27.08.2013 - Auf dem Weg vom Acker bis zum Teller landen in der Schweiz pro Jahr etwa 2 Mio. t Nahrungsmittel im Abfall. Fast die Hälfte davon wird in den Haushalten weggeworfen. Nun prüft der Bund Massnahmen, um die enorme Verschwendung an Kalorien, Umweltressourcen und finanziellen Mitteln nachhaltig einzudämmen.

© Food-Waste, einer Kampagne des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA)
Text: Martin Arnold und Beat Jordi
Mit der Menge an achtlos weggeworfenen Lebensmitteln liessen sich in der Schweiz jährlich 140‘000 Lastwagen füllen. Aneinandergereiht ergibt dies eine LKW-Kolonne von Zürich bis Madrid. «Landen genusstaugliche Nahrungsmittel im Abfall, werden dadurch nicht nur Kalorien und Geldmittel verschwendet», stellt Martina Blaser von der BAFU-Abteilung Ökonomie und Umweltbeobachtung fest: «Weil unsere Lebensmittel rund 30 % der konsumbedingten Umweltbelastungen verursachen, führt die Wegwerfmentalität auch zu einer unnötigen Beanspruchung knapper Ressourcen wie Böden, Wasser oder fossile Energieträger.» Wer zum Beispiel ein Pfund Brot entsorgt, vergeudet damit unter anderem auch 800 Liter Wasser, das auf dem gesamten Lebensweg dieses Nahrungsmittels vom Anbau des Getreides bis zum Verkauf in der Bäckerei verbraucht worden ist.
FAO-Studie als Alarmsignal

2011 hat die Welternährungsorganisation FAO in ihrer Studie «Global food losses and food waste» erstmals Hochrechnungen zur weltweiten Verschwendung von Nahrungsmitteln präsentiert und mit ihren Zahlen die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Sie schätzt, dass jährlich 1,3 Mrd. t oder umgerechnet ein Drittel aller Lebensmittel im Müll enden. Gemessen in Kalorien würde diese Menge ausreichen, um rund 3,5 Mrd. Menschen zu ernähren. Die Grundbedürfnisse der 870 Mio. Hungernden, welche vor allem in den Entwicklungsländern unter chronischer Unterernährung leiden, liessen sich bei einer gerechten Verteilung der überschüssigen Lebensmittel somit problemlos befriedigen.
Je nach Region schwankt die Menge der Nahrungsmittelabfälle pro Person und Jahr zwischen 120 kg in Südostasien und fast 300 kg in Nordamerika. Europa steht mit 280 kg nicht viel besser da. Dabei sticht ins Auge, dass die enormen Verluste je nach Weltregion auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette anfallen. Während in Europa sowie in den USA mehr als ein Drittel in den Haushalten verschwendet wird, sind in den Entwicklungsländern insbesondere Einbussen bei Anbau, Ernte und Lagerung ausschlaggebend. «In ärmeren Regionen stellen weniger Lebensmittelabfälle als vielmehr Nahrungsmittelverluste ein grosses Problem dar», sagt denn auch Peter Bieler, Leiter der Sektion Globalprogramm Ernährungssicherheit bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA): «Nahrungsmittel gehen in diesen Ländern beispielsweise durch Schädlinge, aber auch durch eine schlechte Lagerhaltung verloren.»
Erste Erhebungen in der Schweiz
Die bisher verfügbaren Zahlen über das Ausmass der Lebensmittelverschwendung in der Schweiz basieren primär auf zwei Masterarbeiten von Claudio Beretta (ETH Zürich) und João Almeida (Universität Basel). Für die gesamte Nahrungsmittelkette vom Acker bis zum Teller schätzt etwa Claudio Beretta das landesweite Abfallaufkommen auf jährlich rund 2 Mio. t, was ebenfalls einem Drittel aller Lebensmittel entspricht. Pro Person und Jahr sind dies im Mittel rund 250 kg. Um die vergeudeten Kalorien zu produzieren, wären unter hiesigen Verhältnissen ungefähr 350‘000 Hektaren Ackerland erforderlich - das ist deutlich mehr, als was bei uns überhaupt an offener Ackerfläche zur Verfügung steht.
Privathaushalte in der Pflicht
In der Schweiz tragen die Privathaushalte mit einem Anteil von 45 % die Hauptverantwortung für die Verschwendung von Lebensmitteln. «Täglich gelangen pro Person beachtliche Mengen einer Mahlzeit in den Müll», sagt Martina Blaser. «Dies belastet nicht nur die Umwelt, sondern auch das Haushaltsbudget, denn bei durchschnittlichen Jahreskosten von rund 500 CHF pro Kopf für weggeworfene Nahrungsmittel entstehen hier Mehrkosten in Milliardenhöhe.»
Mit einfachen Massnahmen wie gezielten Einkaufslisten, der optimalen Lagerung von Lebensmitteln und einer durchdachten Verwertung der Resten liessen sich die entsprechenden Abfallmengen bereits deutlich reduzieren. Josianne Walpen von der Stiftung für Konsumentenschutz plädiert zudem dafür, die Informationen zur Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verbessern. So wisse die Kundschaft oft nicht, dass Produkte nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums keinesfalls verdorben seien, sondern schlimmstenfalls nicht mehr die optimale Qualität aufweisen würden. Dagegen gelte es, Verbrauchsdaten für Frischwaren stärker zu beachten, «obwohl zum Beispiel Milchprodukte nach abgelaufener Frist nicht einfach ungeniessbar sind. Die Konsumentinnen und Kunden müssen deshalb wieder vermehrt lernen, sich auf ihre Augen sowie auf den Geruchs- und Geschmackssinn zu verlassen.»
Nahrungsmittelabfälle gehen alle an

