08.07.2019 – Gewässer prägen vielerorts das Landschaftsbild und sind wichtig für die Biodiversität. In der Vergangenheit wurden die Gewässer in der Schweiz zunehmend verbaut und begradigt. Zudem wurden zahlreiche Wasserkraftwerke erstellt, welche das Wasser aus den Bächen und Flüssen zur Stromproduktion nutzen – oftmals bis auf den letzten Tropfen.
Mit einem Anteil von rund 57% der inländischen Stromproduktion ist die Wasserkraft die bedeutendste Stromquelle der Schweiz. Die Nutzung der Wasserkraft setzte gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein und deren Ausbau hatte seinen Höhepunkt zwischen 1945 und 1970. Heute produzieren schweizweit über 1300 Wasserkraftanlagen Strom. In unserem Land ist das Wasserkraftpotential beinahe ausgeschöpft - 95 % der zur Stromproduktion geeigneten Flüsse und Bäche werden bereits dazu genutzt.
Die Wasserkraft hinterlässt ihre Spuren
Energie aus Wasserkraft hat ökologische Vorteile. Sie ist erneuerbar und klimafreundlich. Aber sie hat auch negative Auswirkungen auf die Gewässer: Wasserfassungen und Staumauern stellen Hindernisse für Fische und andere Lebewesen dar und halten Gesteinsmaterial (sog. Geschiebe) zurück. Speicherkraftwerke verursachen künstliche Abflussschwankungen (Schwall-Sunk), bei denen Gewässerlebewesen auf trockenfallenden Kiesbänken stranden. Oberhalb der Wasserentnahmen werden die Fliessgewässer gestaut, das Landschaftsbild verändert sich dadurch und Arten, die auf fliessende Gewässer angewiesen sind, finden hier keine geeigneten Lebensräume mehr.
Zwischen der Wasserentnahme und der Wasserrückgabe verbleibt zudem oft nur ein Bruchteil des natürlichen Abflusses. Solche Gewässerabschnitte werden als Restwasserstrecken bezeichnet.
Insgesamt wird in der Schweiz an rund 1400 unterschiedlichen Standorten Wasser für den Betrieb der Kraftwerke aus Fliessgewässern entnommen. Die einzelnen Restwasserstrecken sind teilweise mehrere Kilometer lang.
In der Zeit, als die Mehrheit der Wasserkraftwerke erbaut und in Betrieb genommen wurden, waren in unserer Gesellschaft Themen wie Umwelt- und Gewässerschutz noch kaum von Bedeutung. Eine gesetzliche Grundlage, um die Gewässer vor einer zu intensiven Nutzung zu schützen, war daher auch nicht vorhanden. So wurde oft sämtliches zur Verfügung stehendes Wasser zur Stromproduktion genutzt. Diese intensive Nutzung hat dazu geführt, dass die Gewässerlebensräume vielerorts zerstückelt und zerstört wurden.
Ohne Wasser kein Leben
Bäche und Flüsse können ihre vielfältigen Funktionen nur erfüllen, wenn sie ausreichend Wasser führen. Kein Wasser bedeutet in erster Linie kein Lebensraum für aquatische Tiere und Pflanzen. Zudem bilden Bachabschnitte mit zu wenig oder gar keinem Wasser für Fische und andere Organismen eine Barriere. Die Vernetzung von unterschiedlichen Habitaten und Populationen ist nicht mehr gewährleistet.
Wanderfische wie zum Beispiel die Seeforelle unternehmen lange Reisen, um alljährlich zu ihren Laichgründen aufzusteigen. Diese Wanderung ist für die Fische äusserst kräftezehrend und wird durch menschliche Einflüsse zusätzlich erschwert. Bachabschnitte mit zu wenig Wasser können die Wanderung beeinträchtigen oder verunmöglichen.
Wasserentnahmen reduzieren ebenfalls die natürliche Abflussdynamik eines Gewässers. Gerade für die ökologisch besonders wertvollen Auenlebensräume ist eine solche Dynamik sehr wichtig. Ohne eine ausreichende Abflussdynamik gehen diese Lebensräume zugrunde.
