Ein nächtlicher Spaziergang: «Wird Licht sparsam eingesetzt, sind die Effekte wirkungsvoller»

Immer mehr Schweizer Städte bemühen sich, die Lichtverschmutzung zu begrenzen. Wie gut gelingt das? Ein nächtlicher Spaziergang durch Bern mit den BAFU-Fachleuten Danielle Hofmann und Alexander Reichenbach.

Interview: Lucienne Rey

© Severin Bigler/Lunax
Alexander Reichenbach hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert und arbeitet seit 2001 in der Sektion Nichtionisierende Strahlung (NIS) des BAFU, die für die neue Vollzugshilfe zur Vermeidung von Lichtemissionen zuständig ist. Seit Oktober 2018 ist Alexander Reichenbach Leiter der Sektion.
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Wir stehen hier auf dem Helvetiaplatz in Bern. Der Platz ist weit­läufig, am Rand sind Autos parkiert, in der Mitte steht ein mächtiges, dunkles Monument. Jetzt, um 21 Uhr, ist es hier dunkel. Genügt die zurückhaltende Beleuchtung für die öffentliche Sicherheit?

Alexander Reichenbach (AR): Ja, denn nicht immer bedeutet mehr Licht auch mehr Sicherheit. Als wir die aktuelle Vollzugshilfe «Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen» erarbeiteten, haben Fachleute der städtebaulichen Kriminalprävention darauf hingewiesen, dass Licht Verbrechen sowohl verhindern als auch begünstigen kann. Wird etwa ein Parkplatz stark beleuchtet, fällt es einem Dieb leichter zu erkennen, was sich im Innern der Autos befindet und welche es sich aufzubrechen lohnt. Dagegen braucht es bei einer spärlichen Beleuchtung eine Taschenlampe, um ins Fahrzeug zu sehen, und das fällt auf. Damit Licht die Sicherheit erhöht, ist ohnehin eine soziale Kontrolle erforderlich: Wenn niemand da ist, der etwas bemerken könnte, nützt jede Beleuchtung nichts.

Danielle Hofmann (DH): Auf dem Helvetiaplatz scheint mir die Situation gut gelöst; die Sichtachsen sind offen und man sieht schon von Weitem, wenn sich jemand nähert. Zudem gibt es hier keine starken Kontraste zwischen Licht und Schatten, was eine hohe Sichtbarkeit gewährleistet.

Das dominierende Gebäude in der Mitte des Platzes ist das Bernische Historische Museum mit seinem Park. Was halten Sie von deren Beleuchtung?

(DH): Positiv fällt hier auf, dass die Bäume fast ganz im Dunkeln sind. Beleuchtet wird einzig die Fassade.

(AR): Früher war es üblich, Gebäude mit starken Scheinwerfern von unten zu bestrahlen, was die Lichtemissionen nach oben streut. Das erzeugt die unerwünschten Lichtdome, welche die Nacht grossräumig aufhellen und besonders auch Vögel beeinträchtigen. Dagegen wird das Historische Museum auf moderne Art in Szene gesetzt: Die Beleuchtung kommt von der Spitze zweier Masten, und es werden Masken eingesetzt, die das Licht präzis auf das Objekt zuschneiden. So ist es möglich, bestimmte Bereiche der Fassade im Schatten zu lassen: etwa dort, wo Vögel nisten können oder wo Fledermäuse aus ihren Tagesschlafverstecken herausfliegen.

Danielle Hofmann hat ihr Biologiestudium an der Universität von Neuchâtel absolviert. Seit 2013 ist sie in der Sektion Wildtiere und Artenförderung des BAFU tätig. Unter anderem betreut sie die Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten und ist für die Artenförderung zuständig.
© Severin Bigler/Lunax

Wir spazieren nun über die Kirchenfeldbrücke, deren Leuchten – hohe, elegante Kandelaber – hell strahlen. Wäre schwächeres Licht oder eine bläuliche Beleuchtung, wie man sie etwa aus öffentlichen Toiletten kennt, nicht energiesparender und umweltfreundlicher?

(DH): Für Insekten wäre blaues Licht gar nicht günstig, denn von diesem werden sie besonders stark angezogen. Es fällt aber auf, dass die Kandelaber am Brückenkopf die Kronen der Bäume beleuchten. Das sollte vermieden werden, da es Insekten oder Vögel, die dort leben, möglicherweise stört. Zudem bringt es Bäume unter Umständen dazu, ihr Laub verspätet zu verlieren. Vorbildlich gestaltet ist die Beleuchtung der Strasse, die unter der Brücke zur Aare hinunterführt: Hier sind die Leuchten mit Abschirmungen versehen und so ausgerichtet, dass sie nicht in die daneben stehenden Bäume strahlen.

