Aussergewöhnliche Hochwasser im November und Dezember 2023

30.01.2024 - Gleich zweimal innerhalb weniger Wochen waren die West- und Nordschweiz im November und Dezember 2023 von Hochwasser betroffen. Schneefälle, gefolgt von intensivem Regen und Schneeschmelze führten vielerorts zu starken Anstiegen der Abflüsse und Wasserstände. Dies in einem Ausmass, wie es in den Wintermonaten bisher selten oder noch nie beobachtet wurde. Ein Rückblick auf diese beiden Ereignisse und was sie besonders macht.

Grand Eau bei Aigle (VD) am 14.11.2023
Grand Eau bei Aigle (VD) am 14.11.2023
© David Volken

Der Herbst war überdurchschnittlich nass: Bereits im Oktober hatte es viel geregnet und die Böden waren feucht. Sowohl im November wie auch im Dezember 2023 fielen dann verbreitet grosse Niederschlagsmengen, die von den mit Wasser gesättigten Böden nicht mehr überall aufgenommen werden konnten. Weil die Schneefallgrenze zeitweise über 2000 m ü.M. lag, fiel der Niederschlag in vielen Gebieten als Regen und verstärkte dort, wo bereits Schnee lag, die Schneeschmelze. In der Folge führten zahlreiche Gewässer Hochwasser. Nicht betroffen waren die Südschweiz, der Kanton Graubünden und das Oberwallis.

Schnee und Regen im November

Die ersten Starkniederschläge ereigneten sich vom 12. bis am 15. November 2023: Grund war eine kräftige Westströmung auf der Alpennordseite und im Wallis. Während drei Tagen fielen gemäss Messungen von MeteoSchweiz verbreitet 60 bis 90 mm Niederschlag, regional auch deutlich mehr (siehe Ausführungen im MeteoSchweiz-Blog):

Während der Niederschlag anfänglich bis in tiefe Lagen als Schnee fiel, stieg die Schneefallgrenze am 13. November stark an. Dadurch kam zum Dauerregen auch Schneeschmelze bis in hohe Lagen hinzu. Der Regen fiel am Abend des 14. Novembers und in der Nacht auf den 15. November mit hohen Intensitäten auf die bereits gesättigten Böden und gelangte sehr rasch in die Gewässer. Insbesondere kleinere und mittlere Fliessgewässer stiegen in der Folge markant an.

Gefahrenstufe 5 an Arve, Gürbe, Kander und Sarine

Am stärksten waren die Anstiege der Pegel von Arve, Gürbe, Kander und Sarine, bei denen Hochwasser im Bereich der Gefahrenstufe 5 (sehr grosse Gefahr) verzeichnet wurden. Bei der Arve bei Genf bedeutete die Abflussmenge von über 1000 m3/s ein neuer absoluter Höchstwert in der 85-jährigen Messreihe. Die Wiederkehrperiode des Ereignisses wird auf über 300 Jahre geschätzt. Auch die Abflüsse der Gürbe bei Belp (64,3 m3/s), der Sarine (Saane) in Fribourg (929 m3/s) sowie der Saane bei Laupen (950 m3/s) waren noch nie so hoch, seit das BAFU an diesen Orten Messungen vornimmt. In Fribourg und Belp werden die Wiederkehrperioden auf 100 bis 300 Jahre, in Laupen auf 30 bis 50 Jahre geschätzt. Zwar keine neuen Maxima, aber ebenfalls sehr grosse Abflussmengen im Bereich der Gefahrenstufen 3 und 4 konnten an weiteren Gewässern des westlichen Mittellands beobachtet werden. Die Messwerte im Vergleich zu den Gefahrenstufen und Hochwasserstatistiken sind in untenstehender Karte und Tabellen zusammengestellt.