Auch im Hinblick auf den Klimawandel ist es von grosser Bedeutung, dass in den Restwasserstrecken genügend Wasser vorhanden ist. Da in den Sommermonaten künftig weniger Niederschlag fällt, werden Gewässer häufiger mit den minimalen Restwasserabflüssen auskommen müssen. Je weniger Wasser fliesst, desto schneller erwärmt sich dieses auch. Fische und Wasserlebewesen geraten dadurch unter zusätzlichen Druck.
Restwassermengen seit 1975 in der Verfassung verankert
Die Bedeutung ausreichender Restwassermengen wurde in der Schweiz bereits in den 1970er Jahren erkannt. 1975 wurde in der Bundesverfassung verankert, dass der Bund für angemessene Restwassermengen zu sorgen habe. Zudem machte 1984 die Volksinitiative «zur Rettung unserer Gewässer» politischen Druck. 1991 schrieb das Parlament die Pflicht zu genügend Restwasser im Gewässerschutzgesetz fest. Dieses stellte den indirekten Gegenvorschlag zur Initiative dar und wurde bei der Volksabstimmung im Mai 1992 mit 66% Ja-Stimmen angenommen.
Die im Gesetz formulierten Vorschriften stellen einen Kompromiss dar zwischen der Wasserkraftnutzung und den Interessen der Umwelt. Die Kantone entscheiden in ihrem Ermessensspielraum. So dürfen neue Kraftwerke im Durchschnitt etwa 88 bis 94% des Wassers zur Stromproduktion nutzen.
Für die Bedürfnisse der Natur bleiben durchschnittlich also nur 6 bis 12% des Wassers. Für Anlagen, welche vor 1992 bewilligt wurden, gelten bis zum Ablauf der Nutzungsbewilligung mildere Anforderungen in Bezug auf das Restwasser.
Der Druck auf die Gewässer wird in Zukunft weiter zunehmen. Die schweizerische Energiepolitik zielt im Rahmen der Energiewende u.a. darauf ab, die Stromproduktion aus Wasserkraft bis 2050 um ca. 6% zu erhöhen. Die geltenden Gewässerschutzvorschriften müssen jedoch vollumfänglich eingehalten werden. Schliesslich stellen die gesetzlich geforderten Restwassermengen das Minimum dessen dar, was der Lebensraum Gewässer braucht, um das Überleben von Tieren- und Pflanzen zu sichern, sowie seine weiteren ökologischen Funktionen wahrnehmen zu können.
- Genügende Restwassermengen sind eine Bedingung für den Erhalt der Artenvielfalt. Der Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen steht und fällt mit ausreichend Wasser.
- Um die Vernetzung von Lebensräumen und Populationen sicherzustellen, ist eine ausreichende Restwassermenge notwendig.
- Restwasser wirkt als Temperaturpuffer. Je mehr Wasser die Gewässer führen, desto besser sind sie im Sommer vor übermässiger Erwärmung und im Winter vor dem Zufrieren geschützt.
- Das Restwasser hat einen erheblichen Einfluss auf die Wasserqualität.
- Eine ausreichende Restwassermenge ist zentral für die Speisung des Grundwassers.
- Restwasser trägt zur landschaftlichen Qualität der Schweiz bei. Für Erholung und Gesundheit sowie Standortattraktivität (Tourismus, Wirtschaft, Wohnstandort) sind intakte Gewässer von grosser Bedeutung.
Die Gewässer von morgen
Die Biodiversität in der Schweiz ist stark unter Druck. Dafür sind zu einem grossen Teil die ökologischen Defizite der Gewässer verantwortlich. Ungefähr 18 % derjenigen Arten, die unmittelbar auf Gewässer angewiesen sind, sind vom Aussterben bedroht, 4 % sind bereits ausgestorben. Ökosysteme an der Schnittstelle von Wasser und Land sind für die Artenvielfalt besonders wichtig - ihr Verlust wirkt sich deshalb besonders negativ auf die Biodiversität aus.
Damit die Wasserkraft in Zukunft nicht nur erneuerbar und klimafreundlich, sondern auch umweltverträglich ist, müssen die negativen Auswirkungen auf die Gewässerlebensräume reduziert werden. Angemessene Restwassermengen, wie sie das Gesetz vorschreibt, sowie Massnahmen zur Verminderung von Schwall-Sunk und zur Wiederherstellung der Fischwanderung sowie eines natürlichen Geschiebehaushaltes sind eine Voraussetzung dafür.
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Letzte Änderung 08.07.2019