(AR): Um durch die Wahl der Lichtfarbe Energie zu sparen, müssten wir allenfalls grünes Licht erwägen. In der Dämmerung reagiert nämlich das menschliche Auge auf blau-grünes Licht besonders sensibel, deshalb reicht hier eine geringere Lichtintensität, was weniger Energie verbraucht. Allerdings spielt bei Fragen der Beleuchtung stets auch die Ästhetik eine Rolle. Bei der Kirchenfeldbrücke als geschichtsträchtigem Bauwerk gilt es, die Tradition zu beachten. Darum wurden die Kandelaber mit warmweissen, in der Nacht gedimmten LED ausgerüstet, deren Licht auf das menschliche Auge angenehm wirkt.

Wenn wir über die Brüstung der Brücke hinabschauen, sehen wir die Aare und ihre Ufer. Wie beurteilen Sie die dortige Beleuchtung?

(DH): Am rechten, südlichen Flussufer stehen historische Leuchten, die auf dem Fluss Lichtreflexe erzeugen. Für bestimmte Fischarten ist das ungünstig, denn sie versuchen den Wechsel zwischen hell und dunkel zu meiden. Positiv ist, dass am gegenüberliegenden Aareufer die grossen Gärten am Fuss der Bundesterrasse ganz im Finstern liegen. Sie dürften vielen Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten. Zu bedauern ist allenfalls, dass die Brücken- und Strassen­beleuchtung die Insekten von dort weglockt und dass damit ihre nächtliche Bestäubungsleistung in diesen Gärten abnimmt.

(AR): Die Stadt Bern hat ein Beleuchtungskonzept ausgearbeitet, das die Beleuchtung der Aare untersagt. Allerdings ist die Umsetzung nicht immer einfach, weil es gleichzeitig Normen zur Strassenbeleuchtung gibt, die auch für die Strassen hier entlang des Ufers gelten. Oben beim Bundeshaus ist die Beleuchtung übrigens gut gelungen. Durch die dunkle Umgebung hebt sich der Bau umso dramatischer hervor. Wird Licht sparsam eingesetzt, sind die Effekte wirkungsvoller, als wenn sich die Gebäude gegenseitig überstrahlen müssen.

Wir erreichen nun den Casinoplatz. Hier fahren Trams und Autos, wir sehen auch verschiedene Schaufenster…

(AR): Hier drängt es sich auf, die Umgebungshelligkeit miteinzubeziehen. Dabei hilft uns die 7-Punkte-Checkliste der neuen Vollzugshilfe. Sie nennt die Leitprinzipien, die es bei jeder Beleuchtung zu berücksichtigen gilt. Eines dieser Prinzipien empfiehlt, die verschiedenen Bedürfnisse für Beleuchtung mit der geringstmöglichen Gesamtlichtmenge abzudecken.(DH): Der Eingang zum Metro-Parkhaus wirkt relativ grell, das fällt ins Auge.

Dafür erstrahlt der Zytglogge-Turm vergleichsweise dezent, wenngleich die ganze Fassade in Licht getaucht ist. Entspricht diese Beleuchtung der Vollzugshilfe?

(AR): Wie beim Historischen Museum fällt das Licht von vorne und nicht von unten auf das Gebäude. Hier werden fokussierte Lichtpunkte eingesetzt. Bevor man die Beleuchtung installierte, hatte die städtische Fachstelle für Natur und Ökologie abgeklärt, ob es am Turm Nistplätze oder Fledermauskolonien gibt, die man vor dem Licht schützen müsste. Das war aber nicht der Fall.

(DH): Dieses Vorgehen ist mustergültig, denn es ist immer am besten, den Naturschutz frühzeitig einzubeziehen. Die Fachleute kennen die heiklen Orte, wo Tiere gestört werden könnten. Hier ist die Beleuchtung tatsächlich optimal. Das können wir auch daran erkennen, dass die Fenster der Nachbargebäude nicht mit Storen vor dem Licht abgeschirmt werden müssen.

Die Vogel-Nistplätze an der Fassade des Bernischen Historischen Museums werden bewusst im Dunkeln gelassen.
© Severin Bigler/Lunax

Wir stehen nun am Anfang der unteren Altstadt, in den Lauben befinden sich Geschäfte mit Schaufenstern. Was gilt es zu beachten, wenn die Auslage im besten Licht erscheinen soll?

(AR): Die Lauben schirmen das Licht aus den Schaufenstern ab, so scheint es kaum in den offenen Strassenraum hinaus. Das ist optimal. Das Beleuchtungskonzept der Stadt Bern macht den Geschäften Vorgaben zur Intensität ihrer Schaufenster- und Vitrinenbeleuchtung und schreibt in Bewilligungsverfahren zeitliche Beschränkungen für Leuchtreklamen vor. Diese sind in der Altstadt um 23 Uhr auszuschalten, diejenigen in Schaufenstern dürfen nur mit reduzierter Intensität weitergeführt werden. Der Werbeeffekt bleibt dennoch sehr gut, wie ein Pilotprojekt bestätigt hat.

