Die Veränderung unserer Landschaft lässt sich nicht aufhalten. Doch wir können den Wandel aktiv gestalten, sodass die Qualität der Kultur- und Naturlandschaften erhalten bleibt oder sogar aufgewertet wird. Diesem Ziel dient zum Beispiel die Landschaftsstrategie für den Kanton Luzern.
Text: Hansjakob Baumgartner

© Ruedi Helfenstein
An wohlformulierten Vorschriften mangelt es nicht: Gleich mehrere Bundesgesetze – über die Raumplanung, den Natur- und Heimatschutz, aber auch über die Landwirtschaft, den Wald und die Gewässer – fordern einen schonenden und pfleglichen Umgang mit der Schweizer Landschaft. Für ihre Umsetzung steht eine Palette von Instrumenten zur Verfügung: Inventare, Leitbilder, Konzepte, Richt-, Sach- und Nutzungspläne sowie Fördergelder. Sie sind keineswegs wirkungslos geblieben. So gab es zum Beispiel bei Fliessgewässern oder im Landwirtschaftsgebiet in den letzten Jahren durchaus positive Entwicklungen, wie der aktuelle Bericht des Monitoringprogrammes Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES) zeigt: Verbaute Bäche sprudeln wieder frei, und die Bemühungen zur Aufwertung des Landwirtschaftsgebietes als Lebensraum zeigen vielerorts ebenfalls Wirkung.
Rasanter Wandel
Doch grossräumig hält der Trend einer schleichenden Entwertung der Landschaft an. Das mit Siedlungen und Infrastrukturen verbaute Gebiet wächst auf Kosten von Kulturland, Freiflächen und Erholungsräumen. Dadurch verschwinden artenreiche Lebensräume, regionaltypische Landschaftselemente und historisch gewachsene Siedlungsstrukturen. Die Landschaften verlieren ihr Gesicht, namentlich die Agglomerationen gleichen sich immer mehr an. Dieser Druck wird anhalten. Zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, die den Landschaftswandel vorantreibt, kommt das Bevölkerungswachstum. Die Politik ist gefordert, diese Entwicklung landschaftsverträglich zu gestalten. Dabei gehe es zunächst darum, das bestehende Instrumentarium wirksamer anzuwenden, sagt Daniel Arn von der BAFU-Sektion Ländlicher Raum. «Viele Möglichkeiten, die Landschaft aufzuwerten, werden noch zu wenig oder gar nicht genutzt. Oft sind sich die in der Landschaft tätigen Menschen schlicht nicht bewusst, welches Potenzial ihre Aktivitäten für eine Verbesserung der Landschaftsqualität bergen.» Die 2016 erschienene BAFU-Publikation «Den Landschaftswandel gestalten» soll hier Abhilfe schaffen. Sie liefert eine Übersicht der landschaftspolitischen Instrumente und zeigt, wo sich Synergien mit anderen Akteuren ergeben.
Die Handlungsfelder mit Auswirkungen auf die Landschaft sind vielfältig. Waldbau, Land- und Alpwirtschaft, der Umgang mit den Gewässern oder die Erholung zählen ebenso dazu wie die Umsetzung der Biotop- und Landschaftsinventare, Projekte zur Lebensraumvernetzung sowie alle anderen Massnahmen zur Biodiversitätsförderung. Und natürlich prägt auch die gesamte Bautätigkeit für Siedlungen und Infrastrukturen in hohem Masse die Landschaft. Entsprechend gross ist der Kreis der involvierten Personen. Soll der Landschaftswandel gezielt gestaltet und nicht einfach hingenommen werden, müssen alle Beteiligten ihre Aufgaben mit Umsicht und einem steten Blick auf gemeinsam gesetzte landschaftliche Ziele wahrnehmen.
Luzerner Landschaftsstrategie
Dies zu gewährleisten, bezweckt die «Strategie Landschaft Kanton Luzern», welche seit Kurzem als Entwurf vorliegt. Erarbeitet wurde sie unter der Federführung der Biologin Christiane Guyer, Abteilungsleiterin in der Luzerner Dienststelle für Landwirtschaft und Wald (Lawa). Die Strategie schliesse eine Lücke in der Landschaftspolitik, sagt sie. «Wie soll sich die Landschaft entwickeln? Welche besonderen Qualitäten und Charakteristika gilt es zu erhalten und zu fördern? Vor welchen Eingriffen muss sie bewahrt werden? Bisher hat es keine gesamthafte Betrachtung der Luzerner Landschaften gegeben, welche diese Fragen beantwortet.» Auch fehlte ein Koordinationsinstrument, das hilft, die verschiedenen landschaftsrelevanten Aufgaben aufeinander abzustimmen und den Handlungsbedarf zu formulieren. In einem ersten Schritt bestimmten Fachleute die prägenden Landschaftstypen des Kantons. Dazu erfassten sie die vorhandenen Landschaftsqualitäten in Form der historisch gewachsenen Strukturen natürlicher und baulicher Art. In einem zweiten Schritt erfolgte die Bestimmung der zentralen Handlungsfelder, das heisst der thematischen Bereiche mit einem Handlungsbedarf (siehe Tabelle). Für jeden einzelnen Landschaftstyp formulierte man entsprechende Qualitätsziele und leitete darauf aufbauend die nötigen Massnahmen ab. Die Strategie zeigt die verfügbaren Instrumente auf und benennt die verantwortlichen Stellen.

