Der 5G-Wanderer: auf Diskretion bedacht

Hat Nicolas Loizeau vielleicht den besten Doktorats-Job der Schweiz? Er sitzt auch viel am Computer, klar. Aber ebenso oft spaziert er durch verschiedenste Gegenden der Schweiz, einen grossen Rucksack geschultert. Darin trägt er drei kleine Geräte herum, auf exakt gewählten Routen, und misst die elektromagnetische Strahlung. Wir haben ihn einen Tag lang begleitet.

Text: Roland Fischer

Nicolas Loizeau
Nicolas Loizeau sieht mit seinem Mess-Rucksack unscheinbar genug aus. Hier vermisst er die 5G-Strahlung am Rande der Altstadt von Burgdorf (BE).
© Yoshiko Kusano/Lunax/BAFU

Start in Solothurn, wir treffen uns im Regioexpress nach Bern. Rasch wird klar, dass das kein gewöhnlicher Spazier-Ausflug wird: Kaum hat sich Nicolas Loizeau ins Abteil gesetzt, bittet er mich, das Handy in den Flugmodus zu schalten. Denn die Geräte in seinem Rucksack sind empfindlich, sie zeichnen unter anderem die Strahlung unserer Telefone auf und das würde die Messung verfälschen. Wir steigen in Bätterkinden aus, Loizeau ist noch nicht so recht zum Plaudern aufgelegt. Er muss im mittelländischen Siedlungsbrei den Startpunkt der ersten Tour finden. Strasse runter zur Busstation – so ist es auf seiner Karte verzeichnet.

Wie exponiert ist das Häuschen-Quartier?

Warum wir gerade hier entlang gehen? Wenn Loizeau zu erklären beginnt, merkt man rasch: Diese vom BAFU in Auftrag gegebenen und vom Konsortium SwissNIS ausgeführten Expositionsmessungen zu nichtionisierender Strahlung (NIS, siehe Box S. 46) sind eine komplexe Angelegenheit mit mehreren Mess-Routinen. Loizeau ist für die Aussenmessungen zuständig. «In 5G-kritischen Blogs ist hin und wieder von den 5G-Wanderern die Rede. Das bin ich.» Die sogenannten Spotmessungen dagegen bestehen aus Messungen in privaten Wohnungen und einer 24h-Messung im Schlafzimmer. Und als drittes Element kommen Dauermessungen mit stationären Messstationen dazu.

Dabei gibt es Überschneidungen. Wir selbst sind in einem unscheinbaren Häuschen-Quartier unterwegs, keine Handyantenne weit und breit. «Im selben Perimeter wird es auch eine Spotmessung geben», sagt Loizeau, durchgeführt von einer anderen Equipe. Dabei geht es um besonders exponierte Häuser. Bald entdeckt Loizeau einen solchen Kandidaten: ein älteres Wohnhaus, zu dem eine überirdische Stromleitung führt. Das könne für Emissionen im Haus selbst sorgen, erklärt er.

Durch all diese Messungen soll ein möglichst vollständiges Bild davon entstehen, welchen NIS-Belastungen wir im Alltag tatsächlich ausgesetzt sind – Pionierarbeit übrigens. So rigoros werde dies sonst nirgends erfasst, sagt der BAFU-Sektionschef für Nichtionisierende Strahlung Alexander Reichenbach. Das weckt auch Interesse im Ausland: «Das Schweizer Monitoringsystem wird in ähnlicher Form wohl auch in Deutschland und in einem startenden EU-Projekt angewandt.» So würden die Schweizer Messungen direkt vergleichbar mit jenen in anderen europäischen Ländern.

Messgerät für Strahlenbelastung
Check: Ja, es läuft alles. Ausser zur Kontrolle bleiben die Messgeräte im Rucksack, wo sie laufend die Strahlenbelastung registrieren.
© Yoshiko Kusano/Lunax/BAFU

Werte im grünen Bereich

Das Monitoring ist eine der sechs vom Bundesrat 2020 beschlossenen Begleitmassnahmen, die Vertrauen in die Mobilfunktechnologie schaffen sollen. Denn was unseren Umgang mit Technologien und Risiken angeht, ist Elektrosmog eine Problemzone. In einer vom BAFU lancierten repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2021 gab eine Zweidrittelmehrheit an, 5G-Strahlung als eher bis sehr riskant wahrzunehmen. Gegen dieses ungute Gefühl versucht man nun mit belastbaren Fakten anzugehen. Ein erster Zwischenbericht aus dem Jahr 2022 gab schon mal Entwarnung: Die Grenzwerte wurden nirgends auch nur annähernd erreicht.

Loizeau, von Haus aus Physiker, arbeitet am Tropen und Public Health Institut Swiss TPH, in der Abteilung Umweltexposition und Gesundheit. Auf seinen Touren würde er auch als Landschaftsgärtner durchgehen: robust angezogen und mit festem Schritt. «Ich bin froh, viel draussen zu sein», sagt er. Aber natürlich gibt es auch Büroarbeit. Er analysiert die Schweizer Geografie, damit er mit möglichst wenigen Messrouten möglichst umfassend abbilden kann, wie sich die Strahlenbelastung in der Schweiz verteilt. Und dann zieht er los – 300 Mikro-Wanderungen insgesamt, je ein Kilometer lang.

