ist – bei der Holznutzung und Wirtschaftlichkeit – und wo bedeutende Fortschritte zu verzeichnen sind – beim Schutzwald und bei der Biodiversität.
Text: Oliver Graf

© Natalie Boo/BAFU
Mit der Waldpolitik 2020 legte der Bundesrat Ende 2011 die Richtung fest, in die sich der Wald im folgenden Jahrzehnt entwickeln sollte. Die erste, von 2012 bis 2015 dauernde Etappe ist unterdessen abgeschlossen. Eine Evaluation zeigt nun erstmals, wo Erfolge zu verzeichnen sind und wo noch grössere Defizite bestehen. Gestützt darauf hat das BAFU für die zweite, noch bis Ende 2019 dauernde Etappe zum Teil neue Prioritäten gesetzt.Der von der ETH Zürich und der Berner Fachhochschule erarbeitete Zwischenbericht zur Waldpolitik 2020 stützt sich unter anderem auf Gespräche mit Fachverantwortlichen des BAFU und auf eine Umfrage bei sämtlichen Kantonen sowie bei Vertreterinnen und Vertretern der Wald- und Holzwirtschaft, der Umweltverbände, der Wissenschaft sowie weiterer Organisationen und Institutionen. Damit wird die gesamte Wirkungskette der Waldpolitik 2020 durchleuchtet. Sie umfasst die vom Bund vorgegebenen elf Ziele und die vom Bund selbst umgesetzten Massnahmen, beispielsweise die Bereitstellung von Datengrundlagen und Studien, die Unterstützung von Pilotprojekten, die Sensibilisierung der Bevölkerung oder das Schaffen gesetzlicher Rahmenbedingungen. Für viele Massnahmen ist der Bund jedoch auf Partner angewiesen – in erster Linie sind dies die Kantone, in einigen Fällen arbeitet das BAFU aber auch direkt mit Verbänden und weiteren Akteuren zusammen.
Nachholbedarf bei Holznutzung und Wirtschaftlichkeit
Der Zwischenbericht stellt fest: Die Umsetzung der Waldpolitik 2020 ist für sieben von elf Zielen mehrheitlich auf Kurs. Bei zwei Zielen ortet die Untersuchung hingegen Nachholbedarf. Sowohl beim Ausschöpfen des Holznutzungspotenzials als auch bei der Wirtschaftlichkeit der Waldwirtschaft ist man gegenüber den angestrebten Sollgrössen im Rückstand. «Die externe Evaluation deckt sich mit unserem Eindruck aus den Gesprächen mit den Akteuren», fasst Rolf Manser, Chef der Abteilung Wald beim BAFU, die Ergebnisse zusammen. Auch Ueli Meier, Vorsteher des Amtes für Wald beider Basel und Präsident der Konferenz der Kantonsförster, ist wenig überrascht: «Es ist normal, dass es in einigen Bereichen besser läuft als in anderen.» Gleichzeitig räumt Meier allerdings ein, dass es sich um die Zielvorgaben des Bundes handle, und präzisiert: «Für die Kantone können jeweils eigene Themen im Vordergrund stehen.»
Die erste der beiden kritisch beurteilten Stossrichtungen hat zum Ziel, das Potenzial von nachhaltig nutzbarem Holz besser auszuschöpfen. In Schweizer Wäldern wachsen Jahr für Jahr knapp 10 Millionen Kubikmeter Holz. Zieht man das Holz ab, das technisch nicht verwertbar ist, das als Totholz der Biodiversität dient oder das wegen seiner unzugänglichen Lage nicht rationell geerntet werden kann, verbleibt ein nachhaltig nutzbares Potenzial von 8,2 Millionen Kubikmetern. Tatsächlich geerntet wurden in den letzten zwei Jahrzehnten aber im Schnitt nur gerade rund 75 Prozent davon. Das Holznutzungspotenzial der Schweiz wird schlecht ausgeschöpft.