(DH): Problematischer als die Schaufenster sind die in den Pfeilern der Arkaden angebrachten Vitrinen und Leuchtkästen. Ihr Schein reicht bis auf die Strasse, vor allem, wenn sie besonders hell beleuchtet sind.

Könnten allenfalls Beleuchtungen mit Bewegungsmeldern dieses Problem entschärfen?

(AR): An diesem Ort wohl eher nicht. Gehen viele Passanten vorbei, führt dies zu vielen Wechseln der Beleuchtungsintensität, was beispielsweise Anwohnende stark stören könnte. Leuchten mit Bewegungsmeldern für Licht nach Bedarf werden darum vor allem auf relativ wenig frequentierten Strassen eingesetzt.

Die Stadt Bern hat mit ihrem Beleuchtungskonzept offenbar vieles richtig gemacht und ist dabei der aktuellen BAFU-Vollzugshilfe zuvorgekommen. Braucht es diese überhaupt?

(AR): Ja, es braucht sie. Die Vollzugshilfe befand sich bereits im Jahr 2017 in der Vernehmlassung. Die Stadt Bern kannte damals also den Konsultationsentwurf und hat sich unter anderem auf unsere Empfehlungen abgestützt.

(DH): Zudem haben viele Städte noch kein umfassendes Beleuchtungs­konzept – sogenannte Plans lumière – und können die Vollzugshilfe nutzen. Überhaupt richtet sich die Vollzugshilfe nicht nur an Städte und Gemeinden. Auch Umwelt-, Ingenieur- und Planungsbüros oder Eigentümer und Eigentümerinnen von Beleuchtungsanlagen sollten sie zurate ziehen.

Die aktualisierte Vollzugshilfe ersetzt die Ausgabe aus dem Jahr 2005. Was hat sich geändert?

(AR): Die praxisorientierte 7-Punkte-Checkliste zur Verminderung von Lichtemissionen wurde im Vergleich zur bisherigen Version stark ausgebaut. Zudem sind die technischen Innovationen der letzten Jahre eingeflossen. Neu ist auch eine Relevanzmatrix, welche die Wirkung der Emission mit der Empfindlichkeit der Umgebung in Zusammenhang bringt. Schliesslich enthält die aktuelle Vollzugs­hilfe Richtwerte, um die störende Wirkung von Licht auf den Menschen zu beurteilen.

Wenn die störende Wirkung auf die Menschen berücksichtigt wird, müsste es konsequenterweise nicht auch Richtwerte für die Natur oder zumindest für gewisse Tiere geben?

(DH): Das wäre kaum machbar, denn Tiere reagieren sehr unterschiedlich auf Licht. Es gibt Arten, die es meiden, andere werden davon angezogen, und auch Farbe und Intensität des Lichts werden je nach Art ganz anders wahrgenommen. Wir wissen beispielsweise, dass in aquatischen Milieus viele Wasser­insekten ihren Lebensraum verlassen, weil sie von Licht an anderen Orten angelockt werden. Dagegen werden Amphibien von Beleuchtung in ihrer Mobilität gehindert, da sie sich nur schwer an starke Licht- und Schattenkontraste anpassen können. Es müssten also für jede Tiergruppe eigene Richtwerte ermittelt werden, oder sogar für jede Art.

Wir haben heute die Situation in der Stadt besichtigt. Was gilt es in ländlichen Gebieten zu berücksichtigen?

(DH): Für die Natur braucht es unbedingt unbeleuchtete Zonen und zusammenhängende Dunkelkorridore, damit sich die Tiere zwischen verschiedenen Arealen und Lebensräumen bewegen können. Ist das nicht gegeben, hat es negative Auswirkungen auf die Biodiversität. Die kleine Hufeisennase etwa, eine gefährdete Fledermausart, ist äusserst lichtscheu. Eine Studie hat gezeigt, dass diese Art aus dem Val de Bagnes in den Walliser Alpen verschwand, nachdem eine öffentliche Strassenbeleuchtung installiert worden war. Stattdessen hat sich dort eine bereits häufiger vorkommende Fledermausart, die Zwergfledermaus, angesiedelt.

Fazit

Nicht alle Orte in Städten müssen stark beleuchtet werden – häufig genügt weniger Licht, als man denkt. Die Vollzugshilfe «Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen» unterstützt Gemeinden dabei, Beleuchtung so einzusetzen, dass sie die Bedürfnisse der Menschen abdeckt und dabei Rücksicht auf die Tierwelt nimmt.

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Letzte Änderung 28.09.2022

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