Niederschlagssummen, höchste Hochwasser-Messwerte und Vergleich mit den Gefahrenstufen


Infolge der hohen Zuflüsse der Flüsse und Bäche steigen auch die Wasserstände der Seen an: Am Thuner- und Genfersee erreichten die Pegel die Gefahrenstufe 2 (mässige Gefahr), der Wasserstand des Bielersees stieg in die Gefahrenstufe 3 (erhebliche Gefahr) an. Da weitere Niederschläge vorhergesagt waren, liessen die kantonalen Fachstellen, die für die Seeregulierungen zuständig sind, vorausschauend viel Wasser aus den Seen ab, um diese zu entlasten. Aus diesem Grund führte die Aare unterhalb des Bielersees noch tagelang Hochwasser, auch als die Niederschläge bereits nachgelassen hatten.

Nasser Dezember mit viel Regen und Schnee

Im Dezember zeigte sich dasselbe Bild: Bereits in der letzten Novemberwoche fielen in mittleren und dann auch in tiefen Lagen beträchtliche Mengen an Neuschnee. Anfang Dezember war es kalt und es schneite entlang dem Alpennordhang und im Mittelland nochmals aussergewöhnlich stark. Vom 8. bis 15. Dezember sorgte dann eine West- bis Nordwestströmung für die Zufuhr von feuchtmilder Luft und es fielen grosse Niederschlagsmengen - lokal so viel, wie sonst im ganzen Dezember zu erwarten wäre. Die Schneefallgrenze lag dabei oft zwischen 1000 und über 2000 m ü.M., sodass es bis weit hinauf regnete und zusätzlich eine starke Schneeschmelze erfolgte. Gemäss MeteoSchweiz war es einer der fünf niederschlagreichsten Dezembermonate seit Messbeginn 1864.

Schon wieder Hochwasser an der Arve

Infolge der Regenfälle und der Schneeschmelze führten zwischen dem 10. und dem 21. Dezember 2023 wiederum viele Flüsse und Seen in der Schweiz Hochwasser. Betroffen waren grösstenteils dieselben Regionen wie schon Mitte November (siehe Karten oben). Zu Überschwemmungen kam es diesmal aber auch an kleineren Seen des Mittellands, wie etwa am Hallwiler- und Baldeggersee.

Da die Ausgangslage vergleichbar war mit der Situation Mitte November, wurde im Voraus befürchtet, dass die Arve, die Sarine und die Broye wieder sehr grosse Abflussmengen führen würden. Bei solchen Ereignissen sind schliesslich die tatsächlichen Intensitäten der Niederschläge sowie die Schwankung der Schneefallgrenze entscheidend. Am 13. Dezember stieg der Abfluss der Arve mit knapp 800 m3/s in die Gefahrenstufe 4 an und lag somit etwas tiefer als am 15. November (siehe Grafik).

Abfluss an der BAFU-Messstation Arve-Genève, Bout du Monde
Abfluss an der BAFU-Messstation Arve-Genève, Bout du Monde: Das Hochwasser am 15. November 2023 erreichte mit rund 1000 m3/s die Gefahrenstufe 5 und einen neuen Höchstwert in der langen Messreihe. Das Ereignis vom 13. Dezember war kleiner: Es wurde ein Abfluss von knapp 800 m3/s verzeichnet, der im Bereich der Gefahrenstufe 4 liegt.

So hohe Pegel wie noch nie im Dezember

Verglichen mit dem November-Ereignis lagen die Abflussspitzen Mitte Dezember auch an den meisten anderen Gewässern tiefer. Bei einigen Flüsse im Jura und im Mittelland, insbesondere an Flüssen unterhalb von Seen, übertrafen die Dezembermaxima jedoch die Werte von November. So zum Beispiel an der Aare bei Bern. Bei praktisch allen Seen auf der Alpennordseite lagen denn auch die maximalen Wasserstände im Dezember höher als die Novembermaxima, insbesondere bei Murten-, Neuenburger- und Bielersee. Neue absolute Höchstwerte wurden während diesen Tagen keine registriert. An sehr vielen BAFU-Messstationen wurden jedoch neue Maxima für den Monat Dezember verzeichnet (siehe Tabellen oben).

