Nachhaltigkeit: welchen Beruf wählen?

Viele Jugendliche möchten sich für die Umwelt engagieren, haben aber Mühe, einen entsprechenden Beruf zu finden. Dies gilt auch für den 18-jährigen Roman. Er geht in Genf zur Schule und spricht über seine Anliegen mit Anne Mahrer, die sich seit vielen Jahren mit Ökologie befasst.

Interview: Stéphanie de Roguin

Dialog der Generationen: Hier laden wir zwei Personen verschiedenen Alters ein, über ein aktuelles Thema zu diskutieren. Ziel ist, aus den Kontrasten – oder der Übereinstimmung – zwischen den Generationen zu lernen.
© Marco Zanoni/Lunax

Laut dem neusten Bericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat die Menschheit nur noch drei Jahre, um ihre Art zu leben grundlegend zu ändern und so eine schwere Klima- und Umweltkrise abzuwenden. So gesehen sind alle unsere Produktionsprozesse zu überdenken, ebenso wie unsere Konsumgewohnheiten. Wie können die Erwachsenen von morgen zu dieser Neuorientierung der Wirtschaft und der Arbeitswelt beitragen? Und welche Sektoren gilt es prioritär weiterzuentwickeln? Um über diese Fragen nachzudenken, haben wir ein Treffen zwischen einem Jugendlichen, der vor dem Eintritt ins Berufsleben steht, und einer Bibliothekarin, die sich seit mehreren Jahrzehnten für den Umweltschutz einsetzt, organisiert. Roman Monnier, 18 Jahre, und Anne Mahrer, 73 Jahre, haben sich bei einem Spaziergang in einem Genfer Park über ihre Standpunkte unterhalten. Ein Doppelinterview.

Muss Ihrer Meinung nach die Arbeitswelt nachhaltiger werden?

Roman Monnier (RM): Die Arbeit macht einen grossen Teil im Leben der Menschen aus. Wenn man die heutige Gesellschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit verändern will, muss man bei der Arbeitswelt anfangen.

Anne Mahrer (AM): Das ist offensichtlich. Es braucht einen Paradigmenwechsel.

Roman, bald müssen Sie einen Bildungsgang wählen. Wo stehen Sie bei Ihren Überlegungen?

RM: Ich habe Lust, einen Studiengang im Bereich Umweltingenieurwesen an einer Fachhochschule (FH) zu belegen, mit praktischen Projekten und dem Studium der Ökosysteme. So könnte ich meine beruflichen Pläne gut mit meinen Überzeugungen verbinden. Für mich sind aber noch viele Fragen offen.

Ist es schwierig, sich einen Beruf vorzustellen, der Ihren ökologischen Überzeugungen entspricht?

RM: Ich kann mir vorstellen, dass es viele Möglichkeiten gibt, diese aber nicht genug bekannt sind. Die Bildungsgänge sollten besser bekannt gemacht werden. (Kurze Stille.) Wenn ich es mir aber recht überlege, sollten alle Berufe einen Nachhaltigkeitsteil beinhalten.

Anne, bietet die aktuelle Wirtschaft genügend Berufschancen für junge Leute, die umweltbewusst sind? Oder müssen sie selber neue Berufe erfinden?

AM: Es gibt jedenfalls einen grundlegend wichtigen Sektor, in dem es Chancen gibt: das Bauwesen. Heute fehlen Elektrikerinnen, Heizungstechniker und viele andere qualifizierte Berufsleute in diesem Sektor. Millionen von Gebäuden müssen in der Schweiz energetisch saniert werden. Dafür braucht es Kompetenzen, ebenso wie für das Montieren von Solarpanels oder das Ersetzen von mit fossilen Energien betriebenen Heizungssystemen. Viele Berufe müssen weiterentwickelt werden, ebenso wie die Ausbildungen dafür.

Willst du einen Beruf ausüben, der dir wirklich gefällt, musst du ihn erfinden, sagen manche. Roman, sehen Sie sich eher als Angestellten oder als Unternehmer?

RM: Ich stelle mir eine Kombination von beidem vor. Ich sehe mich
nicht als Angestellten in einer traditionellen Firma, wo ich mit fixen Arbeitszeiten und in einer strikten Hierarchie Aufgaben ausführe. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, ganz allein ein Projekt aufzubauen. Ich würde gern im Team arbeiten, etwas Interessantes und Nützliches für die Gemeinschaft tun.

Werden die Jugendlichen in der Schule ausreichend bei der Berufsauswahl unterstützt? Ist Nachhaltigkeit dabei ein Thema?

RM: Nicht genug. Viele Jugendliche in meinem Alter haben keine Ahnung, was sie später machen wollen. Man kann mit manchen Lehrpersonen darüber reden, aber sie haben nicht viel Zeit. Die Lehrinhalte sind in jedem Fach bereits sehr dicht.

