Auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Schweiz sind Gewässertiere- und pflanzen übervertreten. Das hat nicht nur, aber auch mit der Wasserqualität zu tun.
Text: Hansjakob Baumgartner

© Michel Roggo/roggo.ch
Sie ist ein Sonderling unter den hiesigen Fischen: Nicht einmal richtig schwimmen kann die Groppe. Sie bewegt sich mehr hüpfend vorwärts und ist deshalb an den Gewässergrund gebunden. Auch ist sie nicht stumm wie ein Fisch: Groppen verteidigen ihr Revier mit Drohlauten.Und doch ist die Art eine wichtige Vertreterin der Schweizer Fischfauna: Die Groppe benötigt strukturreiche Gewässer mit sauberem, sauerstoffreichem und eher kühlem Wasser. Zusammen mit 16 weiteren Fischen ist sie deshalb eine Indikatorart im Modul «Fische» des Modul-Stufen-Konzepts, das in der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) angewandt wird: Wo die Groppe in ihren angestammten Habitaten in gesunden Beständen lebt, ist die Welt noch heil, auch für andere Wasserorganismen. Kommt sie hingegen nur spärlich oder gar nicht vvvvor, muss daraus geschlossen werden, dass das fragliche Gewässer keine günstigen Lebensbedingungen für Wassertiere bietet.In der Urtene, die am Moossee nördlich von Bern entspringt und bei Bätterkinden (BE) in die Emme mündet, ist sie noch zugegen. 2012 wurden beim Abfischen der NAWA-Probestrecke bei Schalunen (BE) mittels eines Elektrofanggerätes auch Groppen gefangen, allerdings nur wenige. Offenbar ist dieser Bach hier kein besonders guter Fischlebensraum. Tatsächlich ist auch die Artenvielfalt der Fische in der beprobten Strecke stark eingeschränkt: Nur 5 Fischarten fanden sich hier. Die für den fraglichen Gewässertyp charakteristische Äsche fehlte, dafür dominierte der standortfremde, anspruchslose Stichling.
Fischfauna unter Druck
Allgemein haben es die Fische in den hiesigen Gewässern schwer. Gemäss Roter Liste sind 58 Prozent der einheimischen Arten bedroht. Die Fische gehören damit zu den Tieren mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an gefährdeten Arten.Und wie steht es um die anderen Wasserorganismen? Am Gewässergrund leben unzählige wirbellose Tiere: Insekten, Spinnentiere, Schnecken, Muscheln, Krebse, Würmer, Egel. Wirbellose Arten, die von blossem Auge sichtbar sind, werden unter dem Begriff Makrozoobenthos zusammengefasst.
Schlechte Zeiten für Wasserorganismen
Von der Artengemeinschaft des Makrozoobenthos sind die Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, die ihr Larvenstadium im Wasser verbringen, sowie dieWasserschnecken und Muscheln in der Roten Liste der Schweiz erfasst. Bei den Ersteren liegt der Anteil der gefährdeten Arten zwischen 40 und 51 Prozent. Bei den Wasserschnecken und Muscheln sind es43 Prozent.Noch schlechter als bei der Tierwelt unserer Gewässer ist die Situation bei den Wasserpflanzen. Mehr als 60 Prozent sind mehr oder weniger akut bedroht.Insgesamt wiesen die Gewässerorganismen den höchsten Anteil an in der Schweiz ausgestorbenen oder vom Aussterben bedrohten Arten auf, heisst es im 2011 erschienenen BAFU-Synthesebericht zu den Roten Listen.Das Problem hat viele Ursachen: die Strukturarmut in den verbauten Bächen und Flüssen; Wanderhindernisse durch Flusskraftwerke, Wehre und künstliche Schwellen; der vielfach ungenügend grosse Gewässerraum; die fehlende Dynamik; der gestörte Geschiebehaushalt; die unnatürliche Wasserführung mit Schwall und Sunk; die steigenden Wassertemperaturen infolge des Klimawandels – sowie die schlechte Wasserqualität.
Sauerstoffmangel in den Seen
Letztere gilt gemäss Roten Listen für alle Artengruppen als einer von mehreren Bedrohungsfaktoren – nicht nur in Bächen und Flüssen, sondern auch in Seen. Viele Wasserorganismen, die auf der Roten Liste verzeichnet sind, sind Leidtragende der Eutrophierung unserer Gewässer durch Nährstoffeinträge, die in den 1970er- und den frühen 1980er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Dies führte periodisch zu einem Sauerstoffschwund in der Tiefe der Seen, wodurch das Leben am Gewässergrund erstickte. Aus manchen Gewässern ist zum Beispiel ein Grossteil der Wasserschnecken und Muscheln deswegen gänzlich verschwunden. Ähnliches gilt für das Makrozoobenthos, und auch mehrere Felchenarten haben die Zeit der Überdüngung unserer Seen nicht überlebt.Der Ausbau der wasserreinigungsanlagen (ARAs), das Phosphatverbot in Textilwaschmitteln sowie die Ökologisierung der Landwirtschaft brachten unseren Gewässern die dringend benötigte Abmagerungskur. Doch eine Wiederbesiedlung kann nur mobilen Organismen gelingen, die in erreichbarer Nähe noch vitale Bestände haben. Wanderbarrieren verhindern aber, dass sich isolierte Kleinbestände bedrohter Arten wieder ausbreiten und erholen können. Und was an Artenvielfalt einmal verloren gegangen ist, kann nicht wieder zurückgebracht werden.