Das Besondere an diesem Hochwasserereignis war also, dass die hohen Werte im Winterhalbjahr – und nicht während der Sommermonate (Mai bis August) – auftraten. Dies zeigt sich auch am Beispiel des Bielersees: Sein bisheriger Höchststand im Monat Dezember lag in den letzten 40 Jahren bei 429.45 m ü.M. Am 13. Dezember jedoch erreichte der Pegel 430.44 m ü.M. So hohe Werte wurden bisher nur in den Sommermonaten gemessen, wie zum Beispiel im Juli 2021 (siehe Grafik). Grund dafür ist das relativ hoch gelegene Einzugsgebiet des Bielersees im Berner Oberland und Jura. Gewöhnlich schneit es in diesen höheren Lagen im Winter, deshalb gelangt der Niederschlag nicht zum Abfluss. Weiter flussabwärts, beispielsweise am Rhein bei Basel oder in Köln, sind Winterhochwasser häufiger, da das Einzugsgebiet viel tiefer liegt.

Dieses Phänomen wurde ebenfalls an Gewässern beobachtet, die nicht auf Hochwasserniveau anstiegen: So lag auch der Pegel des Bodensees bei Romanshorn am 15./16. Dezember 2023 mit 396.43 m ü.M. so hoch wie noch nie in einem Dezember in der Messreihe seit 1930.

Jahresverlauf des Wasserstands am Bielersee 2023
Jahresverlauf des Wasserstands am Bielersee: Vergleich der Pegel der Jahre 2023 und 2021 mit den langjährigen Referenzwerten. Auch an den Jurarandseen zeigt sich: Die Hochwasser ereigneten sich bisher typischerweise im Frühling oder Sommer, wie z.B. im Juli 2021. Dass die Pegel im Dezember so hoch ansteigen, ist aussergewöhnlich.

Das BAFU und die Anrainerkantone beschlossen am 14. Dezember, dass der Abfluss aus den Jurarandseen, Bieler-, Murten- und Neuenburgersee, erhöht wird. Dies mit dem Ziel, die Seen schneller abzusenken und so Platz zu schaffen für allfällige weitere Niederschläge. Die Hochwasserlage entspannte sich erst in den Tagen vor Weihnachten langsam. Die Jurarandseen blieben jedoch bis nach Weihnachten erhöht. Auch die Aare unterhalb des Bielersees führte noch viel Wasser. Erst am 27. Dezember kehrte man wieder zur Regulierung des Bielersees nach normalem Reglement zurück. Der Abfluss der Aare zwischen Biel und Solothurn lag wieder in der Gefahrenstufe 1 (keine oder geringe Gefahr).

Auch hohe Grundwasserstände

Die Niederschläge von November und Dezember machten sich nicht nur in Flüssen und Seen bemerkbar. Auch die Grundwasserstände und Quellabflüsse, die im letzten Sommer tief waren, erholten sich wieder und stiegen im Zuge der anhaltenden Niederschläge an. Im Mittelland lagen die Grundwasserstände vor allem in den oberflächennahen Grundwasservorkommen, die an Fliessgewässer angebunden sind, hoch (siehe Karte).

Karte der Grundwasserstände und Quellabflüsse vom 08.12.2023
Karte der Grundwasserstände und Quellabflüsse vom 08.12.2023

Wird es künftig mehr solche Ereignisse geben?

Die Wetter- und Hochwasserereignisse im November und Dezember 2023 – und weitere Ereignisse im Jahr 2023 - entsprechen den Klima- und hydrologischen Szenarien für die Zukunft, wie sie im Projekt Hydro-CH2018 berechnet wurden: Längere trockene Perioden im Frühling und Sommer wechseln sich mit starken Niederschlagsereignissen ab. Die Winter werden wärmer, wodurch der Niederschlag vermehrt in Form von Regen statt Schnee fällt. Die Wahrscheinlichkeit für Hochwasserereignisse nimmt daher im Winter zu.

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Letzte Änderung 30.01.2024

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