Nachhaltigkeit steht zunehmend im Fokus von Investoren. Doch was versteht man unter nachhaltigen Finanzen, und welche Herausforderungen sind damit verbunden? Wie lassen sich nachhaltige Finanzen zum Mainstream machen? Können sich die Finanzflüsse schnell genug anpassen? «umwelt» hat drei Experten zu einer Diskussionsrunde eingeladen.
Interview: Cornélia Mühlberger de Preux

© Flurin Bertschinger, Ex-Press/BAFU
umwelt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den heutigen Umweltproblemen und dem Geld, das ich bei einer Bank oder Pensionskasse anlege?
Rajna Gibson: Hält eine Bank oder eine Pensionskasse in ihrem Portfolio Titel von Gesellschaften, die zur Entwaldung beitragen oder im Abbau fossiler Energieträger tätig sind, begünstigt sie indirekt solche Aktivitäten und trägt damit zum Verlust von Biodiversität und zur Verstärkung des Klimawandels bei. Über die Wahl ihrer Anlagen und das Angebot von umweltfreundlichen Finanzdienstleistungsprodukten können die Finanzinstitute einen Beitrag zur Erhaltung des Naturkapitals leisten.
Christoph Müller: Jede Investition hat nebst finanziellem Risiko und Rendite stets auch Wirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Nachhaltige Investitionen betreffen diese Dimensionen in ihrer Gesamtheit.
Stefan Schwager: Geld ist an und für sich neutral. Erst durch die Art und Weise, wie es eingesetzt wird, entfaltet Geld Wirkung. Wir haben beispielsweise die Wahl, in Fotovoltaik oder in Kohle zu investieren. Weil der Finanzsektor im Gegensatz zur Industrie keine unmittelbaren Emissionen in die Umwelt verursacht – beispielsweise keine giftigen Abwässer oder Abfälle –, ist die Kausalkette zwischen dem Finanzsektor und der Umwelt schwieriger zu erfassen als etwa der Zusammenhang zwischen einer Fabrik, wo etwas hergestellt wird, und der Verschmutzung von Wasser oder Luft.

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Wie lässt sich nachhaltiges Investieren definieren?
Gibson: Die verschiedenen Definitionen laufen im Allgemeinen auf zwei Schlüsselelemente hinaus. Der eine Ansatz ist auf eine langfristige Sichtweise ausgerichtet – im Gegensatz zur vorherrschenden Praxis der kurzfristigen Gewinnmaximierung. Der andere Ansatz will Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien – auf Englisch «Environmental, Social and Governance Criteria», kurz ESG-Kriterien – in finanzielle Entscheide integrieren. Dazu zählen beispielsweise die Energieeffizienz, die Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern oder die Diversität bei der Zusammensetzung und Funktionsweise des Verwaltungsrats.
Schwager: Wichtiger noch, als sich auf eine Definition zu einigen, scheint mir, über Daten zu verfügen, die Vergleiche und Transparenz zulassen. Diese Daten müssen für die Finanzindustrie relevant sein. Man muss sie zudem einfach erheben und anwenden können.
Müller: Nachhaltigkeit ist ein Konzept, nicht eine Technik. Ihre Umsetzung ist je nach angewendeten Normen und von den Investoren verfolgten Zielen unterschiedlich und hängt von der Art der Investition ab: Obligationen, Aktien oder Immobilien. Daraus ergibt sich eine Vielfalt von Ansätzen. Für jeden Investor und bei jeder Investition ist es möglich, nachhaltig zu sein.
Doch wie wird Nachhaltigkeit gemessen?
Gibson: Es ist nicht leicht, die ESG-Wirkung eines Unternehmens zu analysieren und dann auch konsequent zu quantifizieren. CO2 lässt sich noch relativ einfach messen, während es um einiges schwieriger ist, das Wohlbefinden von Angestellten zu beurteilen, handelt es sich doch dabei um etwas «Abstraktes», das nur schwer in Zahlen ausgedrückt werden kann. Für Investoren ist dies eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass es in gewissen Fällen um reines Marketing geht. Deshalb ist es so wichtig, die ESG-Normen zu vereinheitlichen.
Müller: Messen ist eine komplexe Aufgabe, und der Standardisierungsprozess auf globaler Ebene dürfte lange dauern. Die Publikation von Daten durch Unternehmen ist sicherlich ein Fortschritt, doch wir sind noch lange nicht am Ziel angekommen. Der Investor benötigt unabhängige Datenanalysen, um seine Ziele zu implementieren und Nachhaltigkeit in die Anlagen einzubauen.