AM: Es sind Stunden für die Berufsberatung vorgesehen, aber Informieren reicht oft nicht aus. An der Schule, an der ich früher arbeitete, haben wir Personen aus verschiedenen Berufsfeldern eingeladen, damit sie uns von ihrem Alltag erzählen. Die Schülerinnen und Schüler stellten dann viele Fragen. Es liegt auch an den Eltern, ihre Arbeit zu machen und die Jugendlichen zu ermutigen, eine Richtung zu wählen, die für sie sinnvoll ist.

Welche Stellen, abgesehen von der Schule, sollten Ihrer Meinung nach diese Rolle übernehmen? Was halten Sie vom Programm «Jobs for Future» der Stiftung Myclimate (siehe Box)?

RM: Für uns Schüler ist es immer interessant, Vorträge von Leuten aus verschiedenen Bereichen zu hören. Manche Jugendliche haben Mühe, an Informationen heranzukommen. Wenn man die Informationen an uns heranträgt, sind wir daher sehr froh darum!
AM: Die Sensibilisierung für Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt muss auch bei den Lernenden erfolgen, die sehr schnell nach ihrer Ausbildung in die konkrete Realität eines Berufs eintauchen.

Anne, konnten Sie in Ihrem Job als Schulbibliothekarin Überlegungen zur Nachhaltigkeit anstellen?

AM: Ja, es war ein Beruf, bei dem ich sehr selbstständig arbeiten konnte. In der Bibliothek haben wir eine Einkaufspolitik: Ich erwarb viele Dokumentarfilme, Bücher oder Zeitschriftenabonnements zum Thema Umwelt, aber auch zu anderen hochaktuellen Themen wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich besorgte alles, was den Unterricht der Lehrpersonen in der Klasse ergänzen konnte.

Das ist ein gutes Beispiel für einen Beruf, der auf den ersten Blick nicht «nachhaltig» ist, es aber werden kann.

AM: Ja, aber diese Art von Ausübung hängt stark von der Leitung der Institution ab, wie auch von
der Beziehung, die man zu den Kolleginnen und Kollegen hat.

Welchen Rat würden Sie den Erwachsenen von morgen geben, die eine Ausbildung wählen und eine Berufslaufbahn einschlagen müssen?

AM: Ich würde ihnen empfehlen, eine möglichst breit gefächerte Auswahl in Erwägung zu ziehen. Und sie darauf sensibilisieren, dass es im Engineering (vor allem in der Entwicklung erneuerbarer Energien), im Bau, in der Forschung über Baumaterialien und im Umweltrecht viele zukunftsträchtige Berufe gibt. Das Recht ist ein Bereich, in den junge Menschen Bewegung bringen können.

Ist es interessanter, in traditionellen Sektoren (Banken, Versicherungen, usw.) Nachhaltigkeit herbeizuführen oder neue Tätigkeitsgebiete zu erschliessen, um die Gesellschaft nachhaltiger zu gestalten?

RM: Man kann darauf warten, dass sich die bestehenden Berufe selber weiterentwickeln, aber das könnte zu langsam gehen, nicht radikal genug sein. Menschen, die Ideen haben, tragen dazu bei, dass neue Berufe entstehen. Diese müssen aufgewertet werden. Wichtig ist, eine sinnhafte Tätigkeit auszuüben.

AM: Die wichtigste Herausforderung ist, der Arbeit wieder einen Sinn zu geben. Ich denke, dass sich alle Berufe weiterentwickeln müssen. Dazu braucht es aber einen gewissen politischen Willen.

Kann man seinen ökologischen Überzeugungen folgen und gleichzeitig einen angemessenen Lohn verdienen?

AM: Ich sehe eine grosse Kluft zwischen der Wichtigkeit einiger Berufe und ihrer Entlöhnung. In wesentlichen Sektoren wie der Landwirtschaft oder dem Gemüseanbau ist die Arbeit körperlich anstrengend, die Löhne sind aber wirklich tief. Das Gleiche gilt für das Gastgewerbe. Auch da muss sich etwas ändern. RM: Wenn man von den Einzelnen erwartet, dass sie etwas unter­nehmen, um die Gesellschaft nachhaltiger zu machen, muss man ihnen die Mittel geben, um das auch zu schaffen. Dazu muss man das Geld dort suchen, wo es vorhanden ist. Es muss auch jeder selber seine Vorstellungen bezüglich des Geldes überdenken. Ein Vermögen zu verdienen, um sich immer mehr Güter zu kaufen, ist in keiner Weise nachhaltig. Man kann sehr gut mit einem bescheidenen Einkommen leben.

Welches sind Ihrer Meinung nachdie Berufe von morgen? Die Sektoren, in denen man mehr Arbeitsplätze schaffen sollte?