Die Vergeudung von Nahrungsmitteln betrifft neben den Endkunden aber auch Produzenten und Verarbeiter sowie den Gross- und Detailhandel. So trägt etwa die verarbeitende Industrie durch das Aussortieren minderwertiger, aber grösstenteils genusstauglicher Waren rund 30 % zum inländischen Anteil an Lebensmittelabfällen bei.
Um Gegensteuer zu geben, haben die vier Bundesämter für Landwirtschaft (BLW), Umwelt (BAFU), Gesundheit (BAG) und Veterinärwesen (BVET) unter Leitung des BLW Anfang 2012 eine Projektgruppe gebildet, der inzwischen auch die DEZA angehört. Sie soll Entscheidungsgrundlagen erarbeiten und gemeinsam mit wichtigen Akteuren des Ernährungssektors relevante Massnahmen entwickeln, um die Menge an Lebensmittelabfällen in der Schweiz künftig zu senken. Dabei will die interdepartementale Arbeitsgruppe Food Waste unter anderem auch prüfen, in welchem Ausmass staatliche Vorschriften - wie beispielsweise die Lebensmittel- und Hygieneverordnungen - das Abfallaufkommen beeinflussen.
Im Dialog mit den Akteuren
«Besonders wichtig für unseren Erfolg ist der Dialog mit allen Gruppen, die Lebensmittelabfälle verursachen», erklärt BAFU-Vizedirektor Gérard Poffet. Dazu gehören Produzenten wie der Schweizerische Bauernverband (SBV), grosse Verarbeiter wie Fenaco und Emmi, Grosshändler, der Detailhandel mit den Branchenriesen Migros und Coop sowie Vertreter von Konsumentenorganisationen. Ebenfalls mit von der Partie sind Verwerter von potenziellen Nahrungsmittelabfällen wie der Verein Tischlein deck dich oder die Caritas-Märkte. Die geplanten Massnahmen zur Reduktion der Lebensmittelverschwendung sind auch Teil des Aktionsplans Grüne Wirtschaft, den der Bundesrat im Frühjahr 2013 verabschiedet hat. Wie sich Food Waste gezielt minimieren lässt, zeigt die Vermeidungsstrategie der SV Group. Das Unternehmen betreibt hierzulande 336 Personalrestaurants sowie Mensen und verkauft täglich rund 105‘000 Mahlzeiten. «Seit 2006 untersuchen wir einmal jährlich während eines Monats jeden Betrieb und wägen die Abfälle in der Küche, aber auch auf den Tellern», erklärt Projektleiter Kornell Otto. «Dank präziseren Berechnungen für die Küche und kleineren Portionen - mit der Möglichkeit zum Nachschöpfen - ist es uns gelungen, den Nassabfall pro Mahlzeit von 65 g auf 42 g zu senken.»
Essen statt verbrennen
bjo. Im Schweizer Siedlungsabfall landen pro Person jährlich gut 60 kg biogene Abfälle aus Privathaushalten. Damit machen sie mit rund 27 % die grösste Müllfraktion aus, wie die etwa alle 10 Jahre durchgeführten Kehrichtanalysen des BAFU zeigen. Ein beträchtlicher Anteil dieser biogenen Rückstände besteht aus noch verpackten Lebensmitteln mit abgelaufenem Verbrauchsdatum. Damit ist die Gesamtmenge der weggeworfenen Nahrungsmittel jedoch nur unzureichend erfasst, weil sie zum Teil auch in den Grünabfall gelangen oder unsachgemäss via Toilette entsorgt werden.
Grundsätzlich liessen sich fast alle biogenen Rückstände für eine Vergärung oder Kompostierung nutzen, sofern sie bereits an der Quelle getrennt würden. So können etwa Biogasanlagen aus Rüstabfällen, Grüngut oder verdorbenen Früchten noch wertvolle Energie gewinnen. Aus ökologischen und sozialen Gründen ist es aber sinnvoller, Lebensmittelabfälle primär zu vermeiden. Ist dies ausnahmsweise nicht möglich, empfehlen sich in dieser Reihenfolge das Verschenken von nicht benötigten Nahrungsmitteln, die Verfütterung an Tiere, das Vergären zur Biogasproduktion, die Kompostierung und erst zuletzt die Kehrichtverbrennung.
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Letzte Änderung 27.08.2013