Insektizide töten Wasserinsekten
Eine neuere Bedrohung für Gewässerorganismen sind Mikroverunreinigungen durch Schadstoffe wie hormonaktive Substanzen oder Pestizide. Gemäss Roten Listen sind Arten aller Gruppen von Wassertieren von diesen Schadstoffen betroffen.Erhebungen über den Zustand des Makrozoobenthos im Rahmen der NAWA zeigten, dass Arten, die empfindlich auf Pestizide reagieren, besonders unter Druck stehen. Das sind vor allem die Larven von Insekten wie Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, denen Rückstände von Insektengiften im Wasser zusetzen. Ihre Häufigkeit und Vielfalt ist stärker eingeschränkt als bei den Arten, die Pestizide besser ertragen. Auch hat sich gezeigt, dass ihre Präsenz umso geringer ist, je höher die Anteile von Ackerflächen im Einzugsgebiet eines Gewässers sind. Ist das Einzugsgebiet bewaldet, deutet dies auf relativ geringe menschliche Einflüsse hin.In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer schweizweiten Studie über das Makrozoobenthos, bei der ausschliesslich Proben aus kleinen Fliessgewässern hauptsächlich aus dem Schweizer Mittelland analysiert wurden. Kleinbäche bilden streckenmässig 75 Prozent des hiesigen Gewässernetzes. Für die Fauna und Flora sind sie von hoher Bedeutung. Für etliche Arten des Makrozoobenthos bilden sie den Hauptlebensraum, und manchen Fischen dienen sie als Laichgewässer und Kinderstuben sowie als Refugien, in die sie sich bei Hochwasser oder Gewässerverschmutzungen zurückziehen können.Die Analyse von über 700 Makrozoobenthosproben aus kleinen Fliessgewässern ergab, dass in diesen die Welt der wirbellosen Wassertiere noch stärker beeinträchtigt ist als in grösseren Bächen und Flüssen. Und auch hier weisen die Untersuchungen vor allem in tiefer gelegenen, intensiv genutzten Gebieten auf eine Pestizidbelastung hin.
Fische leiden unter Mikroverunreinigungen
Mit dem Einfluss der Wasserqualität auf das Wohl und Wehe der Fische befasste sich das Forschungsprojekt «Fischnetz». Dieses wurde Ende der 1990er-Jahre lanciert, um die Ursachen des dramatischen Rückgangs der Bestände mehrerer Fischarten, namentlich der Forellen, zu ergründen. Das Projekt prüfte verschiedene Hypothesen. Davon betraf eine die ungenügende Wasserqualität. Die Einträge von Siedlungs- und Industriechemikalien über die Abwasserreinigungsanlagen sowie Abschwemmungen von Strassen und landwirtschaftlich genutzten Flächen führten immer wieder zu kurzzeitigen Spitzenbelastungen, die «ein erhöhtes Risiko für das Ökosystem» darstellen, heisst es dazu im 2004 erschienenen Schlussbericht. Hormonaktive Substanzen, die eine Verweiblichung männlicher Fische verursachen können, erreichten unterhalb von ARAs mit grossem Einzugsgebiet und geringer Verdünnung «Konzentrationen im Bereich der Wirkschwelle».
Sauberes Wasser in naturnahen Bächen
Um den aquatischen Organismen das Überleben zu erleichtern, braucht es somit zweierlei: Gewässerrevitalisierung und eine Verbesserung der Wasserqualität. Das eine hilft dem anderen: Extensiv genutzte Gewässerräume mit intakter Vegetation vermindern den Eintrag von Schadstoffen. An der Urtene hat man denn auch beides getan, allerdings nicht an der NAWA-Probestrecke, sondern weiter oben. 2001 wurde die ARA Holzmühle oberhalb von Kernenried (BE) saniert. Dies bewirkte eine spürbare Verbesserung der Wasserqualität. Danach erfolgte die Revitalisierung des fast vollständig verbauten Gewässerabschnitts. Seither hat der Bach hier wieder ein reich strukturiertes Gerinne. An flachen Ufern können Sand- und Kiesbänke entstehen, an Steilufern Anrisse. Die Ufer sind vielfältig bewachsen.Eine 2008 durchgeführte Erfolgskontrolle zeigte hier einen deutlichen Anstieg der Fischbestände. Zuvor fehlende Arten wie die Barbe waren zurückgekehrt, und die Bachforelle pflanzt sich im revitalisierten Abschnitt wieder erfolgreich fort. Dies ganz im Unterschied zum eingangs beschriebenen Abschnitt der Urtene bachabwärts. Dort leben, wie gesagt, gerade mal 5 Fischarten, darunter vor allem der anspruchslose Stichling, der an diesem Standort eigentlich gar nicht heimisch ist.
Weiterführende Informationen
Dokumente
Fachbericht Modul Fische 2012 (PDF, 5 MB, 16.05.2014)Dönni W. und Guthruf J. 2014: Biologische Erhebungen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA), Modul Fische (Startphase 2012–2013). Expertenbericht im Auftrag des BAFU
Letzte Änderung 15.02.2017