Wer kann helfen, nachhaltige Finanzen in den Mainstream zu führen?
Gibson: An der Universität Genf haben wir Nachhaltigkeit in die Finanzlehrgänge integriert und im Jahr 2008 am Geneva Finance Research Institute (GFRI) das Kompetenzzentrum «Finanzen und Gesellschaft» geschaffen. Die Universität Genf verfügt zudem über einen Lehrstuhl «Nachhaltige Finanzen». Die akademische Forschung kann die Vorteile und die Grenzen von Finanzprodukten mit ESG-Ausrichtung aufzeigen und insbesondere mit dem Vorurteil aufräumen, dass deren Performance vergleichsweise geringer sei, denn dies trifft nicht zu. Neueste Studien unseres Instituts weisen nach, dass die Wirkung langfristig gesehen immer positiv ist. Aus Sicht der Risikodiversifizierung ist es höchst interessant festzustellen, dass die Volatilität von ESG-Portfolios verglichen mit herkömmlichen Portfolios tiefer liegt.

© Flurin Bertschinger, Ex-Press/BAFU
Müller: Ratingagenturen spielen eine wesentliche Rolle, indem sie die ESG-Wirkungen von Unternehmen in Wert setzen und versuchen, sie auf möglichst objektive Weise zu beurteilen. Damit ermöglichen sie es den Investoren, diese besser zu analysieren und sie in ihre Anlagestrategie zu integrieren. Ratingagenturen bieten Unterstützung beim Konzipieren oder bei der Wahl von Investitionen gemäss gewünschter Richtung und vorgegebenem Inhalt. Dies verlangt nach einer qualitativ hochstehenden Datenanalyse sowie einer zuverlässigen Darstellung und Beurteilung. Wir benötigen also die Ergebnisse der Wissenschaft, aber auch den Zugang zu Informationen aufseiten des Marktes und der Unternehmen.
Schwager: Nachhaltige Finanzen erfordern ein gemeinsames Engagement und eine geteilte Verantwortung. Im Wissen, dass sich der Finanzsektor mit seinen riesigen Finanzströmen stark auf den Zustand und die Entwicklung der Umwelt auswirkt, ist das BAFU seit mehreren Jahren entsprechend aktiv. Das Bundesamt ist zwar nicht Regulierungsbehörde für den Finanzmarkt, doch es kann in seinen Zuständigkeitsbereichen die Verfügbarkeit von Umweltdaten sicherstellen, die für den Finanzmarkt wichtig sind, oder, wie in den letzten Jahren, Grundlagen verfügbar machen. Dies zeigt sich unter anderem prominent in der Publikation der Studie zu den Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz. Diesbezüglich arbeitet das BAFU mit anderen Bundesämtern, etwa mit den beiden Staatssekretariaten für internationale Finanzfragen (SIF) oder für Wirtschaft (SECO), sowie dem Privatsektor zusammen.
Welche Hebel sind zu aktivieren?
Gibson: Letztlich geht es darum, die Öffentlichkeit, die Kleinanleger und Bankkunden, aber allen voran die institutionellen Anleger wie Pensionskassen dafür zu sensibilisieren, wie bedeutend ihr aktives Engagement durch die Wahl ihrer Anlagenstrategie ist.
Schwager: Im Klimaübereinkommen von Paris haben die Staaten vereinbart, die Finanzflüsse so auszurichten, dass damit eine treibhausgasarme Entwicklung gefördert und die Anpassungsfähigkeit an ein verändertes Klima verbessert werden. Gemäss «Cities Climate Finance Leadership Alliance» werden global allein für die Errichtung der klimakompatiblen Infrastrukturen in den Städten bereits in den nächsten 15 Jahren 93 000 Milliarden US-Dollar benötigt. Das sind enorme Beträge! Doch das Geld ist vorhanden. Man muss aber schnell handeln, nicht nur auf Ebene der traditionellen Rolle der Banken, sondern auch bei den grossen institutionellen Kunden. Es gilt, die Finanzmarktregulierung und Umweltregulierung aufeinander abzustimmen.
Und welche nachhaltigen Finanzprodukte stehen zur Verfügung?
