Grundwasserschutz: Trügerische Sicherheit im Wasserschloss

Grundwasser – unsere wichtigste Trinkwasserressource – ist zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt. Wo Städte und Dörfer ungebremst wachsen, geraten die Grundwasserschutzzonen unter Druck. Die Nutzungskonflikte im Bereich der Trinkwasserfassungen verschärfen sich.

Text: Lukas Denzler 

Die Grundwasserschutzzonen (S1 bis S3) dienen dazu, Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird, vor Verschmutzung zu schützen. Solche Zonen müssen um alle Grundwasserfassungen ausgeschieden werden, die im öffentlichen Interesse liegen. Aktivitäten sind darin nur beschränkt möglich; von innen nach aussen gelten immer weniger strenge Vorschriften.

Im Jahr 2012 ging in Brugg (AG) ein neues Grundwasserpumpwerk in Betrieb. Es ersetzte ältere Wasserfassungen, die den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr genügten. Eines der Pumpwerke lag mitten im Siedlungsgebiet nahe dem Zentrum und direkt an der Bahnlinie; ein anderes im Überschwemmungsgebiet der Aare. Die Suche nach einem neuen Standort sei ein langwieriger Prozess gewesen, sagt Philippe ­Ramuz, Leiter Netz-Dienstleistungen bei den örtlichen Versorgungsbetrieben der IBB Energie AG. Schliesslich habe man sich mit dem Kanton Aargau auf eine Stelle zwischen Brugg und Bad Schinznach geeinigt. Die neue Wasserfassung «Badschachen» liegt jedoch in einem kantonalen Auenschutzgebiet. Bei Hochwasser kann das Pumpwerk überschwemmt werden, was dessen Betrieb aber nicht beeinträchtigt, weil es hermetisch dicht gebaut ist. Bei Brugg münden Reuss und Limmat in die Aare. Die Stelle heisst bezeichnenderweise Wasserschloss – ein Symbol für den Wasserreichtum des Aargaus, aber auch der Schweiz, gilt doch das Alpenland als Wasserschloss Europas. Doch deckt sich das Bild der unerschöpflichen Wasserressourcen mit der Realität?

Wachsender Druck auf Grundwasserfassungen

Der 2014 publizierte Bericht «Grundlagen der Wasserversorgung 2025» des BAFU beleuchtet die Herausforderungen und Risiken der Bewirtschaftung der Trinkwasserressourcen in der Schweiz. Die Autoren berichten von zunehmenden Nutzungskonflikten im Bereich der Wasserfassungen. Zu den klassischen Konflikten mit der Landwirtschaft sowie Verkehrswegen oder Deponien kommen neue hinzu, in erster Linie die Ausdehnung der Siedlungen. Brugg ist mitnichten ein Einzelfall. Der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) etwa führte kürzlich bei seinen Mitgliedern eine Umfrage zum steigenden Druck auf die Grundwassernutzung durch. Von 201 eingegangenen Antworten berichteten 76 Wasserversorger darüber, dass in den letzten 20 Jahren Grund- oder Quellfassungen aufgrund von Flächennutzungskonflikten aufgegeben werden mussten; bei 41 Wasserversorgern dürfte die Schliessung einer Wasserfassung in den nächsten Jahren erfolgen. Dieser Verdrängungsprozess ist spärlich dokumentiert und wird von der breiten Öffentlichkeit deshalb kaum wahrgenommen. Die Gründe für die Aufgabe von Wasserfassungen sind vielfältig: Strassenbauprojekte, landwirtschaftliche Nutzung und Altlasten wurden in der Umfrage des SVGW ebenso genannt wie kantonale Vernetzungsstrategien und Gewässerrevitalisierungsprojekte. Als mit Abstand häufigster Grund entpuppte sich aber das Siedlungswachstum: 14 Versorgungsunternehmen mussten deswegen bereits Anlagen schliessen; bei 12 steht dies in den nächsten Jahren an. Das Problem: In überbauten Gebieten lassen sich im Einzugsgebiet der Wasserfassungen keine Grundwasserschutzzonen mehr nach den Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes ausscheiden bzw. bestehende Grundwasserschutzzonen sind nicht mehr bundesrechtskonform schützbar. Michael Schärer, Chef Sektion Gewässerschutz beim BAFU, bestätigt den Konflikt: «Die grossen Grundwasservorkommen liegen oft dort, wo sich auch Siedlungen befinden.» Besonders in den Agglo­merationen ergeben sich enge Verhältnisse, aber auch in den Talböden des Jura sowie der Alpentäler, etwa dem Rhone- und dem Rheintal. Für den Schutz des Trinkwassers sollten laut Michael Schärer die Flächen rund um eine Wasserfassung möglichst ganz von Nutzungen frei bleiben. Ungenutzte und unbeeinflusste Böden sind exzellente Trinkwasserfilter. Bewaldete Flächen beispielsweise sind schonend bewirtschaftet und es entstehen keine nachteiligen Einflüsse.