Entscheidende Faktoren für dieses Defizit sind die anhaltend tiefen Holzpreise sowie die teilweise noch zu hohen Holzerntekosten. Die Situation verschärfte sich zusätzlich, als die Nationalbank im Januar 2015 den Mindestkurs für den Schweizer Franken freigab und die Holzimporte aus dem Ausland nochmals billiger wurden. Doch die bescheidene Holzernte hat auch hausgemachte Gründe, die mit den kleinteiligen Besitzstrukturen zusammenhängen: In der Schweiz gehören 73 Prozent des Waldes rund 3000 verschiedenen Gemeinwesen der öffentlichen Hand. Der Rest verteilt sich auf ungefähr 200 000 private Waldeigentümerinnen und -eigentümer. Ihnen gehört im Mittel gerade mal eine Fläche von 1,4 Hektaren. Für viele von ihnen ist die Waldbewirtschaftung deshalb nicht vorrangig, wie Markus Brunner, Direktor von WaldSchweiz, erläutert. «Der Umsatz der kleinen Privatwaldbesitzer bewegt sich in Grössenordnungen von vielleicht ein- bis zweitausend Franken im Jahr. Da ist eine rationelle Bewirtschaftung meist kein grosses Thema.»
Übermässige Holzvorräte als schlechtes Zeichen
Als Folge dieser Rahmenbedingungen steigen die Holzvorräte, insbesondere in den Voralpen und Alpen sowie auf der Alpensüdseite. Hohe Holzvorräte sind nicht immer ein gutes Zeichen. Etwa dann, wenn Schutzwälder zu dicht werden und deshalb die Verjüngung ausbleibt oder wenn sich ehemals lichte und orchideenreiche Waldbestände verdunkeln. Schliesslich ist ungenutztes Holz eine vertane Chance: «Holz ist ein hochwertiger Rohstoff, der Beton, Stahl oder andere energieintensive Baumaterialien ersetzen kann. Als Brennstoff hilft Holz zudem, klimaschädigende Öl- oder Gasheizungen zu reduzieren», so der BAFU-Experte Rolf Manser.
Während Holz bei Neubauten, Umbauten und Sanierungen tatsächlich eine Renaissance erlebt und auch der Anteil moderner Holzheizungen stetig zunimmt, verliert Schweizer Holz gegenüber der ausländischen Konkurrenz immer mehr an Boden. Dabei verfügt einheimisches Holz über zahlreiche Vorzüge. «Schweizer Holz wird naturnah produziert. Es gelangt ohne weite Transporte zu uns, und es schafft wertvolle Arbeitsplätze, die hohe soziale Standards erfüllen», fasst Manser zusammen. Diese Pluspunkte werden auch von der Anfang 2017 gestarteten Kampagne «Woodvetia» vermittelt (siehe umwelt 1/2017).
Kooperation der Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer gefragt
Die zweite Stossrichtung der Waldpolitik 2020, bei der die Evaluation grösseren Nachholbedarf aufgezeigt hat, zielt darauf ab, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Waldwirtschaft zu verbessern. «Der Bund möchte die Waldbesitzenden und die Forstbetriebsleitenden in den kommenden Jahren verstärkt dabei unterstützen, betriebswirtschaftliche Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung zu stärken», führt Alfred Kammerhofer, Chef der Sektion Holzwirtschaft und Waldwirtschaft beim BAFU, aus. Für Markus Brunner, Direktor des Verbandes der Waldeigentümer WaldSchweiz, geht das genau in die richtige Richtung: «Trotz einem generell hohen Lohnkostenanteil haben wir bei der Holzproduktion auf der Kostenseite sicher noch Potenzial. Wir möchten die Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer deshalb motivieren, sich zusammenzuschliessen oder grössere Forstbetriebe mit der Bewirtschaftung ihres Waldes zu beauftragen». Mit Unterstützung des BAFU hat WaldSchweiz denn auch bereits eine Veranstaltungsreihe gestartet, an der sich Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer über die Möglichkeiten von Kooperationen informieren können. «Unser Verband setzt auf Sensibilisierung und Information, wir können niemanden zwingen», erklärt Brunner das Vorgehen.