Gibson: Wir müssen zwischen Produkten und Anlagestilen unterscheiden. Zu den Produkten zählen beispielsweise die sogenannten «grünen Anleihen», die die Finanzierung von Projekten mit ökologischer Ausrichtung ermöglichen sollen. Bei den Anlagestilen geht es beim «Exclusion-Ansatz» um den Ausschluss von Unternehmen, welche die ESG-Kriterien nicht berücksichtigen. Beim «Best in Class»-Ansatz werden dagegen diejenigen Unternehmen bevorzugt, welche die besten sind in Bereichen wie Bekämpfung des Klimawandels oder soziale Wohlfahrt. Neuerdings ist ein Trend zu beobachten, den unter anderem der norwegische Staatsfonds verfolgt: das aktive Engagement. Dabei nehmen ein oder mehrere institutionelle Investoren gemeinsam ihre Stimmrechte als Aktionäre wahr und suchen den Dialog mit der Unternehmensführung, um Nachhaltigkeitsthemen voranzutreiben.
Müller: Es existiert eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die sich an den Zielen für nachhaltige Entwicklung – den «Sustain-able Development Goals (SDGs) – orientieren und via Investitionskonzept wirtschaftliche Aktivitäten mit positiver Wirkung in den Bereichen Wasser, erneuerbare Energien, Ressourceneffizienz und nachhaltige Entwicklung verfolgen. Dies kann über nahezu alle Anlageklassen wie Aktien oder Obligationen erfolgen. Zudem gibt es Produkte, die speziell auf den Klimawandel fokussieren oder sich auf «Carbon Divestment» ausrichten, also den Abzug von Kapital aus Unternehmen, deren Geschäftsfeld fossile Energieträger sind.

© Flurin Bertschinger, Ex-Press/BAFU
Was für Investitionen müssen wir heute tätigen, um neun Milliarden Menschen, die im Jahr 2050 die Welt bevölkern werden, ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten?
Schwager: Die öffentlichen Mittel werden nicht ausreichen, um sämtliche für die Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung unseres Planeten erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. Es braucht privates Kapital! So sind in Afrika erst zehn Prozent der bis 2050 benötigten Infrastruktur vorhanden. Das heisst, 90 Prozent der Infrastruktur für Verkehr, Energie, Kommunikation, Wasser- und Abfallbewirtschaftung sind noch zu errichten. Deshalb ist es entscheidend, nachhaltige Lösungen zu finden, denn täglich werden Anlageentscheide getroffen. Ist einmal in ein Kohlekraftwerk oder eine Pipeline investiert worden, bleibt diese Investition für Jahrzehnte gebunden und damit auch die Auswirkungen auf die Umwelt. Das ist der sogenannte «Lock-in effect». Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die Politik die Richtung vorgibt und auf Kurs bleibt.
Müller: Der Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft benötigt Investitionsvolumen von beeindruckender Grössenordnung. Diese Herausforderung lässt sich mit Zusatzfinanzierung alleine nicht bewältigen. Vielmehr gilt es, die Investitionsströme in zukunftsträchtige und nachhaltige Bereiche umzulenken. Dazu müssen auch für Kleinsparer einigermassen sichere und kostengünstige Investitionsmöglichkeiten, beispielsweise in «grüne» Infrastrukturen, zur Auswahl stehen. «Green Bonds» – Obligationen für grüne Anliegen – sind für mich eine positive Entwicklung in die richtige Richtung.
Gibson: Auf internationaler Ebene besteht Hoffnung. In den nordischen Ländern investieren die Pensionsfonds einen Grossteil ihrer Portfolios in Anlagen mit hohen ESG-Ratings. Auch in den USA greift diese Tendenz. Der weltgrösste Vermögensverwalter BlackRock verzeichnet beispielsweise eine wachsende institutionelle Kundschaft, die die Berücksichtigung der ESG-Kriterien in ihrem Portfolio fordert. Trotz der jüngsten geopolitischen Entwicklungen denke ich, dass die Tendenz positiv ist und bleiben wird, und dass sich nachhaltige Finanzierungs- und Investitionsentscheide durchsetzen werden. Die Frage lautet: Wird die Wirkung stark und schnell genug sein? Anders ausgedrückt: Werden Banken und Pensionskassen in der Lage sein, auf die Politik eines Unternehmens in Bezug auf die ESG – ganz besonders im Bereich der Klimaerwärmung – einzuwirken, bevor es zu spät ist?
Müller: In der Schweiz sind viele Einzelne bereit, sich für nachhaltige Finanzen zu engagieren. Das ist eine Chance. Doch es sollte inhaltlich klarer kommuniziert und gezeigt werden, wie sich nachhaltig investieren lässt, was möglich ist. Nachhaltige, gut konzipierte Produkte sind nicht teurer. Die Investoren könnten mehr tun, als sie denken.
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Letzte Änderung 31.05.2017