AM: Mir fällt auf Anhieb die Landwirtschaft ein, aber in ihrer unkonventionellen Form. Viele motivierte und kompetente junge Menschen schliessen ihre Ausbildung ab, können aber ihre Tätigkeit nicht
ausüben, weil sie kein Land haben. RM: Ich denke auch, dass die landwirtschaftlichen Berufe wieder aufgewertet werden müssen. Damit sich die Jugendlichen dafür interessieren, sollte man sich vom vollständig mechanisierten und automatisierten Modell entfernen. AM: Wenn man den Maschinen­einsatz reduziert, ist das zudem eine Lösung, um Arbeitsplätze zu schaffen!

Ihr Idealberuf, wenn es keine Hindernisse gäbe?

RM: Eine schwierige Frage! Ich denke, was mich am meisten anzieht, ist das Studium von Wildtieren, das Verstehen von Leben.

AM: Ich würde landwirtschaftliche Nutzflächen kaufen und jungen Menschen mit einer entsprechenden Ausbildung zur Verfügung stellen, damit sie das Land bewirtschaften können unter Achtung der Umwelt in all ihren Dimensionen.

Ziel: Ökologische Berufswahl

Die Stiftung Myclimate mit Sitz in Zürich ist auf Beratungen und Ausbildungen im Bereich Klimaschutz spezialisiert und hat das Projekt «Jobs for Future» lanciert. Dieses besteht darin, Überlegungen zur Nachhaltigkeit in die Berufsberatung für Schülerinnen und Schüler der Sekundarschulen zu integrieren, vor allem für die künftigen Lernenden in der Schweiz.

Dazu arbeitet die Stiftung mit verschiedenen Berufsinformationszentren (BIZ) zusammen und lädt ihr Beratungspersonal dazu ein, diese neue Dimension in den Austausch mit den Jugendlichen und ihren Familien einzubauen. Sie bietet zudem einen 90-minütigen Klassen-Workshop für Sekundarschülerinnen und -schüler an. Das Ziel? Dass sie darüber nachdenken, wie sie in ihrem künftigen Beruf einen Beitrag zu den ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit leisten können.«Am Anfang, wenn man mit ihnen darüber spricht, für die Umwelt zu arbeiten, reagieren einige Jugendliche mit der Aussage, dass sie nicht in einer NGO aktiv sein oder im Wald arbeiten wollen. Wenn sie dann verstehen, dass sie in ihrem angestrebten Beruf die Umweltsituation verbessern können, motiviert sie das sehr», erläutert Mischa Kaspar, Leiter des Teams für Berufsberatung und -bildung bei der Stiftung Myclimate. Bei einer Diskussion darüber, welche Berufe es braucht, um ein altes Gebäude durch einen moderneren Bau zu ersetzen, stellte zum Beispiel ein Teilnehmer fest, dass er bei einem solchen Vorhaben seinen Platz als Logistiker finden könnte, indem er die Baumaterialien effizient bereitstellt.

Das BAFU hat entschieden, dieses Programm finanziell zu unterstützen. «Das Projekt Jobs for Future vermittelt eine wichtige Botschaft, die unbedingt gefördert werden soll: In jedem Beruf kann ich meinen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz sowie zur Nachhaltigkeit leisten», erklärt Séverine Haldi, Spezialistin für Klimabildung beim BAFU. «Das Programm fördert auch die Zusammenarbeit zwischen den Berufsberatungsakteuren, wie den Berufsinformationszentren (BIZ), den Anbietern von didaktischem Material für die Berufswahl, den Betreibern von Lehrstellenplattformen, den mit der Berufswahl beauftragten Lehrpersonen, den Berufsberaterinnen und -beratern sowie den Fachleuten aus den Bereichen Umwelt und nachhaltige Entwicklung», betont sie.

Der Klassen-Workshop ist für die Lehrpersonen kostenlos. Er kann in die für die Berufsberatung vorgesehenen Lektionen integriert werden, aber auch in andere Fächer wie «Natur, Mensch, Gesellschaft».

Die Berufe von morgen

In einer kürzlich durchgeführten Studie (Nationales Forschungsprogramm NFP 73 «Nachhaltige Wirtschaft») des Schweizerischen Nationalfonds wurde untersucht, welche Berufsfelder ein hohes Potenzial für «grüne» Tätigkeiten aufweisen. Die im Mai 2021 veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass folgende fünf Felder besonders wichtig sind:

  1. Ingenieurwissenschaften (ausgenommen Elektrotechnik, Elektronik und Telekommunikation): um energieeffiziente Systeme zu konzipieren
  2. Physik, Chemie und Geologie: um neue Herstellungsverfahren und Materialien für die Weiterentwicklung erneuerbarer Energien zu finden
  3. Produktion in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Lebensmittelbereich und in der Fischerei: um eine möglichst nachhaltige Ernährung anzustreben
  4. Naturwissenschaften und Mathematik: um Lebewesen besser verstehen zu können
  5. Produktion in Bergbau, Warenherstellung und Bau: um die Qualität und die Effizienz bei der Produktkonzipierung zu verbessern.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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