Das Ziel der Waldpolitik 2020, wonach 90 Prozent der Forstbetriebe Gewinne erwirtschaften sollten, liegt allerdings noch in weiter Ferne – bei der letzten Erhebung von 2013 schrieben nur gerade zwei von fünf Betrieben schwarze Zahlen, und das wirtschaftliche Umfeld hat sich seither noch verschlechtert. Allerdings ist die Betriebsrechnung nicht die einzige Grösse, um die Leistungsfähigkeit der Waldwirtschaft zu messen, wie Ueli Meier, der Präsident der Konferenz der Kantonsförster, ausführt: «Ist die Waldwirtschaft nicht gerade dann leistungsfähig, wenn sie in der Lage ist, die Holzernte, die Schutzwaldpflege, den Unterhalt der Erholungswälder sowie die Erhaltung der Biodiversität zu erfüllen? Wenn die öffentliche Hand bereit ist, diese Kosten zu tragen, dann ist ein negatives Betriebsereignis zwar finanziell ein Verlust, für die Gesellschaft ist das aber kein Defizit – ganz im Gegenteil!»

© Natalie Boo/BAFU
Schutzwaldpflege im ältesten Bannwald der Schweiz
Entscheidend dafür, dass die vielfältigen Funktionen der Wälder erhalten bleiben, sind nicht zuletzt die Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen. Sie stellen ein zentrales Instrument der Waldpolitik 2020 dar. Jeweils für eine Vierjahresperiode legen die Vertragspartner darin fest, welche Ziele die Kantone mit den Bundesgeldern erreichen sollen. Es gibt je eigene Programme für die Waldbewirtschaftung, den Schutzwald und die Biodiversität. Während die Zielerreichung bei der Waldbewirtschaftung wie oben erörtert hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, ist die Zwischenbilanz in den anderen beiden Bereichen erfreulich.
Die Erfolge bei der Pflege von Schutzwäldern lassen sich zum Beispiel oberhalb von Altdorf (UR) beobachten, im ältesten Bannwald der Schweiz. Er wurde bereits 1387 erstmals urkundlich erwähnt und schützt den Urner Kantonshauptort in erster Linie vor Steinschlag, hält aber auch Rutschungen, Lawinen und Murgänge fern. «Gebannt» – und damit verboten – ist im Bannwald das Fällen von Bäumen durch Einzelpersonen. Traditionell blieben gemeinschaftliche Eingriffe aber in verschiedenen Bereichen dennoch möglich. Bis in die 1980er-Jahre war diese Art der Nutzung allerdings fast vollständig zum Erliegen gekommen. In der Folge wies ein grosser Teil der Bestände ein einheitliches Alter und einen gleichförmigen Wuchs auf. Der Schutz durch die weit auseinanderstehenden Stämme war geschwächt, und unter dem dichten Kronendach blieb die Verjüngung aus, weshalb flächige Zusammenbrüche befürchtet wurden.
Der Schutzwald muss kontinuierlich gepflegt werden
In der Schweiz setzte sich nach und nach die Erkenntnis durch, dass eine gute Schutzwaldleistung sachkundigen Unterhalt benötigt. 1992 wurde Göran Gfeller Revierförster von Altdorf-Flüelen-Sisikon. Das erste sogenannte Waldbauprojekt hatte wenige Jahre vor seiner Amtseinsetzung begonnen, mit dem Ziel, den Wald zu verjüngen. Mittlerweile ist Gfeller bereits für das dritte Schutzwaldpflegeprojekt zuständig. Die Pflege des Altdorfer Bannwalds wird im Rahmen der Programmvereinbarungen zwischen BAFU und Kanton Uri durchgeführt und leistet einen ganz konkreten Beitrag zur Umsetzung der Waldpolitik 2020.
Göran Gfeller freut sich, dass er in einigen Beständen bereits sogenannte Zweiteingriffe realisieren kann. «Die Holzqualitäten sind schon viel besser, und wir müssen weniger unverwertbares Material abführen.» In finanzieller Hinsicht aber ist Gfeller weniger optimistisch. Während sich die Höhe der öffentlichen Unterstützungsbeiträge seit fast 30 Jahren nicht verändert habe, seien Löhne und Maschinenkosten gestiegen und die Holzpreise gesunken. «Wenn unsere Gesellschaft vom Wald weiterhin einen guten Schutz erwartet, werden die Kosten in Zukunft bestimmt nicht kleiner», gibt der Revierförster zu bedenken.