Selten wandert er auch mal klassisch, in der Natur, fernab aller Infrastruktur, die für elektromagnetische Strahlung verantwortlich ist. In den Jura-Hügeln vielleicht oder auch mal in den Alpen. Normalerweise ist er aber im Siedlungsraum unterwegs, in repräsentativen Gegenden eben, wie hier in Bätterkinden, oder regelmässig auch in belebten Grossstadtzentren. Dabei zeichnen die Geräte in seinem Rucksack laufend die Stärke der elektromagnetischen Felder auf. Die handlichen in Schaumstoff eingelassenen Messgeräte registrieren hochfrequente Strahlung, die von Mobilfunk oder WLAN ausgeht, sowie niederfrequente Felder, die zum Beispiel um Hochspannungsleitungen existieren. Tatsächlich stellt er die Geräte den ganzen Tag lang nie ab, um auch während der Mittagspause, am Bahnhof oder im Zug zu messen.

Mess-Rucksack von Nicolas Loizeau
Weich in Schaumstoff eingepackt befinden sich im Rucksack von Nicolas Loizeau drei Messgeräte für verschiedene Frequenzen.
© Yoshiko Kusano/Lunax/BAFU

Unsichtbares Unbehagen

«Ein voller Zug, Stosszeit, alle am Handy, das ist wohl der intensivste Strahlungsmoment, den wir im Schweizer Alltag erleben können», erklärt Loizeau. Dann wird gesendet, was das Zeug hält. Ausserdem stellt der Zug ohnehin eine schwierige Strahlungssituation dar: Die Metallhülle schirmt ab, so müssen die Handys auf volle Leistung gehen, um eine halbwegs zuverlässige Verbindung aufzubauen – auch wenn die immer öfter in den Wagen installierten Repeater zum Teil Abhilfe schaffen, weil die Handys nur bis zu ihnen senden müssen. Im halb leeren Zug von Utzenstorf nach Burgdorf stellt man sich für einen Moment vor, wie es sich wohl anfühlen würde, hätten wir einen Sinn für diese Strahlung, die immer um uns herum ist.Tatsächlich gibt es Menschen, die sich diesbezüglich als «hochsensitiv» beschreiben. Laut einer Schätzung sind es fünf Prozent der Gesamtpopulation. Auch sie könnten eigentlich froh sein um Loizeaus Messreihen – aber die Stimmung ist eher gereizt in mobilfunkskeptischen Kreisen. Loizeau kennt die Diskussionen, deshalb ist es ihm auch lieber, für diese Reportage nicht fotografiert zu werden. In Bevölkerungsumfragen polarisiert das Thema 5G stark. BAFU-Experte Reichenbach sagt, nicht bei allen Personen komme man mit Information tatsächlich weiter. Aber was den gesamtgesellschaftlichen Austausch angeht, ist er gar nicht so pessimistisch. Von einer Austauschplattform, auf der Kritikergruppen mit Behörden und Industrie in einen Dialog kommen, hat er den Eindruck mitgenommen, es werde geschätzt, was das BAFU macht, «dass wir uns bemühen, die Menschen zu informieren und zu schützen».

Nicolas Loizeau ist indessen froh, dass sein Professor die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht und sich der Auseinandersetzung stellt, zum Beispiel in Podiumsdiskussionen. Loizeau selbst bleibt lieber im Hintergrund, verschwindet auf Nebenstrassen und in Industriegebieten.

Wo sind die Handyantennen?

Dass er hilft zu belegen, dass die Exposition unter den Grenzwerten bleibt, wird die kritischen Kreise nicht zum Verstummen bringen, dessen ist er sich bewusst. Auf diesen Touren geht es ja um die Frage, wie gross die Strahlenbelastung ist, nicht, ob sie einen Effekt auf Körper und Psyche hat, und wenn ja, ab welchem Grenzwert – das ist nochmals eine ganz andere Frage. Eine, die auch in Fachkreisen heiss diskutiert wird. «Man weiss, dass es biologische Effekte auch im Bereich der Grenzwerte gibt», sagt Reichenbach, zum Beispiel bei starker Exposition durch ein Mobiltelefon vor dem Schlafengehen. In Messungen der Gehirnaktivität mittels EEG konnte man Veränderungen nachweisen. Zu einer spürbaren Verschlechterung der Schlafqualität führt das aber nicht. Inzwischen hat uns Nicolas Loizeau ins Migros-Restaurant in Burgdorf gelotst – das findet er für diesen Messzyklus interessanter als eine ruhige Restaurantterrasse in der Altstadt. Da wurden wir übrigens enttäuscht, was Fotomotive angeht – wo ist die pittoreske Handyantenne im Hintergrund, wenn man sie braucht? Nach einem Tag mit dem 5G-Wanderer hat man einen wacheren Blick auf eine Infrastruktur, ohne die heute gar nichts mehr gehen würde, die sich aber auch ganz gern im Hintergrund hält. «Handyantennen stehen öfter in Industriezonen, weil es da kaum Widerstand gibt», sagt Loizeau. Das ist unsere seltsame Technikrealität: Das Handy immer am Ohr, den Sendemast aber möglichst aus den Augen, aus dem Sinn.

Nichtionisierende Strahlung (NIS)

Zur nichtionisierenden Strahlung (NIS) gehören elektromagnetische Felder von Hochspannungs- und Bahnleitungen und die hochfrequente elektromagnetische Strahlung von Mobilfunk- und Funknetzwerken. Auch statische Magnetfelder von MRI-Geräten oder von Induktionsherden emittieren nichtionisierende Strahlung. Je nach Frequenz haben diese Strahlungen unterschiedliche Ausbreitungseigenschaften und auch die Wirkungen auf den Menschen sind abhängig von der Frequenz und Stärke.

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Letzte Änderung 29.11.2023

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