In den Schutzzonen wird gebaut

Ausserhalb des Waldes kann es zu einer Vielzahl von Konflikten kommen. «Lediglich 60 Prozent der Grundwasserschutzzonen sind nach den heute gültigen Vorgaben rechtlich verbindlich geschützt», sagt Frédéric Guhl von der Sektion Gewässerschutz des BAFU. Mit der Anpassung der Gewässerschutzverordnung von 1998 sind die Anforderungen an die Grundwasserschutzzonen verschärft worden. So gilt beispielsweise in der engeren Schutzzone S2 ein Bauverbot. Diese Schutzzone soll vor allem sicherstellen, dass keine krankheitserregenden Mikroorganismen ins Trinkwasser gelangen. In vielen Kantonen sind aber rund zehn Prozent der Schutzzonen auf mindestens einem Viertel der Fläche überbaut, bei rund fünf Prozent beträgt die bebaute Fläche sogar mehr als die Hälfte. In der Praxis erweist sich der Schutz des Grundwassers zunehmend als schwierig. In Kerzers (FR) etwa mussten kürzlich zwei Wasserfassungen geschlossen werden, weil sie die gesetzlichen Anforderungen nicht mehr erfüllten und der Aufwand für eine Sanierung zu gross gewesen wäre. Beide Fassungen lagen im Siedlungsgebiet. Das verloren gegangene Trinkwasser bezieht Kerzers nun vom Wasserverbund Grosses Moos. Bis jetzt habe man bei der Aufhebung einer Wasserfassung meistens Lösungen in der näheren Umgebung gefunden, sagt Raphaël Kropf vom Amt für Umwelt des Kantons Freiburg. «Doch nun sind wir aufgrund des Siedlungsdrucks und der Landwirtschaft zum ersten Mal mit echten Engpässen konfrontiert.» Lokal werde es zunehmend schwierig, alternative Standorte zu finden. Deshalb werde, so Raphaël Kropf, vermehrt auf entferntere Vorkommen zurückgegriffen. Doch eigentlich sehe das kantonale Trinkwassergesetz vor, die Nutzung lokaler Trinkwasserressourcen so weit wie möglich zu begünstigen.

Regionale Lösungen sichern Wasserversorgung

Exemplarisch aufzeigen lassen sich die Konflikte auch im Raum Olten/Gösgen (SO), wo die Gemeinden die Grundwasserströme von Dünnern und Aare nutzen. Bei vier von zehn Grundwasserfassungen gibt es Konflikte innerhalb der Grundwasserschutzzonen: Strassen, Abwasseranlagen, Industrie- und Wohnbauten sowie Altlasten gefährden die Wasserqualität unmittelbar. Das Amt für Umwelt des Kantons Solothurn suchte zusammen mit den Wasserversorgungen deshalb nach neuen Lösungen. Der ausgearbeitete regionale Wasserversorgungsplan sieht vor, die vier problematischen Grundwasserfassungen stillzulegen und durch zwei neue leistungsstarke Pumpwerke zu ersetzen. «Wir sind froh, dass wir zwei neue Standorte gefunden haben, bei denen wir die erforderlichen Grundwasserschutzzonen ausscheiden und somit die Risiken für die Trinkwasserversorgung minimieren können», sagt Rainer Hug vom Amt für Umwelt des Kantons Solothurn. Als weitere Massnahme werden die Leitungsnetze von Olten und Aarau miteinander verbunden, damit alle Wasserversorgungen der Region auf zwei unabhängige Grundwasservorkommen zurückgreifen können.
Zur geplanten Neuorganisation fand 2016 eine Vernehmlassung bei den politischen Akteuren und Betreibern der Wasserversorgungen in der Region statt. Vor allem von den Gemeinden, in denen Pumpwerke geschlossen werden sollen, kamen negative Rückmeldungen. Doch es sei zu spät, diese Wasserfassungen zu retten, erklärt Rainer Hug. Der finanzielle Aufwand dafür wäre schlicht zu gross, das Ergebnis unbefriedigend. Stattdessen gelte es, die neuen Fassungen konsequent zu schützen und dort nicht die gleichen Fehler zu wiederholen.

Trinkwasser möglichst lokal gewinnen

Die Grundwasserressourcen sind im Untergrund verborgen und gehen in der politischen Diskussion gerne vergessen. Wie lässt sich also sicherstellen, dass das Trinkwasser den zunehmenden Nutzungskonflikten zum Trotz auch in Zukunft nicht knapp wird? Die Fachorganisation SVGW setzt auf Kommunikation und will Gesellschaft und Politik stärker für die Bedeutung dieses unterirdischen Schatzes sensibilisieren. Der Bund seinerseits möchte mit einer neuen Plattform die Zusammenarbeit mit den kantonalen Fachstellen und Verbänden verbessern. Dabei soll am Grundsatz, die Grundwasserressourcen flächig zu schützen und das Trinkwasser möglichst lokal zu gewinnen, festgehalten werden. «Entscheidend ist, dass die Anliegen des Grundwasserschutzes und der Trinkwasserversorgung in den kantonalen Richtplänen und der kommunalen Nutzungsplanung mehr Gewicht erhalten», sagt Frédéric Guhl vom BAFU. Doch möglicherweise gelingt dies erst, wenn der Glaube an die unerschöpflichen Trinkwasservorräte im Wasserschloss Schweiz zu bröckeln beginnt.

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Letzte Änderung 15.02.2017

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