Schweizweit betrachtet, konnten in der Periode 2012–2015 jährlich rund 9200 Hektaren Schutzwald gepflegt werden. Dies entspricht 1,6 Prozent des Schutzwaldes. Hinzu kommt noch eine unbekannte Anzahl Forstschutzeingriffe, welche den Schutzwald positiv beeinflussten. Das angestrebte Ziel von jährlich 2 bis 3 Prozent wurde damit beinahe erreicht.
Wie sich die Waldpolitik 2020 auf die Biodiversität auswirkt, lässt sich unterhalb der Staumauer von Rossens (FR) besichtigen, wo die Saane in engen Schlaufen Richtung Freiburg fliesst. Der Wald entlang der Ufer und an den steilen Hängen, die bis zum Plateau hinaufreichen, ist wild, kaum erschlossen und reich an Biodiversität. Neben zahlreichen seltenen Pflanzengesellschaften wie dem Schachtelhalm-Grauerlenwald kommen hier zehn verschiedene Amphibienarten vor sowie Fledermäuse wie das Grosse Mausohr und gefährdete Vogelarten wie der Wespenbussard, der Grauspecht oder der Waldlaubsänger.
Seit 2015 ist dieser rund 100 Hektaren grosse Wald auf dem Gebiet der Freiburger Gemeinden Arconciel, Rossens und Treyvaux ein Waldreservat. «Die Voraussetzungen waren ideal», erklärt der kantonale Forstingenieur Frédéric Schneider. Da der Wald an vielen Orten steil und unzugänglich ist, wurde er schon seit längerer Zeit kaum mehr genutzt und weist ein hohes Naturpotenzial auf. In einem generellen Massnahmenplan für das gesamte Gebiet hatte der Kanton Freiburg die Einrichtung eines Reservats vorgeschlagen. «Wir haben das Projekt den Waldeigentümern an einer Infoveranstaltung vorgestellt», so Schneider.
Während die Gemeinden den Plan von Anfang an unterstützten, brauchte es bei den meisten der rund zwanzig privaten Waldeigentümer eine gewisse Überzeugungsarbeit: «Der Revierförster war mit jedem einzelnen vor Ort und hat das Projekt erklärt. Wir sind auch auf spezielle Bedürfnisse eingegangen und haben zum Beispiel einen schmalen Waldstreifen vom Reservat ausgenommen, sodass dort weiterhin Brennholz für den Eigenbedarf geschlagen werden kann», erklärt Schneider. Zuletzt liessen sich nur drei Personen nicht vom Reservatprojekt überzeugen. Ihr Abseitsstehen hat das Vorhaben aber nicht gefährdet, da sie nur kleine Flächen besitzen.
Claudine Winter, die beim BAFU für die Waldbiodiversität zuständig ist, freut sich besonders über diesen Erfolg, denn grosse Reservate gibt es vor allem im Mittelland noch zu wenige. «Doch wir sind auf Kurs», beteuert sie, «und ich bin zuversichtlich, dass wir gesamtschweizerisch dem Ziel der Waldpolitik 2020 nahekommen werden.»
Auch künftig breite Abstützung in der Waldpolitik nötig
Zurück zur Zwischenbilanz. Die zweite, bis 2019 dauernde Etappe der Waldpolitik 2020 nähert sich mit raschen Schritten ihrem Ende. Weiterhin gültig bleibt dagegen die Vision, die der Bundesrat 2011 formuliert hat. An erster Stelle steht dort der Auftrag, den Schweizer Wald so zu bewirtschaften, dass er seine Funktionen und Leistungen nachhaltig und gleichwertig erfüllen kann. «Auch die zukünftige Waldpolitik wird sich an dieser Anforderung messen müssen», führt Rolf Manser vom BAFU aus. «Genau wie damals wird auch in Zukunft wieder die breite Abstützung bei allen relevanten Akteuren wichtig sein. Als Bund haben wir die Aufgabe, vorauszugehen und Schwerpunkte zu setzen. Ohne unsere Partner werden wir jedoch nichts bewegen.»
Weiterführende Informationen
Links
Dokumente
Zwischenbericht 2016 zur Waldpolitik 2020 (PDF, 10 MB, 01.06.2017)Im Auftrag des BAFU
Letzte Änderung 29.11.2017