© Ruedi Helfenstein
Anschauungsunterricht
Auf einer Fahrt durch die Umgebung von Sursee, wo das Lawa zu Hause ist, erläutert Christiane Guyer, wie die Strategie ihre Wirkung in einer konkreten Landschaft entfalten soll. Vom Bahnhof aus steuert sie das Auto Richtung Luzern. Der Blick schweift über den Sempachersee, der hier streckenweise noch von Schilfufern gesäumt ist. Die naturnahen Seeuferbereiche zu fördern, ist ein vorrangiges Ziel für die Luzerner Seelandschaften. Die angrenzenden Uferbereiche sind von Infrastrukturbauten und einer weiteren Siedlungsausdehnung freizuhalten.Auch Erholung sei hier ein prioritäres Handlungsfeld, bemerkt Christiane Guyer: Die Zugänglichkeit der Seeufer in bedeutsamen Naherholungsgebieten soll verbessert werden, wobei auf eine Abstimmung und Entflechtung von Naturschutz und Erholung zu achten sei. Nach Neuenkirch führt die Fahrt über Hellbühl und Ruswil nach Ettiswil durch eine offene Agrarlandschaft mit ländlicher Siedlungsstruktur – ein im Kanton Luzern sehr verbreiteter Landschaftstyp: Das Gelände ist sanft gewellt, Ackerbau dominiert, kleine Wälder sind eingestreut, in der Talebene setzt das Fliessgewässer Rot mit seinen bestockten Ufern naturnahe Akzente. Andere Kleinstrukturen fehlen weitgehend. Nur von den einst weit verbreiteten Streuobstgebieten und Obstgärten sind noch Überreste sichtbar. Einzelne Neupflanzungen dienen dem Entwicklungsziel, dieses einst prägende Landschaftselement zu erhalten. Die Siedlungen bestehen aus Dörfern, Weilern und Einzelhöfen mit typischen Luzerner Bauernhäusern. «Periurbane Strukturen und Ansätze der Agglomerationsentwicklung sind sichtbar», heisst es in der Beschreibung des fraglichen Landschaftstyps. In der Tat: An den Dorfrändern fressen sich Einfamilienhaussiedlungen im Baustil der «Hüslischwiiz» ins Grüne. Auch das Bild mancher Einzelgehöfte wird durch Neubauten entstellt, welche nicht in die Umgebung passen. Man versteht, dass die Begrenzung des Siedlungsraums und die Siedlungsgestaltung hier als prioritäre Handlungsfelder gelten.
Mehr Sorgfalt im Umgang mit Landschaften
Christiane Guyer spricht oft von mehr Sorgfalt, die für eine weitere bauliche Entwicklung nötig sei. Bauten müssten auf ihr Umfeld Bezug nehmen, Infrastrukturen gestalterische Qualität aufweisen und sich in die Landschaft einfügen, heisst es in den Qualitätszielen. Generell brauche es dringend mehr Sensibilität beim Bauen und ein höheres Bewusstsein für den Wert der Landschaft bei allen Beteiligten, findet die Biologin. Dieser Ansicht ist auch Daniel Arn vom BAFU, denn eine wichtige Ressource unseres Landes stehe auf dem Spiel. «Qualitätsvolle Landschaften dürfen keine Luxusgüter werden», betont er. «Sie bilden in der Schweiz die wichtigste Basis des Tourismus – sei es in den Alpen, an den Seen des Mittellandes oder in den Städten. Zudem tragen Siedlungen mit einer ruhigen Wohnumgebung zur Attraktivität des Standortes Schweiz bei.» Dazu gehören auch Frei- und Begegnungsräume sowie die Möglichkeit, rasch in ein qualitativ hochwertiges Naherholungsgebiet zu gelangen. Dies hat auch die Luzerner Regierung erkannt. In ihrer Kantonsstrategie bezeichnet sie die einzigartige Landschaft als «Pfeiler der hohen Lebensqualität». Weil die Luzerner Landschaftsstrategie zu einer kohärenten Landschaftspolitik führt, hat der Bund ihre Erarbeitung finanziell unterstützt. Für das Wohlbefinden der Menschen seien die Qualität und der Charakter von Landschaften essenziell, sagt Daniel Arn. So fühlt er etwa bei Aufenthalten in der Landschaft seiner Kindheit eine starke Verbundenheit. «Der Kletterbaum, die Routen meiner kleinen Velotouren oder der Bach, in den ich gefallen bin, rufen Erinnerungen wach und wecken Heimatgefühle.» Diese Empfindung der Zugehörigkeit ist unbezahlbar. Deshalb lohnt es sich, in die Landschaftsqualität zu investieren.
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Letzte Änderung 15.02.2017